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Bettina Hagedorn
SPD
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Frage von Simon H. •

Frage an Bettina Hagedorn von Simon H. bezüglich Recht

Sehr geehrte Frau Hagedorn,

unser Bundesinnenminister hat eine "Internierung", ein Internet und Handyverbot für "Gefährder" verlangt, ebenfalls das selbige als "Kombattanten" eingestuft werden sollen.

Ebenfalls soll die gezielte Tötung von Verdächtigen erlaubt werden.

Wie denken Sie über solche Maßnahmen der Terrorismusbekämpfung? Wie stehen Sie zu dem Thema das der Staat die "Befugnis" erhalten soll Menschen zu töten oder in Internierungsgewahrsam zu nehmen.

Der Einsatz der Bundeswehr im Inneren ist ebenfalls per Grundgesetz verboten, wurde jedoch bereits beim G8-Gipfen praktiziert und sogar Frau Merkel selbst möchte den Einsatz im allgemeinen erlauben.

Wie halten Sie davon das die Bundeswehr verfassungswidrig gegen das eigene Volk eingesetzt wurde und werden soll?

Und wer sind die Terroristen die uns bedrohen? Wenn man Ihren Politiker-Kolligennen und Kollegen glaubt ist die Gefahr allgegenwärtig, doch wer genau sind die Terroristen die uns unmittelbar bedrohen?

Und wieso steht in keiner Tages-Zeitung etwas über die Präventiv-Maßnahmen wie z.B. die geplante heimliche Überwachung von Computern oder die oben genannten Einsätze der Bundeswehr gegen die eigenen Bürger oder die geplanten Tötungen von Menschen? All diese Forderungen sind durch das Grundgesetz verboten und das zu Recht.

Letztlich möchte ich anmerken das ich es mehr als unverschämt finde, das die Politiker sich anmaßen wollen und glauben das Grundgesetz nach Ihren eigenen Wünschen anpassen zu können. Es erscheint normal das einige Ihrer Politiker-Kolleginnen und Kollegen diese uns unter dem Deckmantel der Terrorismus-Bekämpfung uns die Freiheiten nehmen können, die sich viele Bürger unter Einsatz Ihrer Leben erkämpft haben, aber 99% der Bürger scheinen der Meinung zu sein das sie geschützt werden müssen, gegen die Terroristen deren Namen nicht genannt werden, da sie wohl auch nicht bekannt sind, bzw. existieren

Ich bedanke mich das Sie sich die Mühe gemacht haben meine lange Frage zu lesen und zu beantworten.

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Hamelau!

Es freut mich, dass sie über das Programm Abgeordnetenwatch einen regen Anteil insbesondere am innenpolitischen Geschehen nehmen und mir damit Gelegenheit geben mich als zuständige Hauptberichterstatterin im Haushaltsausschuss für das Innenministerium in Bezug auf kritische Fragen der Rechts- und Sicherheitspolitik zu äußern. Ihre Frage bezieht sich wie schon die vorangegangenen Fragen vom 14.2.07 und vom 23.4.07 auf Bereiche, die insbesondere durch öffentliche Äußerungen von Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) kontrovers auch in der großen Koalition diskutiert und bewertet werden. Meine sehr eindeutigen Antworten zu diesen Fragen sind im Netz seit dem 14. Februar und 23. April öffentlich einsehbar, darauf nehme ich hier Bezug. Innenminister Schäuble ist in der Vergangenheit wiederholt durch Alleingänge in den Medien hervorgetreten, die ihm außer der Kritik der Opposition auch stets die Kritik des Koalitionspartners einbrachten und die ausdrücklich auch von Bundespräsident Horst Köhler geteilt wird. Als Sozialdemokratin sehe ich diese Vorstöße äußerst kritisch, zumal Wolfgang Schäuble damit teilweise klare Regelungen des Koalitionsvertrags verletzt, beziehungsweise die geltende Verfassung und die darin definierten Grundrechte missachtet. Als Bundesinnenminister ist es meiner Auffassung nach seine Pflicht, die Verfassung zu wahren und zu verteidigen, anstatt sie in Frage zu stellen. Dort wo - nach Schäubles Meinung – verfassungsabweichende Denkanstöße gemacht werden sollten, gebieten es der politische Anstand und eine erfolgreiche politische Praxis, diese zunächst mit dem Koalitionspartner, dem Parlament und dem Bundesrat im Konsens mehrheitsfähig zu machen, da Zweidrittelmehrheiten in beiden Häusern für eine Verfassungsänderung erforderlich wären. Zurzeit kann ich dafür keinen entsprechenden Konsens erkennen. Jede öffentliche Debatte in der von Schäuble gewählten Form führt zwar zu bundesweiten Schlagzeilen, aber zu keiner politischen Lösung, sondern verunsichert nur unnötig die Bürger.

