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Achim Großmann
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Frage von Sebastian S. •

Frage an Achim Großmann von Sebastian S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Großmann,

der ohnehin schon nationalhistorisch behaftete 9. November hat gestern an neuer, durchaus fragwürdiger Qualität hinzugewonnen.
Sie trugen mit Ihrer Stimme gestern dazu bei, dass die sog. Vorratsdatenspeicherung in Deutschland flächendeckend für alle Formen der digitalen Kommunikation eingeführt wird.
Die bei den Telekommunikationsanbietern vorgenommene Speicherung führt bei entsprechender Auswertung nicht nur zur Einsichtnahme in soziale Netzwerke, sondern auch zu einem fast vollständigen Bewegungsprofil für jede Person.
Daneben werden durch die Speicherung erhebliche Kosten verursacht, weil entgegen der Aussage der Genossin Zypries nicht nur ohnehin erhobene Daten gespeichert werden, sondern wie Frau Zypries im weiteren Verlauf ihrer gesrigen Rede richtig festgestellt hat, zustätzlich noch z.B. Standortdaten. Darüberhinaus ist es augenblicklich rechtswidrig, wenn ein Provider solche Daten länger als zu Abrechnungszwecken benötigt speichert.

Meine konkreten Fragen an Sie zu dem Thema lauten nun:

- Was darf es Strafverfolgungsbehörden bzw. den Staat angehen, wann ein Bürger von wo aus eine, sagen wir, Drogenberatungsstelle anruft
- Was darf es den Staat angehen, mit welchen Personen ein Bürger wie regelmäßigen Kontakt hat (entsprechende missbräuchliche Anwendung im Zusammenhang mit §129a StGB belegt z.B. das Beispiel des Berliner Soziologen Andrej Holm).
- Was darf einen Staat angehen, wer sich wann wo wie lange aufhält?

Natürlich werden die Daten nur von den Providern erhoben. Da diese jedoch mit hohen Kosten zu rechnen haben, ist hier ein kommerzieller Missbrauch nicht auszuschließen.

- Wie wird verhindert, dass der Chef eines Handyproviders z.B. auf diese Art Bewegungsprofile seiner Kontakte zu persönlichen Zwecken auswertet?
- Wie wird verhindert, dass ein gewerblicher Missbrauch, z.B. in Form von personalisierter Werbung etc. durch die Provider betrieben wird.

Und
- Wie vereinbaren Sie persönlich diesen fürchterlichen Entwurd mit Ihrem Gewissen?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Steins

zunächst vielen Dank für Ihre Nachricht.

Die SPD-Bundestagsfraktion hat in den sehr ausführlichen parlamentarischen Beratungen zu diesem Gesetz dafür Sorge getragen, dass der Einsatz verdeckter Ermittlungsmaßnahmen zum Zweck der Kriminalitätsbekämpfung und dem Schutz vor schweren Straftaten mit hohen Schwellen verknüpft ist, so dass das Prinzip der Rechtstaatlichkeit immer gewahrt bleibt. Ihnen ist sicherlich bekannt, dass die Entscheidungsfindung für die inhaltliche Ausgestaltung des Gesetzes mit einer intensiven Diskussion mit Bürgerinnen und Bürgern, mit Verfassungsrechtlern, innerhalb der Parteien und in den Fachgremien verbunden war. Als Resultat dieses Diskussionsprozesses wurden viele Hürden für die Strafverfolger deutlich höher gelegt als im ursprünglichen Entwurf vorgesehen. Dies wird in der Öffentlichkeit leider häufig nicht deutlich genug wahrgenommen.

