Portrait von Cem Özdemir
Cem Özdemir
Bündnis 90/Die Grünen
57 %
126 / 223 Fragen beantwortet
Frage von Christian G. •

Frage an Cem Özdemir von Christian G. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Sehr geehrter Herr Özdemir,

der Sprecher der Grünen Partei im Iran hat an Sie einen Protestbrief geschrieben, in dem er sich über den Umgang der Grünen mit seiner Partei und seiner Person beklagt. Letztendlich wirft er den Grünen vor, sich vom theraner Regime instrumentalisiern zu lassen. Der Brief wurde auf dem bekannten Blog: Achse des Guten veröffentlich.
Hier der entsprechende Link:
http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/kazem_moussavi_sehr_geehrter_herr_cem_oezdemir/

Mich interessiert, was sie Herrn Moussavi geantwortet haben und welche Position sie persönlich und welche Position die Grünen hierzu beziehen. Ich bitte um Stellungnahme.

Mit freundlichem Gruß
Christian Goy

Portrait von Cem Özdemir
Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Goy,

der von Ihnen erwähnte Brief war zwar an mich gerichtet, aber da Dr. Kazem Moussavi darin explizit Claudia Roth und ihrem Büroleiter Ali Mahdjoubi im Bundestagsbüro Vorwürfe macht und dabei falsche bzw. unwahre Behauptungen aufstellt, hat Herr Mahdjoubi geantwortet und keine Frage offen gelassen. Das ausführliche Schreiben finden Sie untenstehend.

Mit freundlichen Grüßen

Cem Özdemir

Sehr geehrter Dr. Kazem Moussavi,

Sie beschweren sich darüber, von Bündnis 90/Die Grünen nicht als Vortragender oder als Repräsentant einer Exilpartei eingeladen zu werden, die Sie als „Green Party of Iran“ bezeichnen. Im selben Atemzug polemisieren Sie mit falschen Behauptungen und Unwahrheiten über und gegen Bündnis 90/Die Grünen und einzelne VertreterInnen, so dass wir nicht den Eindruck haben, es mit einem glaubwürdigen Interesse an einer sachlichen Auseinandersetzung zu tun zu haben.

Wir sehen aber vor allem gravierende Unterschiede in der Bewertung der Lage im Iran und der politischen Antworten. Wir möchten klarstellen, dass wir uns als politische Partei in Deutschland und Fraktion im Deutschen Bundestag nur auf der Ebene von Außenpolitik, außenpolitischen Instrumentarien und allgemeiner Menschenrechtspolitik in die Iran-Politik einmischen und einbringen. Wir können und wollen nicht der verlängerte Arm irgendwelcher iranischer Parteien und Organisationen sein. Jeder kann seinem Freundeskreis, seiner Gruppierung und seinen politischen Aktivitäten den Namen geben, den er gut findet. Allein der Namensbestandteil „Green“ bzw. „Grün“ ist kein Zeichen der Verbundenheit mit Bündnis 90/Die Grünen. Auch mit diversen Grünen Parteien in Ländern wie Russland, der Türkei, im Mittelmeerraum und Kaukasus sind wir nicht verbunden. Eine politische Partei entsteht nicht durch einen Namen und ein paar selbsternannte Repräsentanten, sondern aufgrund einer nachprüfbaren materiellen Basis und ihrer Programmatik.

Ich bin derjenige, an den sich viele grüne Aktivisten wenden, wenn sie Fragen zum Thema Iran und Veranstaltungen aufgrund der aktuellen Lage im Iran haben. Bei diesen Anfragen stelle ich, wenn ich auf den Namen „Green Party of Iran“ angesprochen werde, klar, dass ich aufgrund der thematischen Differenzen eine fachliche und politische Zusammenarbeit nicht empfehle und dass die „Green Party of Iran“ in keiner Weise mit Bündnis 90/Die Grünen verbunden ist. Des Weiteren weise ich darauf hin, dass die politischen Ansichten Ihrer Gruppierung im Ergebnis sowohl der Politik der „Volksmojahedin“ (Mojahedin-e Khalq-e Iran – MEK) und ihrem politischen Arm „NWRI“ (Nationaler Widerstandsrat Iran) als auch Forderungen der so genannten „„antideutschen Linken“ nahe stehen. Diese Sicht wird durch die einseitigen Ausführungen Ihres polemischen Schreibens bzw. durch Ihre Rede auf der von „Stop the Bomb“ am 05.08.09 organisierten Kundgebung eindrucksvoll belegt. Deshalb liegt nahe, dass wir Sie nicht als Referenten auf grünnahen Veranstaltungen empfehlen.

