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Birgit Reinemund
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Frage von Steffen R. •

Frage an Birgit Reinemund von Steffen R. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrte Frau Dr. Reinemund,

ich glaube nicht, daß die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland von den zugegebenermaßen doch recht hohen Lohnkosten in Deutschland verursacht wird. Eine Senkung der Lohnkosten und der Lohnnebenkosten in Deutschland würde wohl diesen Trend nicht entscheidend beeinflussen. Beispielsweise denken deutsche Betriebe mittlerweile darüber nach, auf Grund der gestiegenen Lohnkosten in Polen und Tschechien ihre dorthin verlagerten Produktionsstätten bzw. Arbeitsplätze noch weiter nach Osten zu verschieben. Das Kapital wandert immer dahin ab, wo es die größte Rendite erwirtschaftet. Das zu verhindern würde eine wirklich radikale Senkung der Lohnkosten voraussetzen, was allerdings wiederum die Kaufkraft erheblich in Mitleidenschaft ziehen würde. Im übrigen betrifft diese Situation nicht nur Deutschland, sondern alle europäischen Industriestaaten. Daß Deutschland der Staat in der EU ist, den die derzeitige Situation besonders hart trifft, hat wohl eher mit den Ereignissen der jüngsten deutschen Geschichte zu tun und nicht mit zu hohen Arbeitsplatzkosten.

Ein interessantes Beispiel bieten zur Zeit die USA. Dort werden viele Arbeitsplätze vor allem in den großen, traditionellen, nationalen Unternehmen in die VR China verlagert. Warum aber findet man in den USA dann keine Zunahme der Arbeitslosigkeit (vorausgesetzt, die Statistiken der US-amerikanischen Behörden sind glaubhaft)? Weil die ausgelagerten Arbeitsplätze durch viel schlechter bezahlte Arbeitsplätze in der Dienstleistungsindustrie ersetzt wurden, Arbeitsplätze, die bisher bevorzugt von Einwanderern aus Lateinamerika und Asien bekleidet wurden. Diese Situation birgt für die Zukunft erheblichen sozialen Sprengstoff und treibt die USA in eine gefährliche wirtschaftliche Abhängigkeit von einem Land, in dem die Demokratie nicht Fuß gefaßt hat, das die Menschenrechte mißachtet, das politisch unberechenbar ist und schwächere Staaten und kürzlich auch die USA selbst mit Krieg bedroht hat, und in dem die Arbeitskraft und die Gesundheit der Menschen ausgebeutet wird wie zu den schlimmsten Zeiten des Manchesterkapitalismus’.

Also keine guten Zukunftsaussichten, oder?

Mit freundlichen Grüßen

Steffen Roth

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Roth,

die Arbeitskosten halte ich nach wie vor für den Hauptgrund der Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland. Weitere Faktoren für die Verlagerung von Standorten bzw. für Investitionsentscheidungen in anderen Ländern statt in Deutschland sind unsere überbordende Bürokratie, unser kompliziertes, kaum überschaubares Steuerrecht und die Höhe der Staatsquote. Auch unser Arbeitsrecht und aktuell die Energiepreise spielen bei Standortsentscheidunge eine Rolle.

Der Faktor Arbeit muss international wettbewerbsfähig sein. Das heißt jedoch nicht, dass Deutschland zu einem Niedriglohnland werden muß, um mit slowakischen oder chinesischen Löhnen mithalten zu können. Das müssen wir nicht! Investitionsentscheidungen hängen nicht nur von den Lohnkosten ab, sondern auch von Infrastruktur, Qualifikation der Arbeitnehmer, rechtlichen Rahmenbedingungen, Zulieferbetrieben etc. Wir dürfen so viel teurer sein, wie wir besser sind, aber eben nicht mehr!

Folgende Maßnahmen halte ich für dringend notwendig, um eine Stärkung des Standorts Deutschland zu erreichen:
- Förderung von Forschung & Entwicklung, Wissenschaft und Innovation
- Investition in Bildung, Ausbildung, Qualifikation
- Kostensenkungen durch rigorosen Bürokratieabbau und Subventionsabbau
- Strukturreform des Steuersystems hin zu einem einfachen, niedrigerem, gerechten Steuerrecht
- Strukturreform der Sozialsysteme mit dem Ziel, soziale Absicherung zu erhalten, ohne die Lohnnebenkosten weiter in die Höhe zu treiben.
- Ergänzung niedrigerer Löhne Geringqualifizierter durch staatliche Lohnzuschüsse (Kombilohnmodell) statt Mindestlöhne auf hohem Niveau verhindert weiteren Abbau von geringqualifizierten Arbeitsplätzen, ohne amerikanische Verhältnisse herauf zu beschwören.

Wir müssen den Mut aufbringen, die notwendigen strukturellen Veränderungen zügig und konsequent umzusetzen. Leicht wird es nicht. Aber ich bin überzeugt, dass Deutschland das Potential hat, im globalen Wettbewerb zu bestehen.

Freundliche Grüße
Dr. Birgit Reinemund