Wir haben bei dem Gesetz einerseits im Auge behalten, dass der Staat für unsere Sicherheit zu sorgen hat und daher die berechtigten Strafverfolgungsinteressen des Staates angemessen berücksichtigt werden müssen. Andererseits greifen verdeckte Ermittlungsmaßnahmen aber regelmäßig in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger ein, so dass für ihre Anordnung strenge Voraussetzungen gelten und der Rechtsschutz wirksam ausgestaltet sein müssen. Deshalb haben wir das TK-Überwachungsrecht weiter rechtsstaatlich eingegrenzt. Dabei gilt, dass eine Überwachung -- wie künftig bei jeder eingriffsintensiven verdeckten Ermittlungsmaßnahme auch -- grundsätzlich nur durch einen Richter angeordnet werden darf.

Neu verankert im Gesetz ist die Hürde, dass Straftaten grundsätzlich nicht in Frage kommen, die im Höchstmaß mit weniger als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind. Die Tat muss -- auch diese ausdrückliche Regelung ist neu -- auch im konkreten Einzelfall schwer wiegen. Eine TK-Überwachung ist unzulässig und hat zu unterbleiben, wenn tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass durch die Überwachung allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung erlangt würden.

Soll ein Berufsgeheimnisträger wegen des Ermittlungsverfahrens gegen einen Dritten, an dem er selbst in keiner Weise beteiligt ist, überwacht werden, gilt Folgendes:

Das Vertrauensverhältnis zu Seelsorgern, Strafverteidigern und Abgeordneten wird absolut geschützt. Sie haben eine besondere verfassungsrechtliche Stellung. Deshalb sind sie von allen Ermittlungsmaßnahmen ausgenommen, die sich auf die Informationen beziehen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Berufsgeheimnisträger anvertraut wurden.

Bei Ärzten, Rechtsanwälten, Journalisten und allen anderen zeugnisverweigerungs-berechtigten Berufsgeheimnisträgern wird ausdrücklich klargestellt, dass sie in Ermittlungsmaßnahmen künftig nur nach einer sehr sorgfältigen Verhältnismäßigkeitsabwägung im Einzelfall in Ermittlungsmaßnahmen einbezogen werden dürfen. Für die Abwägung wird es zudem einen ausdrücklichen Maßstab im Gesetz geben: Betrifft das Verfahren keine Straftat von erheblicher Bedeutung, ist in der Regel nicht vom Überwiegen des Strafverfolgungsinteresses auszugehen. Eine Straftat ist nur dann von erheblicher Bedeutung, wenn sie mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zugerechnet werden kann, den Rechtsfrieden empfindlich stört und dazu geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen.

Ergibt die Prüfung also, dass es bei der Ermittlung nicht um eine erhebliche Straftat geht, sind jegliche Ermittlungsmaßnahmen gegen den Berufsgeheimnisträger regelmäßig unzulässig, weil unverhältnismäßig.

Besteht gegen den Berufsgeheimnisträger, etwa einen Journalisten, selbst ein Beteiligungs- oder Begünstigungsverdacht, so können nach geltendem Recht zum Beispiel Unterlagen bei ihm beschlagnahmt werden, wenn diese für die Aufklärung einer Straftat relevant sind. Künftig muss sich die Annahme des Verstrickungsverdachts auf bestimmte Tatsachen gründen, so dass eine sorgfältige, sich auf konkrete Tatsachen stützende Prüfung erforderlich werden wird.

Ein Zufallsfund ist Material, das auf eine Straftat hindeutet, aber nichts mit der Untersuchung zu tun hat, wegen derer eine Durchsuchung angeordnet wurde. Bei Journalisten dürfen solche Zufallsfunde künftig nicht als Beweise in einem Verfahren wegen Geheimnisverrats oder wegen sonstiger Straftaten, die mit einem Höchstmaß von unter fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind, verwertet werden.

Bei der Ausarbeitung des Gesetzentwurfs stand für die Rechtspolitiker der Großen Koalition im Vordergrund, die Einwände der Bürgerinnen und Bürger ernst zu nehmen und ggf. zu berücksichtigen. Dennoch können wir vor der technischen Entwicklung, welche die Planung und Durchführung schwerster Straftaten ermöglicht, politisch die Augen nicht verschließen.

Mit freundlichen Grüßen
Achim Großmann