In der Vergangenheit haben wir den schwierigen Versuch unternommen, die Menschen im Iran bei ihrer Suche nach mehr Freiheiten und einer Öffnung des Landes zu unterstützen. Keine andere politische Kraft in Deutschland hat sich derart engagiert mit den Menschen im Iran und mit den Aktivitäten der Iraner im Exil solidarisiert. Dies als „Appeasement“ zu disqualifizieren, ist angesichts der aktuellen Lage – Schauprozesse gegen die von Ihnen und Ihren Freunden verteufelten Reformer, massive Gewalt gegen all jene, die gewaltfrei für tiefgreifende Reformen im politischen System der Islamischen Republik Iran, für mehr Freiheiten und eine pragmatischere und rationalere Politik auf die Straße gehen – nicht anders als zynisch zu bezeichnen. Selbst die Unterstützung für die protestierenden Studenten, Menschenrechtler, Journalisten und andere Reformer, die derzeit Millionen Menschen im Iran auf die Straße bringen, sehen Sie als Teil einer „Appeasementpolitik“.

Es sind Anwälte, Menschenrechtler, Frauenrechtlerinnen, Journalisten, Politiker und Geistliche vom Reformlager der Islamischen Republik, Schriftsteller und Filmemacher – darunter besonders viele Frauen - die bei diesen Protesten ganz vorne stehen. Filmemacher und Künstler beispielweise, gegen deren Einladung und Präsenz Sie auf der letzten Berlinale mit einer Handvoll Ihrer Vertrauten vor dem Berlinale-Palast protestierten und den Festspielleiter Dieter Kosslick als „Ayatollah Kosslick“ zu diffamieren versuchten. Angesichts dessen fragen wir uns, wen Sie meinen, wenn Sie reklamieren, für „das iranische Volk“ zu sprechen.

Es gibt im Iran derzeit keine Partei und keine Massenbewegung, die für eine sofortige Abschaffung der Islamischen Republik eintritt. Trotzdem behaupten Sie, es ginge nun um die Durchsetzung eines „Regime Change“ oder „Systemwechsel“ im Iran. Wunschdenken können wir nicht als politisches Programm unterstützen.

Die Iranerinnen und Iraner haben in den letzten Wochen eindrucksvoll bewiesen, dass ihr Wunsch nach mehr Freiheiten und Reformen überwältigend ist und von Millionen von Menschen geteilt wird. Diese Menschen glauben daran, dass es möglich ist, die ideologisch verbohrte und auf Unterdrückung und Ausgrenzung setzende Regierung von Ahmedinedschad zugunsten einer moderateren Regierung zu beenden. Diesen Menschen sprechen Sie ihre Stimme ab, wenn Sie behaupten, es ginge nun einzig und allein um eine „Abschaffung des Regimes“. Sie schreiben, die Menschen im Iran würden „Nieder mit dem islamischen Regime“ schreien. Das stimmt nur zum Teil. Sie rufen aber auch im ganzen Land und unüberhörbar wie 1979 „Allahu Akbar“ und nehmen damit Bezug auf die Revolution vor 30 Jahren, die sie nicht den fundamentalistischen Hardlinern überlassen wollen. Auch viele Kleriker, also „Mullahs“ - immer noch der Schlüsselbegriff in Ihren politischen Analysen und denen der MEK - setzen sich mit viel Mut für mehr Freiheiten und demokratische Rechte im Iran ein. In Ihren Äußerungen möchten Sie gar die Verhältnisse in der irakischen Kaserne „Ashraf-City“ auf die Straßen Teherans übertragen sehen. Damit beweisen Sie, wie entfernt Ihr Wunschdenken von den Realitäten des Landes ist.

Die Alternative, von der Sie schreiben, nämlich entweder eine „Bewegung für einen demokratischen säkularen Iran oder das Islamische Regime zu unterstützen“ existiert also so im Iran nicht. Sie ist ein Konstrukt im virtuellen Raum. Die Alternative heißt derzeit entweder eine delegitimierte fundamentalistische Regierung von Ahmadinedschad und der ihn unterstützenden Revolutionsgarden oder eine gemäßigte Regierung unter und mit den Reformern, die mehr Freiheiten zuließe. Wir unterstützen den Kampf der Menschen im Iran in diesem Sinne. Wir solidarisieren uns mit ihnen, ohne ihnen unsere Vorstellungen von Irans Zukunft vorschreiben zu wollen. Das entscheiden die Iraner selbst und keine politischen Kräfte von außerhalb.

Wir wünschen uns einen demokratischen und freiheitlichen Iran, in dem die Menschenrechte geachtet werden. Bis dahin ist es noch ein langer Weg. Wir solidarisieren uns mit der Reformbewegung im Iran und den aktuell Protestierenden. Und wir sind der Meinung, dass Deutschland und die EU eine Politik betreiben müssen, die diese Menschen aktiv unterstützt. Dafür bedarf es einer Öffnung des Irans, nicht einer weiteren Abschottung. Wie die USA unter Obama sollte die EU den intensiven Dialog mit dem Iran unterstützen. Dieser Dialog hat die Hardliner in Teheran bereits mehr in Bedrängnis gebracht als die Kriegsrhetorik unter George Bush.

Interessant ist übrigens auch ein anderer Punkt in Ihren Stellungnahmen: Die verheerend falsche Politik von George Bush findet keine „Würdigung“ in der langen Liste der Fehler in der Iran-Politik des Westens, die wesentlich zur Stabilisierung der Macht von Ahmadinedschad & Co. beigetragen hat. Gezielte Sanktionen im Nuklearbereich oder gegen einzelne Regimevertreter können sinnvoll sein, um im anhaltenden Atomstreit das iranische Atomprogramm zu verlangsamen. Wer aber wie George Bush nur auf Sanktionen und eine Isolation des ganzen Landes setzt, wird im Iran keine Veränderungen zum Positiven bewirken. Im Gegenteil – eine solche Politik wird Ahmadinedschad und seinen Verbündeten in die Hände spielen.