Der Einsatz der Bundeswehr im Inneren ist im Koalitionsvertrag im Sinne der von der SPD schon immer vertretenen Ablehnung einer Grundgesetzänderung über Hilfeleistungen im Inland hinaus eindeutig geregelt: „dementsprechend dient die Bundeswehr […] den Hilfeleistungen im Inland.“ Die SPD hält im Gegensatz zu Schäuble an den Bestimmungen im Koalitionsvertrag fest. Der Einsatz der Tornados über Heiligendamm war nicht mit SPD-Innenpolitikern abgestimmt und wurde heftig auch von der SPD kritisiert.

Entschieden trete ich gegen die Todesstrafe ein und so kann ich auch der Forderung des Innenministers nach Legalisierung für gezielte Tötungen von Terroristen keinesfalls auch nur im Ansatz zustimmen, denn derartiges ist nur im Falle der Notwehr zulässig. Ich kann es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, Verdächtige, wie von Schäuble gefordert, vor zu verurteilen und sie, wie in Guantánamo, in ihren Grundrechten einzuschränken. An dieser Stelle vertritt die SPD insgesamt ganz unmissverständlich andere Positionen als die, die in ihrem Brief angesprochen wurden.

Von besonderer Brisanz ist in der aktuellen Debatte innerhalb der Koalition das Thema „verdeckte Onlinedurchsuchung“. Wie bereits vielfach in den Medien dargestellt, vertritt stellvertretend für die SPD die Bundesjustizministerin Brigitte Zypries in diesem Punkt eine eindeutig restriktivere Position als Schäuble, die ebenso von dem Bundesdaten-schutzbeauftragen Peter Schaar gestützt wird. Im Haushalt 2007 wurden im Rahmen des „Sicherheitspakets“ PSIS unter dem Eindruck der Kofferbombenanschläge von Koblenz im Sommer 2006 Mittel auch für die Forschung und Entwicklung zur Vorbereitung von Onlinedurchsuchungen zur Verfügung gestellt, nachdem das Innenministerium schriftlich den Haushaltssauschussmitgliedern die Verfassungskonformität dieser Maßnahmen zugesichert hatte. Nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 5. Februar 2007 musste das Innenministerium einräumen, dass diese Gelder verfassungskonform nur ausgegeben werden können, wenn entsprechende Gesetzesänderungen zuvor Bundestag und Bundesrat erfolgreich passiert haben. Das ist bisher weder geschehen noch in Bundestag und Bundesrat politischer Konsens und damit aktuell nicht mehrheitsfähig. Im Haushaltsausschuss hat das Innenministerium im April 2007 nach einer Debatte zu diesem Thema erklärt, dass behördenintern jegliche Mittelausgabe für 2007 zu diesen Zwecken gestoppt sei bis gesetzliche Regelungen in Kraft sind. Dieser Konflikt wird ab September den Haushaltsausschuss sowohl für die Mittel 2007 als auch für den Haushalt 2008 mit Sicherheit weiter beschäftigen. Ich persönlich vertrete auch künftig die Auffassung, dass ohne rechtliche Grundlagen diese Mittel nicht ausgegeben werden dürfen. Juristisch sind entsprechende Fragen vorrangig im Bundesjustizministerium zu klären.

