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Frage von Lothar K. •

Frage an Jens Petermann von Lothar K. bezüglich Recht

Sammelklagen

Sehr geehrter Herr Petermann,
in wende mich an Sie als Mitglied und Obmann des Rechtsausschusses. Warum gibt es in Deutschland immer noch keine Sammelklagen und warum gibt es niemanden, der dies fordert? Deutschland ist ein Paradies von Kapitalanlagebetrügern. Als Kleinanleger kann man nichts dagegen tun. Kapitalanlagerechtsschutz wird von Rechtsschutzversicherungen nicht mehr angeboten; jeder einzelne Anleger muss einzeln Vorstand, Aufsichtsrat, Vermittler, Wirtschaftsprüfer und sonstige Beteiligte verklagen wenn diese Bilanzen gefälscht, Insolvenzen verschleppt oder sich großzügig aus Firmenvermögen bedient haben. Es sind zig verschiedene Richter und Kammern mit der gleichen Angelegenheit beschäftigt und jeder Richter und jede Kammer fällt ein anderes Urteil. Außerdem ist es da kein Wunder, dass die Justiz hoffnungslos überlastet ist. Der Ausgang solcher Verfahren gleicht einem Lotteriespiel. Recht zu bekommen wenn man Recht hat ist mit fünf Richtigen im Lotto zu vergleichen. Von z. B. 5000 betroffenen Anlegern können nur die etwas tun, die noch einen alten Rechtsschutz haben oder die genug Geld haben und die Sache aus Prinzip nicht auf sich beruhen lassen wollen. Die Verfahren ziehen sich über viele Jahre und sind dementsprechend extrem teuer. Oft übersteigen die Verfahrenskosten den Vermögensschaden und Recht bekommen bedeutet noch kein Geld.
Sammelklagen würden das ändern. Da könnten dann 5000 geprellte Anleger gemeinsam vorgehen; es gäbe ein Urteil, dass für alle gilt und wenn Schadensersatz geleistet wird, wird dieser anteilig aufgeteilt. Beim jetzigen Recht klagen vielleicht 100 von 5000 von denen dann vielleicht 40 Recht bekommen, der Rest auf den Kosten sitzen bleibt und bei denen, die nicht klagen können ist das Geld dann sowieso weg.

Wenn ich bei der nächsten Wahl Die Linke wählen würde, setzen Sie sich dann für Sammelklagen ein oder wollen Sie und die Die Linke das alles so bleibt wie es ist?

Mit freundlichen Grüßen

Lothar Kindermann

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DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Kindermann,

vielen Dank für Ihre Frage, mit der Sie das rechtspolitisch sehr spannende und komplexe Thema des kollektiven Rechtsschutzes im Allgemeinen ansprechen. Dies wird sowohl auf europäischer Ebene aber auch in Deutschland intensiv diskutiert. Die Bandbreite möglicher Instrumentarien ist dabei sehr groß. In Betracht kommen Verbandsklagen, Musterprozesse oder die Verbindung mehrerer auf einem gleichen Lebenssachverhalt beruhender Vorgänge in einem Prozess. Für die vorgenannten Möglichkeiten gibt es auch jetzt schon im deutschen Recht eine Fülle von Beispielen. Verbandsklagen z.B. der Verbraucherschutzverbände oder Kapitalanlegerschutzvereinigungen sind im Wettbewerbsrecht genauso vorgesehen wie die sogenannte subjektive Klagehäufung, auch Streitgenossenschaft, d.h. die gemeinsame Klage von Betroffenen. Das allgemein als "Sammelklage" bezeichnete Instrumentarium gibt es bisher nicht, jedenfalls nicht in der Form, wie es z.B. in den USA unter dem Stichwort class action vorzufinden ist. Dabei handelt es sich um einen Prozess, der von einer Partei angestoßen wird und dem sich ebenfalls Betroffene durch Erklärung anschließen können.
Allerdings gibt es in Deutschland, insbesondere mit Fokus auf Kapitalanleger, das Kapitalanlegermusterverfahren. Dieses - erst kürzlich nach öffentlicher Anhörung von Sachverständigen im Bundestag - reformierte Verfahren, das im Gesetz über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten" (Kapitalanleger- Musterverfahrensgesetz, KapMuG) detailliert geregelt ist, versucht sämtliche auch von Ihnen benannte Probleme der individuellen Rechtsdurchsetzung auf diesem Gebiet zu beheben.
Es handelt sich um ein Verfahren, das einer Sammelklage am nächsten kommt. Wenn Sie mich danach fragen, ob ich mich für Sammelklagen einsetzen werde, kann ich diese Frage nicht einfach mit Ja oder Nein beantworten. Mir sind die Probleme bei der individuellen Rechtsdurchsetzung als ehemaliger Richter sehr bewusst. Darum setze ich mich dafür ein, dass allen Bürgerinnen und Bürgern schneller und effektiver Rechtsschutz unabhängig von ihrer finanziellen Lage ermöglicht wird. Kollektiver Rechtsschutz, wie er derzeit schon möglich ist, ist ebenfalls sinnvoll. Verbraucherverbände nehmen Interessen von Verbraucherinnen und Verbrauchern wahr, Umweltverbände achten auf die Einhaltung von Naturschutzvorschriften, für die sich der Einzelne nur schwer einsetzen kann. Ob das Instrument der Sammelklage nötig ist, aber vor allem, wie es im Detail auszugestalten ist, damit keine negativen Effekte eintreten, die die positiven überwiegen, ist selbst unter Fachleuten höchst umstritten. Das Kapitalanlegermusterverfahren ist ein Weg dorthin, es wurden bereits erste positive als auch negative Erfahrungen gesammelt (teilweise in den Sachverständigenstellungnahmen zu der öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss dargestellt, die Sie auf der Internetseite des Bundestages frei einsehen können), derartige Verfahren müssen weiter evaluiert werden. Unabhängig von den prozessualen Instrumenten lassen Sie mich jedoch abschließend noch festhalten - kein Verfahren, egal welcher Art, wird verhindern können, dass Menschen Opfer von Gaunereien und Betrügereien werden können; dies gilt insbesondere im selbst für Fachleute wenig durchschaubaren Finanzsektor. Auch ist nicht jede schlechte Kapitalanlage ein Indiz für Betrügereien. Es gibt nun einmal schlechte Kapitalanlagen, in der Regel mehr als gute.
Die Linke fordert daher im Sinne eines vorbeugenden Rechtsschutzes einen "Finanz-TÜV" / Finanzwächteragenturen, die über die Produkte am Finanzmarkt regulierend wachen (vgl. Bundestagsdrucksache 17/11537).
Sie werden sicher Verständnis dafür haben, dass sich für mich als Mitglied der Linken nicht zuallererst das Herz bei dem Versuch erwärmt, durch riskante Kapitalanlagen Geld mit Geld zu verdienen; wer diesen Weg geht, muss auch die damit verbundenen Risiken tragen. Eines kann ich Ihnen aber versprechen - Die Linke will als einzige politische Kraft tatsächlich ernsthaft im Sinne einer sozial gerechten Regulierung umsteuern.

Mit freundlichen Grüßen

Jens Petermann