Kurz möchte ich hier auf einige Ihrer Behauptungen eingehen, die falsch und unwahr sind:

- Prof. Dr. Mohssen Massarat ist ein angesehener und anerkannter Politikwissenschaftler und Iran-Kenner, der aber nie Mitglied der Grünen Partei gewesen ist.

- Bündnis 90/Die Grünen haben keinerlei Beziehungen zur CASMII (Campaign Against Sanctions and Military Intervention in Iran). Es ist allerdings das gute und überaus demokratische Recht der anderen, eine Gruppe zu bilden, die andere Positionen vertritt als Sie.

- Die Union der Republikaner Irans (Ettehade Jomhourikhahane Iran - EJI) ist keine Grüne Partei und will es auch nicht sein. Die Tatsache, EJI zu Veranstaltungen einzuladen, liegt an der nachweisbaren materiellen Basis dieser Gruppierung, deren Gründungsaufruf Tausende Iranerinnen und Iraner unterschrieben haben. Sie ist vor allem keine virtuelle Organisation um einen Kreis weniger Personen.

- Es ist unwahr, dass die „Green Party of Iran“ auf eine 10-jährige Geschichte zurückblickt. Ende 2001 hatten Sie sich noch zwecks Gründung einer solchen Partei an uns in der Bundesgeschäftsstelle von Bündnis 90/Die Grünen gewandt. In langen Gesprächen habe ich Ihnen versucht zu verdeutlichen, dass Exil-Parteien nicht in den Genuss von Steuerprivilegien und der staatlichen Parteienfinanzierung in Deutschland kommen können. Ihr Rechtsverständnis und Rechtsempfinden fand ich schon damals erschreckend und problematisch. Ihre Ansichten, was die Grüne Partei Deutschlands für einen Regimewechsel bzw. „Umsturz“ im Iran unternehmen müsste, passten schon damals in keiner Weise zum Programm von Bündnis90/ Die Grünen.

- Die Heinrich-Böll-Stiftung leistet eine Avantgardearbeit in vielen Ländern und Krisenregionen, die von Gewalt und Staatszerfall geprägt sind. In diesem Zusammenhang fördert sie Programme zur Stärkung der Zivilgesellschaft, zur Konfliktbearbeitung, zur Versöhnung, zum Wiederaufbau demokratischer Institutionen und zur Entwicklung der Parteiendemokratie. Diesem Ziel dienen auch Programme, die die Stiftung hier in Deutschland realisiert. Ihre haltlose Kritik daran wiederholt nun die Diffamierung und Ablehnung dieser Arbeit durch die Machthaber in vielen Ländern und Regionen mit Demokratiedefiziten und autokratischen bis willkürlichen Herrschaftssystemen.

- Die zahlreichen anderen Unterstellungen in Ihrer Stellungnahme, von der offenen Kooperation mit dem Regime bis zur versteckten Unterstützung für das Regime der Islamischen Republik, sind schlicht und ergreifend haltlos und absurd. Entlarvend sind hierbei das Schimpfwortarsenal und die fadenscheinige Rhetorik von Organisationen wie MEK & Co.

Viele Iranerinnen und Iraner haben bittere, schlimme Erfahrungen mit der Islamischen Republik gemacht, Unrecht und Folter erfahren. Sie leben im Exil, und Ihre Sichtweise ist davon geprägt. Davor haben wir großen Respekt und wir sind gerne bereit, den Dialog über die deutsche und europäische Politik gegenüber dem Iran zu führen – für die Menschen im Iran, für die Menschen in der ganzen Region und angesichts des Atomstreits auch für jene, die sich gerade in Israel von der Möglichkeit einer iranischen Atombombe bedroht fühlen.

Die aktuellen Kundgebungen und Demonstrationen von Exiliranern in Deutschland und in der ganzen Welt haben eindrucksvoll manifestiert, wie sektiererisch und marginalisiert die Positionen sind, die Sie auf Ihre Fahnen geschrieben haben. All diejenigen, die die Entwicklungen im Iran und unsere Iranpolitik interessiert verfolgen, können anhand Ihrer Ansichten und unserer bisherigen Positionen sehr schnell feststellen, dass die Partei Bündnis 90/Die Grünen Sie und Ihre Gruppierung inhaltlich, politisch und personell nicht unterstützen kann und wird. Dass wir Ihre Haltung unterstützen, die auf eine Ablehnung der Reformbewegung im Iran und eine weitere Eskalation des Atomstreits hinausläuft, können Sie von uns nicht ernsthaft erwarten.

Mit freundlichen Grüßen

Ali Mahdjoubi
Büro Claudia Roth MdB

Was möchten Sie wissen von:
Portrait von Cem Özdemir
Cem Özdemir
Bündnis 90/Die Grünen