Der in Ihrem Brief deutlich gewordenen Einschätzung zur Gefahr terroristischer Anschläge in Deutschland widerspreche ich energisch. Ihre geäußerte Schlussfolgerung, dass namentlich nicht zu benennende Terroristen nicht existent seien, halte ich für absurd. Auch innerhalb der SPD ist die aktuelle Terrorgefahr unbestritten und sie zu leugnen wäre realitätsfern. Nehmen sie den missglückten Kofferbombenanschlag in Deutschland im letzen Jahr: Die Täter waren bis dato völlig „unbeschriebene Blätter“, sie besaßen eine hohe kriminelle Energie und nahmen den möglichen Tod vieler unschuldiger Zivilisten nicht nur billigend in Kauf, es war sogar das erklärte Ziel des geplanten Anschlags. Dass dieser Anschlag im Ansatz gescheitert ist, war vor allem Glück für die deutschen Sicherheitsbehörden und hatte seine Ursache in der mangelnden Professionalität der Täter. Weiter auf solche Umstände zu hoffen, wäre unverantwortlich. Wir Politiker sind in der Verantwortung und müssen uns auf die sich verschärfende Bedrohungslage einstellen – unsere Bürgerinnen und Bürger haben einen Anspruch auf höchstmögliche Sicherheit, wie sie in einer Demokratie bei Beibehaltung der freiheitlichen Grundrechte gewährleistet werden kann. Ich halte es für zwingend notwendig, die Sicherheitsorgane für die veränderten Strategien der Terroristen und den Einsatz ihrer Mittel zu wappnen – dazu gehört eventuell auch, weiterführende gesetzliche Instrumente zur Verfügung zu stellen. Die SPD ist jedoch strikt gegen den Ausverkauf von Grundrechten, sondern für einen geregelten parlamentarischen Prozess sowie eine enge Abstimmung zwischen Bund und Ländern. Nicht nur der schleswig-holsteinische Innenminister Ralf Stegner hat sich in der Vergangenheit äußerst kritisch mit den Schäuble-Vorstößen in den Medien auseinandergesetzt – andere Innenminister der Länder haben ähnliche Bedenken, so dass die erforderliche Mehrheit im Bundesrat auch erst noch hergestellt werden müsste.

Die Gefahr des Terrorismus besteht unzweifelhaft und nimmt aktuell weiter zu. Deutschland ist mit Sicherheit kein europäisches Land, das von den Terroristen gezielt verschont werden würde. Im Gegenteil: Gerade im September 2007, wenn der Bundestag drei wichtige Abstimmungstermine zu den Auslandseinsätzen in Afghanistan wahrzunehmen hat, kann nicht ausgeschlossen werden, dass Terroristen Anschläge gezielt planen, um durch nationalen Druck von Bevölkerung und Medien die politischen Entscheidungsträger massiv zu beeinflussen. Offensichtlich ist, dass die Terroristen in Afghanistan über die innenpolitische Stimmung in allen Teilnehmerstaaten von ISAF bestens informiert sind und das Ziel haben, wichtige Partner aus dieser Allianz herauszubrechen und in den betreffenden Staaten nationale politische Entscheidungen in ihrem Sinne durch Anschläge zu erzwingen. Damit lastet auf den deutschen Bundestagsabgeordneten – da wir glücklicherweise eine Parlamentsarmee haben – eine hohe Verantwortung und ein enormer Druck. Dem müssen wir standhalten und unsere Entscheidungen sorgfältig abwägen, was teilweise eine schwierige Gratwanderung verschiedenster Belange nicht nur der Innen- sondern auch der Außen- und Entwicklungspolitik bedeutet. Klar ist, dass wir in dieser Diskussion nicht unsere freiheitlich-demokratischen Werte als einen wichtigen Aspekt vergessen dürfen und werden, denn sonst hätten die Terroristen eines ihrer Ziele fast erreicht. Unser Rechtsstaat lässt sich nur erhalten, indem wir die Verfassung respektieren, statt sie auszuhöhlen.

Mit freundlichen Grüßen
Bettina Hagedorn

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