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Claudia Müller
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Frage von Blanca M. •

Frage an Claudia Müller von Blanca M. bezüglich Gesundheit

Guten Tag, ich möchte Sie Fragen was hat Ihnen an den neuen Test so überzeugt, dass Sie dafür gestimmt haben, dass die Infektionsschutzgesetzes geändert werden sollte?
Vielen Dank im Voraus für Ihre Erklärungen.

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Murillo,

der Deutsche Bundestag über das „Dritte Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (3. Bevölkerungsschutzgesetz)“ abgestimmt und ich habe nicht zugestimmt.

Meine Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat es sich nicht leicht gemacht mit dem Votum. Wir haben sehr lange über das Gesetz diskutiert. Meine Kolleg*innen aus der Fraktion haben dem Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen mehrheitlich zugestimmt. Ich habe mich entgegen der Mehrheit gestern meiner Stimme enthalten. Ich möchte Ihnen gerne meine Gründe für diese Entscheidung darlegen.

Vertreten durch meine Fraktionskollegin Manuela Rottmann ist es uns Bündnisgrünen in den vergangenen Tagen noch gelungen, einige grundlegende und wesentliche Änderungen in dem Gesetzentwurf einzubringen. So ist ganz klar positiv zu unterstreichen, dass das verabschiedete Gesetz nun eine zeitliche Befristung beinhaltet. Fortan sind die Rechtsverordnungen auf vier Wochen befristet und die Länder müssen immer aufs Neue begründen, warum welche Maßnahmen für erforderlich gehalten werden, um die Corona-Pandemie einzudämmen. Das dient den Gerichten dann als Grundlage, um zu entscheiden, ob die verhängten Maßnahmen verhältnismäßig sind. Einer der größten vorab geäußerten Kritikpunkt an dem Gesetz konnte somit entschärft werden. Ein Vorteil des gestern verabschiedeten Gesetzes ist daher, dass es mit ihm endlich eine gesetzliche Grundlage gibt, an der die Bundesregierung sowie die Landesregierungen sich gerichtlich messen lassen müssen. Das Gesetz stärkt somit die Möglichkeiten einer gerichtlichen Kontrolle der Anti-Corona-Maßnahmen.

Der Bundestag kann die nationale Pandemielage erklären oder auch wieder aufheben. Allerdings fehlte bislang eine Definition der epidemischen Lage von nationaler Tragweite. Der Gesetzentwurf beseitigt nun diesen Missstand, sodass das Parlament anhand objektiv nachvollziehbarer Kriterien die nationale Pandemielage wieder aufheben kann, wenn es die Corona-Pandemie zulässt, oder eben auch verhängen. Mit dieser Einführung der Definition wurde Klarheit hergestellt. Insgesamt wurde das Parlament gestärkt. Und das ist ganz wichtig. Der Gesetzentwurf schafft damit auch endlich das, was wir als Fraktion Bündnis 90/Die Grünen schon lange fordern: Eine Parlamentarisierung der Pandemiebekämpfung. Die hitzig geführte Debatte um den Gesetzentwurf und die vielen tausend verunsicherten Nachrichten, die uns Abgeordnete in den letzten Tagen erreicht haben, zeigen die Notwendigkeit die Auseinandersetzung um die Anti-Corona-Politik wieder verstärkt in den Bundestag zu holen.

Der Vorwurf, mit diesem Gesetz würde eine Diktatur in Deutschland errichtet, ist falsch und gefährlich. Durch das Gesetz ist die Gewaltenteilung in Deutschland keinesfalls aufgehoben, die grundsätzlichen rechtsstaatlichen Prinzipien gelten weiterhin. Daher lehne ich auch jedwede Vergleiche zur Gesetzgebung der Nationalsozialisten ab und weise sie entschieden als geschichtsrevisionistisch zurück. Eine solche Gleichstellung verhöhnt die Millionen Opfer, die die NS-Diktatur weltweit zu verantworten hat.

Trotz der signifikanten Verbesserungen des Gesetzentwurfs, konnte mich die vorliegende Fassung nicht überzeugen mit Ja zu stimmen.

Seit Mitte Februar war deutlich abzusehen, was auf die Welt und damit auch auf Deutschland zukommt. Seit Mitte März befinden wir uns schließlich fest in der Hand von Corona, kurz unterbrochen durch einen Sommer, in dem die Anzahl der Infizierten durch das gute Wetter begünstigt, wieder gesunken ist.

Nichtsdestotrotz haben es die Koalitionsfraktionen bis eben gestern nicht geschafft, einen vergleichbaren Gesetzentwurf vorzulegen und zur Abstimmung zu bringen. Jetzt, inmitten der zweiten Welle, ist selbstverständlich Eile geboten. Ich erwarte jedoch von den Regierungsfraktionen, dass sie genügend Respekt vor der parlamentarischen Beteiligung haben und sie einen solchen Gesetzentwurf weitsichtig und rechtzeitig mit genügend Raum zur gesellschaftlichen und parlamentarischen Auseinandersetzung einbringen. Diese Erwartung haben die Regierungskoalitionen mit diesem Gesetzgebungsvorgang leider nicht erfüllt.

Die Bündnisgrüne Fraktion hat einen umfassenden Änderungsantrag zu dem Gesetzentwurf eingebracht. Hätte dieser eine Mehrheit im Bundestag gefunden, hätte ich dem Gesetz zustimmen können. Insbesondere zwei Forderungen sind hierbei für mich von entscheidender Bedeutung.

Für meine Stimmenthaltung war letztendlich maßgeblich der unzureichende Schutz der Belange von Kindern und Jugendlichen in dem vorliegenden Gesetzentwurf. Es ist meiner Meinung nach von großer Wichtigkeit, dass die gegen Corona gerichteten Maßnahmen die Rechte und Lebensrealität von Kindern und Jugendlichen berücksichtigen und dass das Kindeswohl bei der Schließung von Gemeinschaftseinrichtungen beachtet wird. Darüber hinaus schützt mir das verabschiedete Gesetz nicht in ausreichendem Maße familienähnliche Formen des Zusammen- und Miteinanderlebens. Ich bin der Überzeugung, dass die Maßnahmen gewährleisten müssen, dass der Schutz von Ehe und Familie einschließlich der Eltern-Kind-Beziehung sowie der von Partnerschaften gesichert ist. Dies schafft der Gesetzentwurf der Regierungskoalition leider nicht im ausreichenden Maße. Mit dieser Kritik stehe ich auch nicht allein in der Fraktion. Für mich persönlich ist diese Fehlstelle jedoch so gravierend, dass ich dem vorliegenden Entwurf nicht zustimmen konnte.

Wir werden uns als Bündnisgrüne Fraktion weiterhin, auch als Opposition, dafür einsetzen, dass diese und weitere Kritikpunkte in die weitere Corona-Gesetzgebung einfließen werden. Eine besondere Herausforderung werden dabei auch mögliche Entschädigungsansprüche sein. Das Gesetz jetzt ist nicht das Ende der parlamentarischen Befassung, sondern die Klarstellung, dass die Parlamente die Entscheidungsträger sind.

Mit freundlichen Grüßen
Claudia Müller, MdB

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