Portrait von Christine Scheel
Christine Scheel
Bündnis 90/Die Grünen
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Christine Scheel zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Gregor B. •

Frage an Christine Scheel von Gregor B. bezüglich Soziale Sicherung

sehr geehrte Frau Scheel,

Ihren verschiedenen Antworten zum Thema Grundeinkommen entnehme ich, das Sie die Einstellung vertreten, dass der Mensch sich im wesentlichen durch seine Erwerbsarbeit definiert und verwirklicht.
Glauben Sie denn wirklich, dass in einer Gesellschaft, in der nur ca. 40% der Bevölkerung überhaupt einer Erwerbsarbeit nachgehen und nach der Zeitbudgetstudie des Statistischen Bundesamtes 2001 nur 56 Mrd. Stunden bezahlter Arbeit immerhin 96 Mrd. Stunden unbezahlter Arbeit gegenüberstehen, Arbeit nur noch durch Geldwerte Entlohnung als wertvoll eingestuft werden kann. Und dass Vollbeschäftigung im Sinne von "alle Erwerbsfähigen bekommen einen Erwerbsarbeitsplatz" noch möglich ist?
Zudem ist offensichtlich, dass mit dem "kleinen" Anteil der erbrachten bezahlten Tätigkeit die gesamte Bevölkerung versorgt werden kann.
Meine Fragen an Sie bleiben:
- Glauben Sie wirklich noch an die Vollbeschäftigung?
- Glauben Sie wirklich noch an den Wert des Menschen durch seine Erwerbsarbeit?

Mit freundlichem Gruß

Gregor Bednarek

Portrait von Christine Scheel
Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Bednarek,

vielen Dank für Ihre Fragen zum bedingungslosen Grundeinkommen. Jeder Mensch ist Teil der Gesellschaft. Mein Arbeitsbegriff umfasst selbstverständlich auch alle denkbaren Arbeiten außerhalb der Erwerbsarbeit sei es in Haushalt und Familie oder ehrenamtliche Arbeit. Ich möchte jedoch den Fokus des gesellschaftlichen Lebens nicht auf Tätigkeiten außerhalb der Erwerbsarbeit verengen. In verschiedenen Lebensphasen eines Menschen kombinieren sich Arbeiten außerhalb der Erwerbsarbeit mit teilweiser und voller Erwerbstätigkeit immer wieder neu. Dies ergibt sich schon allein aus der Tabelle der Erwerbsquoten in den verschiedenen Altersgruppen von Männer und Frauen (vgl. Statistischen Bundesamt, Mikrozensus). Im Jahr 2006 waren danach bei den Männern in der Altersgruppe der 15 bis 20 jährigen nur 33,8 Prozent beschäftigt (z.B. wegen schulischer Ausbildung) und in der Gruppe der 55 bis 60 jährigen 82 Prozent beschäftigt, bei den Frauen in der Altersgrupe der 15 - bis 20 jährigen 27,8 Prozent und bei den 50 - 60 jährigen 65,6 Prozent. Nimmt man die Erwerbsquote der 15 -bis 65 jährigen Männer zusammen beträgt sie 81,1 Prozent und bei den Frauen 68,4 Prozent. Sicher ist, dass in absehbarer Zeit, auch vor dem Hintergrund der weltweiten Rezession, Vollbeschäftigung nicht zu erreichen ist. Trotzdem bin ich der Meinung, dass die schulische, berufliche und wissenschaftliche Ausbildung von Männern und Frauen darauf ausgerichtet sein muss, dass möglichst viele Frauen und Männer den Einstieg in das Erwerbsleben finden. Die Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland im internationalen Wettbewerb hängt von einer möglichst hoch qualifizierten Ausbildung aller Bürgerinnen und Bürger ab. Unser Bildungssystem hat geradezu versagt, um allen Jugendlichen eine echte Chance auf dem Arbeitsmarkt zu eröffnen. Die soziale Selektion in Schule und beruflicher Bildung ,bei dem Versuch von Jugendlichen erfolgreiche Bildungsabschlüsse zu erwerben, ist viel zu groß, als das Deutschland dies weiter hinnehmen darf. Bildungsinvestitionen sind Zukunftsvorsorge für die Innovationsfähigkeit der Gesellschaft. Wir wollen u.a. deshalb den Solidaritätszuschlag im Rahmen der Einkommensteuer in einen Bildungssoli umwandeln.

Der Wohlstand der Gesellschaft, und damit auch die Möglichkeiten die sozialen Sicherungssysteme für alle zu finanzieren, hängt davon ab, dass Deutschland weiterhin weltmarktfähige Produkte hervorbringen kann. Ein bedingungsloses Grundeinkommen lenkt nur davon ab, dass die große Mehrzahl der Bürgerinnen und Bürger sich stark anstrengen muss, um erfolgreich den Zugang zum Erwerbsleben zu finden und auch z. B. nur durch lebenslanges Lernen behalten kann. Arbeiten außerhalb des Erwerbslebens sind ein persönlicher Gewinn für jeden Menschen und geben insb. im Rahmen von ehrenamtlichen Tätigkeiten viel der Gesellschaft zurück, was man selbst seitens der Gesellschaft zur Verfügung gestellt bekommen hat. Die meisten ehrenamtlichen Tätigkeiten werden von Personen ausgeübt, die berufstätig sind oder es in ihrem Leben bereits waren. Ich habe viele Diskussionen in Veranstaltungen und Kongressen zum bedingungslosen Grundeinkommen mitgemacht und bin immer stärker zu der Überzeugung gekommen als noch zu Beginn der Debatte, dass die Modelle des bedingungslosen Grundeinkommens keine Antwort für den notwendigen Zusammenhalt der Gesellschaft sind.

Mit freundlichen Grüßen
Christine Scheel