Warum werden nicht die ca. 900 000 Reservisten der Bundeswehr aktiviert und stattdessen die Wehrpflicht wieder eingeführt? Was ist hier Ihr Standpunkt?
Sehr geehrter Herr De Masi,
Das BSW ist gegen die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Ich wundere mich, warum das Argument, dass ja 900 000 gut ausgebildete Soldaten unter 65 Jahren zur Verfügung stehen, in der Diskussion keine Rolle spielt. Hiervon sind nur 30 000 beordert, die genaue Zahl kennt Wikipedia nicht und diese ist wahrscheinlich nicht öffentlich. Dass die Wehrpflicht zu einer Vergrößerung der Truppenstärke notwendig ist, erscheint aufgrund dieser Zahlen wenig glaubhaft.

Sehr geehrter Herr L.,
die Wehrpflicht wurde damals abgeschafft, weil es keine Wehrgerechtigkeit mehr gab und die Kapazitäten nicht ausreichten, um alle Wehrpflichtigen zu betreuen. Das Ziel war die Schaffung einer interventionsfähigen Berufsarmee, da sich eine reguläre Wehrpflichtigenarmee nicht für Out-of-Area-Einsätze eignet (die zunehmende Ausweitung des Einsatzgebietes der Bundeswehr, deren Hauptaufgabe die Landesverteidigung ist, sehe ich kritisch).
Die Abschaffung der Wehrpflicht kann man durchaus auch kritisch sehen, da sie dazu beigetragen hat, dass die Bundeswehr zunehmend zu einer Klassenarmee geworden ist, in der vor allem Menschen mit geringeren Berufschancen ihren Dienst verrichten. Dies könnte auch ein Grund dafür sein, dass Politik und Medien weniger kritisch mit Auslandseinsätzen der Bundeswehr umgehen, da Akademikereltern weniger betroffen sind.
Dieser Widerspruch wird auch darin ersichtlich, dass die Anhänger der Grünen Auslandseinsätze der Bundeswehr, beispielsweise in der Ukraine, überproportional befürworten, aber wenn sie gefragt werden, ob sie ihre eigenen Kinder zur Bundeswehr schicken würden bzw. bereit wären selbst zur Waffe zu greifen, die geringste Bereitschaft unter allen Parteien aufweisen.
Vor diesem Hintergrund bin ich jedoch der Auffassung, dass eine Wiedereinführung der Wehrpflicht nicht angezeigt wäre.
Erstens ist diese meines Erachtens nicht nötig, um die Kernaufgabe der Bundeswehr, die Landesverteidigung, sicherzustellen. Die Vorstellung, dass Russland das stärkste Militärbündnis der Welt, die NATO, angreifen würde, gehört meiner Meinung nach in den Bereich der Fantasie.
Zweitens haben wir überhaupt nicht mehr die Kapazitäten, beispielsweise Kasernenstandorte, um Wehrpflichtige in dem erforderlichen Umfang zu betreuen.
Ich halte die Debatte daher für eine Phantomdebatte, die von der Politik geführt wird, um die Eskalationsdynamik in den internationalen Beziehungen zu fördern. Zudem werden so die Beschlüsse zur Hochrüstung untermauert und eine gesellschaftliche Stimmung erzeugt, die die Ursachen des verheerenden Krieges in der Ukraine viel zu wenig in den Blick nimmt.
Mit freundlichen Grüßen
Fabio De Masi