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Ingo Wellenreuther
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Frage von Michael S. •

Frage an Ingo Wellenreuther von Michael S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Wellenreuter,

mit Bestürzung habe ich heute zur Kenntnis genommen, das der Deutsche Bundestag, auch mit Ihrer Stimme, heute beschlossen hat, ein wichtiges Stück der Privatsphäre seiner Bürger aufzuheben und damit auch mich unter Generalverdacht zu stellen.

Die von anderer Seite vorgebrachten Ausflüchte, dass eine Richtlinie der EU dieses Gesetz erzwingt, kann ich nicht akzeptieren. Entweder Sie halten das Gesetz für richtig, oder Sie müssten Ihr gesamtes politisches Gewicht gegen dieses Gesetz und u.U. auch gegen die EU-Richtlinie in die Waagschale werfen, dies ist Ihr verfassungsrechtlicher Auftrag.

Offensichtlich halten Sie die gesamte deutsche Bevölkerung für so gefährlich, dass Ihnen eine Überwachung aller Kommunikationsverbindungen angemessen erscheint.

Ich würde gerne Ihr Votum verstehen, deshalb beantworten Sie mir bitte folgende Fragen:

- warum sind Sie der Meinung, dass die gesamte Bevölkerung, auch die Ihres Wahlkreises, präventiv überwacht werden muss?

- wie fühlen Sie sich, wenn Ihre Legitimation als Abgeordnete auf einem so potentiell gefährlichen Wahlvolk beruht?

- warum sind Sie der Meinung, dass Sie und Ihre Abgeordneten-Kollegen weniger gefährlich sind als der Rest der Bevölkerung und deshalb von der Vorratsdatenspeicherung ausgenommen werden können?

- wie fühlen Sie sich, nachdem Sie mit diesem Votum eine Infrastruktur schaffen lassen, die von einer zukünftigen, eventuell noch "ängstlicheren" Regierung SOFORT zur lückenlosen Überwachung des deutschen Volkes genutzt werden kann?

Ich hoffe, Sie bringen genug Mut auf, mir öffentlich zu antworten und mir eventuell auch in Ihrem Wahlkreis noch in die Augen zu sehen.

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Seeland,

sehr gerne antworte ich Ihnen auf Ihre Frage, da Sie Gelegenheit gibt, die Umstände zur so genannten Vorratsdatenspeicherung ausführlich darzustellen. Schlagworte wie „Präventive Überwachung“ und „Generalverdacht“ zeugen davon, dass in der öffentlichen Diskussion der Eindruck erweckt wurde, aufgrund dieser Neuregelung können nunmehr jeder, ohne besondere Voraussetzungen von staatlichen Stellen abgehört werden. Dem muss entschieden widersprochen werden. Daher möchte ich gerne zur Klarheit und zur Versachlichung beitragen.

Die Rechtspolitik bewegt sich im Bereich der Telekommunikationsüberwachung in einem Spannungsfeld. Dem Grundrechtsschutz der Bürger steht die ebenfalls verfassungsrechtlich gebotene Pflicht des Staates zu einer effektiven Strafverfolgung gegenüber. Das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder das öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafverfahren betont und die wirksame Aufklärung gerade schwerer Straftaten als einen wesentlichen Auftrag des staatlichen Gemeinwesens hervorgehoben. Grundrechtsschutz der Bürger und Strafverfolgungsinteresse des Staates müssen deshalb in einen vernünftigen Ausgleich gebracht werden. Das beschlossene Gesetz trägt diesen Anforderungen Rechnung und hält ihnen auch Stand.

Bei dem aktuell beschlossenen Gesetz sind zwei Dinge voneinander zu trennen: die Vorratsdatenspeicherung und Änderungen bei der Telekommunikationsüberwachung.

Zur Vorratsdatenspeicherung:
Ich möchte vorweg eines betonen: Nur wenn sich jemand einer erheblichen Straftat verdächtig gemacht hat, kommt überhaupt erst eine Überprüfung der gespeicherten Daten in Betracht. Ansonsten besteht hierzu kein Recht, ein willkürlicher Zugriff auf Daten ist ausgeschlossen. Es ist daher geradezu widersinnig, wenn in der öffentlichen Diskussion von einem vorbeugenden oder präventiven (General-)Verdacht gegenüber den Bundesbürgern gesprochen wird, da ja auf die Daten überhaupt erst dann zugegriffen werden kann, wenn ein konkreter, begründeter Verdacht vorliegt!

