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Ingo Friedrich
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Frage von Jonathan M. •

Frage an Ingo Friedrich von Jonathan M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Dr. Friedrich,

Mit dem Vertrag von Lissabon wurde das Subsidiaritätsprinzip nach Art. 5 III EUV auf die regionale und lokale Ebene ausgeweitet.

Demnach darf die Gemeinschaft (bei nicht ausschließlichen Zuständigkeiten) nur tätig werden, wenn

1 das Ziel der in Betracht gezogenenen Maßnahmen weder auf zentraler, regionaler oder lokaler Ebene der Mitgliedstaaten ausreichend errreicht werden kann,
2. sondern die Gemeinschaft dies aufgrund des Umfangs und der Wirkungen besser kann.

Die Einschätzung ob Regionen oder lokale Gebietskörperschaften etwas "nicht ausreichend" können, müsste demnach der Beurteilung seitens der EU-Organe unterliegen.

Ist es daher möglich, dass die Kommission die Fähigkeiten der Regionen und lokalen Gebietskörperschaften direkt beurteilt, wo doch die innerstaatliche Organisationsgewalt immer noch den Mitgliedstaaten verbleibt? Stellt diese Vorgehensweise an sich nicht bereits einen groben Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip gegenüber den Mitgliedstaaten dar?

Über eine rasche Beantwortung der Frage wäre ich sehr erfreut.

Mit den besten Grüßen
Jonathan Mayer

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Antwort von
CSU

Sehr geehrter Herr Mayer,

zunächst möchte ich mich recht herzlich für Ihre Anfrage und Ihr Interesse bedanken.

Grundsätzlich darf die Gemeinschaft unter Anwendung des Subsidiaritätsprinzips nur dann tätig werden, wenn:
- es sich nicht um einen Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Gemeinschaft handelt,
- die jeweiligen Ziele auf der Ebene der Mitgliedsstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und
- die Maßnahmen daher wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkung besser durch die Gemeinschaft verwirklicht werden können.

Die Reichweite des Subsidiaritätsprinzips bezieht sich demnach auf die Bereiche, in denen eine zwischen Gemeinschaft und Mitgliedsstaaten geteilte Zuständigkeit besteht (Kompetenzausübungsschranke). In Bereichen, in denen der Vertrag der Gemeinschaft keine Zuständigkeit zuweist, eröffnet das Subsidiaritätsprinzips auch keine zusätzlichen Kompetenzen (keine Kompetenzzuweisung). Zu berücksichtigen ist jedoch, dass sich die Zuständigkeitsbereiche der Gemeinschaft über Art. 308 EG erweitern können, wenn ein Tätigwerden der Gemeinschaft zur Verwirklichung der Ziele des Vertrags erforderlich erscheint. Allerdings sieht Art. 308 Abs. 2 des Vertrags von Lissabon eine Informationspflicht der nationalen Parlamente vor.

Kurz gesprochen, muss bei jedem Vorhaben im gemeinsamen Zuständigkeitsbereich, das eines der EU-Organe in Angriff nimmt, geprüft werden, ob es länderübergreifende Aspekte hat, die auf der nationalen - nach dem Vertrag von Lissaon auch auf der regionalen oder lokalen - Ebene nicht ausreichend geregelt werden können. Nur wenn nationale Lösungen allein nicht ausreichen und es Mitgliedsländern schaden könnte, wenn die EU nichts unternimmt, ist die Gemeinschaft am Zug. Das Subsidiaritätsprinzip dient somit als Korrektiv im Vorfeld von Rechtsakten.

Das Subsidiaritätsprinzip ist grundsätzlich gerichtlich überprüfbar. Zunächst entscheiden die Organe der Europäischen Union ob sie tätig werden oder nicht. Diese Entscheidung müssen sie gemäß Art. 253 EG mit einer Begründung versehen, d.h. die Organe können die Kompetenzen nicht ohne weiteres an sich ziehen. Insofern ein Mitgliedsstaat der Auffassung ist, dass ein Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip gegeben ist, kann dieser Klage zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) erheben. Dieser entscheidet dann darüber, ob eine Verletzung vorliegt oder nicht. Die endgültige Entscheidung über die Reichweite und die Auslegung obliegt demnach dem EuGH. Mit dem Vertrag von Lissabon wird das Prinzip durch ein Klagerecht der nationalen Parlamente und des Ausschusses der Regionen gestärkt.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit meiner Antwort weiterhelfen.

Mit besten Grüßen

Dr. Ingo FRIEDRICH, MdEP