Bitte um Transparenz zu diplomatischen Maßnahmen und Szenarioannahmen in Bezug auf einen möglichen Krieg mit Russland
Sehr geehrte Frau Tesfaiesus,
mit Sorge habe ich jüngste Aussagen von Patrick Sensburg, dem Präsident des Deutschen Reservistenverbandes, über mögliche tägliche Verluste deutscher Soldatinnen und Soldaten im Ernstfall zur Kenntnis genommen (1.000 getötete oder verletzte pro Tag!).
Ich bitte um schriftliche Auskunft zu folgenden Punkten:
1. Auf welche Szenarien und Quellen stützen sich die genannten Verlustschätzungen?
2. Welche diplomatischen Maßnahmen werden derzeit priorisiert, um ein solches Szenario aktiv zu verhindern?
3. Warum wird in öffentlichen Aussagen selten betont, dass Kriegsvermeidung oberste Priorität besitzt und welche Mittel dazu ausgeschöpft werden?
4. Wie stellen Sie sicher, dass Sprache, die Menschen als „ersetzbar“ erscheinen lässt, öffentlich nicht normalisiert wird?
Vielen Dank für Ihre Rückmeldung.
Mit freundlichen Grüßen
Andreas S.
Sehr geehrter Herr S.,
vielen Dank für Ihre Anfrage.
Die Dynamik eines Krieges lässt sich nie präzise vorhersagen. Auch ein möglicher Angriff Russlands auf NATO-Gebiet wäre ein Szenario, bei dem weder Zeitpunkt noch konkrete Verlaufsform prognostiziert werden können. Genau deshalb ist die Bundesregierung gefordert, alle politischen und diplomatischen Mittel auszuschöpfen, um Eskalationen zu verhindern und Sicherheit in Europa zu stärken.
Angesichts der Tatsache, dass Frieden und Stabilität in Europa keine Selbstverständlichkeit mehr sind, gerät die Bundeswehr zunehmend als zentraler Pfeiler unserer Verteidigungsfähigkeit in den Mittelpunkt. Deutschland muss in enger europäischer Abstimmung und innerhalb der NATO Entschlossenheit zeigen, um Russland abzuschrecken und im Ernstfall zivile wie militärische Verluste so gering wie möglich zu halten. Zugleich ist klar: Militärische Verteidigung ist kein Ersatz für Konfliktprävention. Auch vor dem Hintergrund wachsender hybrider Bedrohungen braucht es ein erweitertes Sicherheitsverständnis, das Diplomatie, Resilienz, Prävention und internationale Zusammenarbeit einschließt.
Spekulative Verlustzahlen tragen aus unserer Sicht nicht zu einer verantwortungsvollen sicherheitspolitischen Debatte bei. Für Auskünfte über die Herkunft der von Herrn Sensburg genannten Schätzungen müssten Sie sich direkt an ihn wenden. Unabhängig davon teile ich die Einschätzung, dass die Reserve gestärkt werden muss und Freiwillige, die sich engagieren möchten, nicht vor verschlossenen Türen stehen dürfen.
Dabei gilt: Menschen sind nicht ersetzbar. Jede politische Entscheidung – gerade in der Debatte über die Wiedereinführung der Wehrpflicht – muss diese Haltung widerspiegeln. Sicherheitspolitik muss sich an demokratischen Werten und der Unantastbarkeit der Menschenwürde orientieren. Deshalb setzen wir uns für freiwillige Modelle, wie ein Gesellschaftsjahr, ein.
Vielen Dank nochmals für Ihre Anfrage. Wir hoffen, Ihnen eine hilfreiche Einordnung geben zu können.
Team Awet Tesfaiesus

