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Jan Philipp Albrecht
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Frage von Wolfgang B. •

Frage an Jan Philipp Albrecht von Wolfgang B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Albrecht,

ich nehme Herrn Pfennigs Frage und Ihre Antworten darauf zum Anlass, Ihnen die folgende Frage zu stellen: Prof. em. Bassam Tibi hat in einem Artikel in der Kleinen Zeitung vom 13.5.2011 darauf hingewiesen, dass die Hoffnung eines Euro-Islam inzwischen am Ende ist und sich die Türkei immer mehr zu einem islamistischen Staat wird.

Zitatbeginn:
"Wäre die EU gut beraten, der Türkei eine Beitrittsperspektive zu bieten, um dieses Bündnis zu verhindern?

Das ist ein unheimlich naiver Glaube in Europa. Man sagt, wenn die Türkei Mitglied der EU werden würde, würde die Türkei demokratisiert. Aber die EU ist kein Demokratisierungsklub. Man erfüllt die Aufnahmekriterien oder nicht. Auch Griechenland wurde auf Basis gefälschter Tatsachen Mitglied der Währungsunion. Und die griechische Ökonomie wird durch die EU nicht besser. So verhält es sich mit der Türkei, in Bezug auf Demokratie. Nach den Wikileaks-Enthüllungen wissen wir: Der türkische Außenminister hat intern gesagt, wir wollen Mitglied der EU werden, um auf diese Weise den Islam besser in Europa verbreiten können.

Sie sind ganz klar gegen einen EU-Beitritt der Türkei?

1998 habe ich mich für den Beitritt ausgesprochen. Damals war das Land noch nicht unter islamistischer Herrschaft. Ich sage immer noch nicht Nein, aber man muss ganz genau beobachten, was passiert. Wenn diese Entwicklung zum Islamismus die Türkei weiterhin bestimmt, dann sollen die Europäer die Tür zumachen. Ich möchte nicht, dass ein islamistisch regiertes Land wie ein trojanisches Pferd die EU kaputt macht." Zitatende

Meine Fragen: Die Türkei hat sich innerhalb weniger Jahre massiv in Richtung eines islamistischen Staates gewandelt. Die Haltung der Grünen ist in der öffentlichen Wahrnehmung seit Jahren gleich geblieben. Bleiben Sie vor dem Hintergrund dieser Entwicklung weiterhin der Meinung, dass die Türkei in die EU aufgenommen werden soll? Wie reagieren die Grünen im Europäischen Parlament auf diese Entwicklung?

W. Buck

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Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Buck,

ich danke Ihnen für Ihre Fragen.

Ich teile die Ansicht von Bassam Tibi hinsichtlich einer potentiellen Islamisierung der Türkei nicht. Erdogans durchaus konservative Politik ist nicht darauf gerichtet, dass Land zu radikalisieren, sondern es wirtschaftlich zu stärken und wettbewerbsfähiger zu machen. Dabei begleiten wir Grünen diesen Prozess sehr kritisch und drängen darauf, dass Erdogan sich weiterhin für stabile demokratische Verhältnisse einsetzt, unter anderem eine Lösung im Kurdenkonflikt anstrebt, Internetzensuren aufhebt und Minderheiten schützt. Hier gibt es in der Tat noch viel zu tun. Doch wir dürfen nicht vergessen, dass die AKP in den letzten Jahren viel dafür getan hat, den Islam und den Säkularismus miteinander zu versöhnen. Genauso wie die Säkularisten hat auch Erdogan Reformen zur Erweiterung der demokratischen Rechte gefordert und diese auch durchgesetzt.

Statt der Türkei den Beitritt auf längere Sicht zu versagen, muss die EU sich öffnen. Ansonsten wird sich das Land komplett von der EU abschotten und eigene Wege suchen, um wirtschaftliche und politische Kraft zu erlangen. Dies wäre fatal ─ denn wie ich bereits in meiner letzten Antwort an Herrn Pfennig argumentiert habe: Wir brauchen die Türkei für die politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung innerhalb und außerhalb der EU.

Mit freundlichen Grüßen aus Brüssel,

Jan Philipp Albrecht