Der Verdacht entsteht nicht schon mit der Speicherung, sondern erst aufgrund konkreter Tatsachen. Es wird auch niemand behaupten, dass alle Fahrgäste einer videoüberwachten Straßenbahn unter Verdacht gestellt werden. Erst wenn es Vandalismusschäden oder einen kriminellen Übergriff in der Straßenbahn gibt, wird auf die Videoaufnahmen zur Strafverfolgung zugegriffen. Vergleichbar ist dies mit der Speicherung von Telekommunikationsdaten: erst der Verdacht einer erheblichen Straftat, dann – unter hohen rechtsstaatlichen Voraussetzungen wie insbesondere dem Richtervorbehalt – der Zugriff.

Nun zum Verfahren und dem Inhalt des Gesetzes. Grundlage für die Vorratsdatenspeicherung ist eine EU-Richtlinie. Ursprung für diese Richtlinie ist der Sachverhalt, dass nach den Attentaten von Madrid anhand von Handys, die man gefunden hatte, festgestellt werden konnte, mit wem die Attentäter zuvor telefoniert hatten. Auf diese Weise konnte man andere aus dem terroristischen Umfeld fangen, die an den Attentaten beteiligt waren. Das war der Anlass für England, Schweden, Frankreich und Irland, eine Initiative im Europäischen Rat zu starten mit dem Ziel, dass künftig in ganz Europa Verbindungsdaten gespeichert werden. Die Pläne sahen die Speicherung der Daten bis zu 36 Monate vor, darunter auch die Bewegungsdaten beim Telefonieren mit dem Handy und vieles weitere. Die Bundesrepublik Deutschland hat diesen Vorhaben und insbesondere der langen Dauer der Speicherung widersprochen und darauf hingewirkt, dass man allenfalls die Daten speichern kann, die ohnehin beim Telefonieren erhoben und bereits zu Abrechnungszwecken gespeichert werden. Damit ist es gelungen, in der Richtlinie Regelungen mit Augenmaß (z. B. keine Speicherung von Gesprächsinhalten, Beschränkung der Speicherfrist auf 6 Monate, Datenabfrage nur bei Verdacht erheblicher oder mittels Telekommunikation begangener Straftaten) aufzunehmen.

Diese Richtlinie ist nunmehr in deutsches Recht umgesetzt worden. Mit dem Gesetz wird sowohl dem Interesse an einer effektiven Strafverfolgung als auch dem Schutz der Grundrechte in ausgewogener Weise Rechnung getragen:

- Von den Telekommunikationsunternehmen dürfen nur die Verkehrsdaten gespeichert werden. Gesprächsinhalte dürfen nicht gespeichert werden.

- Die Speicherungsfrist ist auf sechs Monate begrenzt.

- Die Anordnung der Erteilung einer Auskunft über diese Daten ist nach wie vor an strenge rechtsstaatliche Voraussetzungen (u. a. konkreter, durch bestimmte Tatsachen begründeter Verdacht einer Straftat von erheblicher Bedeutung oder einer Straftat, die mittels Telekommunikation begangen wurde; keine anderweitige Möglichkeit der Aufklärung; Richtervorbehalt) geknüpft.

- Eine anderweitige Verwendung dieser Daten ist nur zu Zwecken der Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit möglich, wenn dies gesetzlich unter Beachtung der Verwendungsbeschränkungen im Telekommunikationsgesetz festgelegt ist. Eine Verwendung beispielsweise zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche ist nicht zulässig.

Ich möchte außerdem betonen, dass Telekommunikationsunternehmen schon nach geltender Rechtslage Verbindungsdaten speichern und schon jetzt darauf unter bestimmten Voraussetzungen zur Strafverfolgung zugegriffen werden kann. Kein Mensch kommt aber derzeit auf die Idee, dass diese Daten missbraucht oder gar zur „willkürlichen staatlichen Überwachung“ von Personen genutzt würden.

Zur Telekommunikationsüberwachung:
Außerdem wurde mit dem Gesetz der Abschnitt der Strafprozessordnung (StPO) über das Recht der verdeckten strafprozessualen Ermittlungsmethoden neu geordnet. Schon nach geltender Rechtslage können Telekommunikationsinhalte abgehört werden – freilich wiederum unter hohen Voraussetzung. Es ist aus der staatsanwaltschaftlichen und polizeilichen Ermittlungsarbeit erkennbar, dass die stetigen technischen Weiterentwicklungen im Bereich der Telekommunikation und den mit ihr verwandten technischen Medien zunehmend auch zur Begehung von Straftaten genutzt werden. Diese Entwicklung bringt es mit sich, dass verdeckten Ermittlungsmaßnahmen eine wachsende Bedeutung für die wirksame Bekämpfung dieser Kriminalitätsformen zukommt. Die Erfahrungen aus der staatsanwaltschaftlichen und polizeilichen Praxis haben gezeigt, dass dies mit dem gegenwärtigen Instrumentarium der Strafprozessordnung nicht mehr optimal gewährleistet ist.

