Gibt es von europäischer Seite Initiativen Serbiens Präsident Vucic für sein Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung klar und scharf zu kritisieren? Ist das Thema in der EVP-Fraktion?
Sehr geehrte Frau Niebler,
Die EU hat leider die zivilgesellschaftlichen Bewegungen in Ungarn, als noch Zeit war, Entwicklungen etwas entgegenzusetzen, die sich heute verfestigt haben, schmählich im Stich gelassen.
Deutliche Signale an Serbien als Beitritts-Kandidat könnten Wirkung auf die Regierung Vucic haben und würden der Zivilgesellschaft den Rücken stärken.
Eine EU, die die Zivilgesellschaft in Beitrittsländern im Stich lässt, wenn es darauf ankommt, lässt ihre eigenen Werte im Stich.
Ist die aktuelle Lage in Serbien Thema im Parlament, und wenn ja, welches Bild zeichnet sich ab? Sollte die Lage in Serbien bisher kein Thema oder kaum ein Thema sein: Woran könnte das Ihrer Meinung nach liegen? Wie ist Ihre Haltung dazu?
MfG, Karin V.

Sehr geehrte Frau V.,
vielen Dank für Ihre Nachricht. Sie sprechen ein sehr wichtiges Thema an, das auch uns im Europäischen Parlament umtreibt.
Die Situation in Serbien ist in der Tat ernst: Präsident Aleksandar Vučić geht zunehmend hart gegen regierungskritische Proteste und die Zivilbevölkerung vor, was in den letzten Monaten zu vielen Demonstrationen geführt hat. Die Proteste, ausgelöst durch einen tragischen Unfall an einer Bahnhofsüberdachung mit 16 Toten, haben sich zu einer breiten Bürgerbewegung gegen Korruption, Machtmissbrauch und Beschneidung demokratischer Rechte entwickelt. Präsident Vučić reagiert darauf mit Repressionen und einer von ihm initiierten großen Machtdemonstration durch den Einsatz von Polizisten und Sicherheitskräften. Er sieht die Protestierenden als von außen gesteuert und droht mit Strafverfolgung.
Ich teile Ihre Auffassung, dass gerade auch die Zivilbevölkerung in einem Land, das als Beitrittskandidat eingestuft ist, unterstützt werden muss. Die öffentlichen Berichte der Protestierenden beunruhigen mich sowie meine Kolleginnen und Kollegen zunehmend. Im Europäischen Parlament, insbesondere in der EVP-Fraktion, wird das Thema der aktuellen Lage in Serbien durchaus behandelt. In unseren Fraktions- und Ausschusssitzungen befassen wir uns regelmäßig mit den Entwicklungen. Die EVP und das Parlament mahnen Rechtsstaatlichkeit und die Achtung demokratischer Prinzipien an, fordern Verbesserungen im Beitrittsprozess und einen rechtsverbindlichen Dialog zwischen Serbien und dem Kosovo. Wir haben kürzlich unsere kritische Haltung gegenüber Präsident Vučić und dessen Politik bekräftigt. Es wird daher ein Überprüfungsverfahren zur assoziierten Mitgliedschaft der SNS folgen. Wir hoffen durch zukünftige Abkommen Anreize für Serbien zu schaffen sich politisch den EU-Beitrittskriterien anzunähern und unterstützen diesen Prozess aktiv.
Es darf keine Abwägung zwischen wirtschaftlichen Interessen und den Grundwerten von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten geben. Ein konsequentes Eintreten für diese Werte stärkt langfristig auch die Chancen für einen erfolgreichen EU-Beitritt Serbiens.
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Angelika Niebler