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Frage von Erik S. •

Frage an Axel Berg von Erik S. bezüglich Recht

Sehr geehrter Herr Dr. Berg

schade daß Sie fast ein volles Jahr für eine Antwort auf meine Frage brauchten - trotzdem Danke für Ihre ausführlichen Erläuterungen.
Ich verstehe Ihren Standpunkt nun besser, aber leider ist mir noch nicht klar, washalb sie die verdachtslose Vorratsdatenspeicherung als "verhältnismäßig" billigen.
Mir scheint Ihnen ist die Tragweite dieser Maßnahme nicht vollständig bewußt. Ich würde sie daher gerne aus technischer Sicht noch einmal beleuchten und anschließend eine Stellungnahme Ihrerseits erwarten:
Wenn von 80Millionen Bundesbürgern diese Daten auf Vorrat gespeichert werden sind mehr als 99,999% davon unverdächtige Bürger und es wird somit in deren Privatheit eingegriffen.
Die Daten liegen unverschlüsselt und ungesichert bei privaten Providern. Da es in Deutschland 1000ende Provider gibt, können auf diese Daten potentiell mehrere Tausend Personen zugreifen, nämlich alle Administratoren und Berechtigte für dieses Systeme. Auch wenn es diesen Personen nicht erlaubt ist auf diese Daten zuzugreifen (vermutlich organisatorische Regelungen - wenn überhaupt), kann nicht verhindert werden, daß Daten "verloren" gehen. Als Beleg dieser Vermutung weise ich auf die verschiedensten Datenlecks im In- und Ausland hin. Darüber hinaus gibt es ein massives privatwirtschaftliches Interessenspotential an diesen Daten in der Medienindustrie (Thema Filesharing), der Werbeindustrie (Thema Profilbildung) und Krimineller (Thema Abmahnung).
Gerade die Möglichkeit personalisierter Profilbildung macht mir Angst und diese ist eben durch Artikel 1 (Menschenwürde) geschützt.

Wo bitte sehen Sie hier die Verhältnismässigkeit?
Für Rückfragen - auch technischer Natur stehe ich gerne zur Verfügung.

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Schaber,

danke für Ihre Frage vom 15. Mai zur Vorratsdatenspeicherung.

Sie schreiben, dass durch die Speicherung der Daten in die Privatheit der Bürger eingegriffen wird, weil sie unverdächtig sind. Tatsache ist aber doch, dass genau diese Daten schon vor der Vorratsdatenspeicherung für bis zu 3 Monate zur Erstellung von Rechnungen und Einzelaufstellungen (für die viele Kunden sogar extra zahlen!) gespeichert wurden. Daher finde ich das schon verhältnismäßig, wenn man bedenkt, dass sich am Ist-Status nicht viel ändert. Schon vor der Vorratsdatenspeicherung lagen diese Daten bei den Providern - was im übrigen viele Gegner des Gesetzes befürworten, weil es eben bedeutet, dass nicht der Staat diese Daten speichert. Ihr Verweis auf die 99% nicht betroffener Bürger ist zwar beeindruckend, aber für einen Gesetzgeber nicht wirklich hilfreich. Gesetze gelten immer für alle, auch wenn nur verschwindend wenige gemeint sind. Denken Sie beispielsweise an die 99%, die sich nie Massenvernichtungswaffen anschaffen oder kleine Kinder vergewaltigen würden. Trotzdem ist beides für alle verboten, auch für die 99% der Unverdächtigen.

Wie Sie ja wissen, wurde das Gesetz auf EU-Ebene initiiert nach den Attentaten von Madrid, als Bomben mit Handys auf Entfernung gezündet wurden. Aus diesem Sachverhalt ist die Erkenntnis gewachsen, dass neue technische Mittel Terroristen neue technische Schlupflöcher bieten. Aber: So sehr mir diese schwierige Problematik bewusst ist, so sehr wächst in mir aber auch das Gefühl, dass es jetzt einfach reicht mit dem gläsernen Bürger.

Denn wenn man sieht, was in den letzten Wochen für erschreckende Neuigkeiten ans Licht kommen (Telekom hört Journalisten ab, Lidl bespitzelt seine Angestellten, der BND hört weiterhin Journalisten ab, und die Finanzminister Huber unterstellte bayerische Lotterie späht Vertragspartner mit Trojanern aus) wird einem klar: in Deutschland hat sich eine Kultur des Datenmissbrauchs ausgebreitet. Heutzutage gibt es mehr und größere Datenquellen als je zuvor: Suchmaschinen im Internet schreiben ein Protokoll über jede Anfrage, die kommt. Versicherungskonzerne haben sich ein System ausgedacht, um sich darüber auszutauschen, welcher Kunde wie oft nach einer Lebensversicherung oder einer Vollkaskoversicherung fürs Auto fragt. Banken und Versandhändler greifen auf Datenbanken der Schufa und Adresshändler wie Schober zurück. Private Dienstleister haben fast jedes Haus in Deutschland fotografiert, um den Wohlstand der dort lebenden zu messen. Auf google earth können Sie Ihre gesamte Nachbarschaft von oben betrachten. Und in der Londoner Innenstadt wird jeder Fußgänger im Schnitt 300 mal am Tag videoüberwacht, obwohl angeblich gerade mal 3% der in dieser Zeit begangenen Delikte dank der Kameras aufgeklärt werden. Je weiter die Technik voranschreitet, desto größer wird die Verlockung und damit auch der Missbrauch. Liberale Gesellschaften wie die unsere müssen neu bestimmen, was sie erlauben wollen und was nicht, wo die Verantwortung des Einzelnen liegt, wo die der Wirtschaft und wo die des Staates.

Ein Anfang in dieser Neubestimmung ist gemacht: das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass konkrete Anhaltspunkte für Leib, Leben oder den Bestand des Staates gegeben sein müssen, um die Onlinedurchsuchung durchzuführen und ein Art Persönlichkeitsrecht am eigenen PC postuliert. Derzeit arbeitet auch das Bundesinnenministerium an einem Gesetz, das die Verbraucher vor der Datenlust der Wirtschaft schützen soll. Trotzdem: die größte Aufgabe muss jeder alleine meistern. Unternehmen stehlen die Daten nicht, die sie missbrauchen. Sie bekommen sie von ihren Kunden, und gegen solchen elektronischen Exhibitionismus kann kein Staat schützen (ich erinnere nur an Seiten wie facebook.com oder myspace.com). Was erzählt man im Internet, was nicht? Will man wirklich für 2% Rabatt die Kundenkarte nutzen und sein Einkaufsverhalten speichern lassen? Diese Entscheidung muss jeder selbst treffen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Axel Berg MdB