Zudem werden mit dem Gesetz verschiedene Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Ausgestaltung von verdeckten Ermittlungsmaßnahmen umgesetzt. Das Gesetz sieht deshalb umfassende Vorkehrungen zum Schutz des Kernbereichs der privaten Lebensgestaltung, zur Kennzeichnungspflicht, zur Löschungspflicht und zur Verwendung von im Wege verdeckter Ermittlungsmaßnahmen erhobener Daten, sowie zur Schaffung wirksamer Rechtsschutzmöglichkeiten in diesem Bereich vor.

So darf etwa die Anordnung einer Telefonüberwachungsmaßnahme grundsätzlich nur durch ein Gericht erfolgen. Sie ist nur zulässig in den gesetzlich benannten Fällen des § 100 a StPO (schwere Straftaten), die auf andere Weise wesentlich schwerer oder nicht aufklärbar sind. Die richterliche Anordnung ist auf höchstens drei Monate befristet. Verlängerungen sind nur – ebenfalls auf höchstens drei Monate befristet – möglich, wenn die Voraussetzungen für die Anordnung fortbestehen. Aufzeichnungen über Gesprächsgegenstände, die den Kernbereich privater Lebensgestaltung betreffen, sind unzulässig. Gleichwohl aufgezeichnete Gesprächsinhalte, die diesen Bereich betreffen, sind unverzüglich zu löschen. Nach Beendigung einer Maßnahme sind die davon Betroffenen im Regelfall zu unterrichten, sobald dies ohne Gefährdung des Ermittlungszwecks möglich ist und dabei auf die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit der Maßnahme gerichtlich überprüfen zu lassen, hinzuweisen.

Ich möchte betonen, dass die beruflichen Zeugnisverweigerungsrechte der StPO (§ 53, 53 a StPO) mit dem vorliegenden Gesetz nicht verändert werden. Vielmehr wird der Schutz der Berufsgeheimnisträger vor Ermittlungsmaßnahmen ausdrücklich normiert. Dabei sollen die in den §§ 53 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1, 2 und 4 StPO genannten Personen (Geistliche, Verteidiger, Mandatsträger jeweils bezüglich dessen, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut worden ist) einen absoluten Schutz genießen. Ermittlungsmaßnahmen sind in diesen Fällen unzulässig. Die übrigen in § 53 StPO genannten Berufsgeheimnisträger, sollen einen relativen Schutz genießen. Soweit sich aus einer Ermittlungsmaßnahme ihnen gegenüber Erkenntnisse ergeben würden, über die sie das Zeugnis verweigern dürften, ist die Zulässigkeit einer verdeckten Ermittlungsmaßnahme unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu beurteilen. Die Voraussetzungen für diese Verhältnismäßigkeitsprüfung sind im Übrigen im Laufe der Gesetzesberatungen nochmals verschärft worden (Nunmehr sind verdeckte Ermittlungsmaßnahmen zu Straftaten, die nicht von erheblicher Bedeutung sind, bei diesen Berufsgeheimnisträgern in der Regel unzulässig). Der Gesetzgeber folgt mit dieser Differenzierung den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, die dieses zur Zulässigkeit von verdeckten Ermittlungsmaßnahmen gegenüber Berufsgeheimnisträgern aufgestellt hat (BVerfGE 109, 279, 322 f).

Die spezifischen Anforderungen im Bereich des Berufsgeheimnisschutzes von Journalisten sind in diesem Rahmen ebenfalls berücksichtigt worden. So ist künftig die beweismäßige Verwertung sogenannter Zufallsfunde bei Journalisten unzulässig, wenn diese Funde sich auf Straftaten beziehen, die nicht mit einer Mindesthöchststrafe von fünf Jahren bedroht sind oder wenn es sich bei der Bezugsstraftat um einen Geheimnisverrat handelt. Damit wird der sogenannte Informantenschutz als wesentliches Element der Pressefreiheit gestärkt.

Mit freundlichen Grüßen

Ingo Wellenreuther MdB