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Bericht der Kommission

EU kritisiert Lobby-Einfluss in Deutschland

Lobbyakteure haben hierzulande aus Sicht der EU noch immer zu viel Einfluss auf die Politik. Die Kommission fordert deswegen von Deutschland schärfere Vorschriften – unter anderem zu Wechseln von Ex-Politiker:innen in die Wirtschaft.

von Redaktion abgeordnetenwatch.de, 15.07.2022

Ein Bundeskanzler, der kurz nach seiner Amtszeit für die Gaswirtschaft tätig wird (Gerhard Schröder). Ein ehemaliger Verteidigungsminister, der für Unternehmen bei der Kanzlerin lobbyiert (Karl-Theodor zu Guttenberg). Ein Vizekanzler, der nach seinem Ausscheiden Lobbyarbeit im Interesse der Deutschen Bank betreibt (Sigmar Gabriel). Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Angesichts der zahlreichen Seitenwechsel von ehemaligen Politiker:innen in die Wirtschaft hat die EU-Kommission Deutschland zu wirksamen Maßnahmen aufgefordert. Die bestehenden Vorschriften müssten "verschärft" werden, schreibt die Kommission in ihrem Jahresbericht über die Rechtsstaatlichkeit in Deutschland. Außerdem brauche es eine längere Sperrfrist ("Karenzzeit") für ausscheidende Regierungsmitglieder, bevor sie einen Lobbyjob aufnehmen dürfen. 

Strengere Regeln fordert die EU-Kommission auch beim Lobbyeinfluss auf die Gesetzgebung. Der "legislative Fußabdruck", der die Einflussnahme von Lobbyakteuren auf Gesetze sichtbar machen soll, müsse umgesetzt werden. Die Ampel hatte dies im Koalitionsvertrag zwar angekündigt, doch bis heute fehlt ein "legislativer Fußabdruck".

In ihrem Rechtsstaatlichkeitsbericht geht die EU-Kommission auf zahlreiche weitere Missstände in Deutschland ein und schreibt:

  •  zum Lobbyregister: Die Einrichtung eines unabhängigen Aufsichtsgremiums "wurde nicht umgesetzt, so dass die Verwaltung des Bundestags bei der Überwachung der Einhaltung auf Dritte angewiesen ist." Gemeint sind damit Medien und Nichtregierungsorganisationen, die Verstöße gegen das Lobbyregistergesetz aufdecken. Anstatt also ein mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattetes unabhängiges Kontrollgremium zu schaffen, vertraut der Gesetzgeber auf die Mithilfe der Zivilgesellschaft.
  • zu Verstößen von Abgeordneten gegen die Verhaltensregeln: "Es gab mehrere Fälle von Verzögerungen bei der Meldung von Nebentätigkeiten von Parlamentariern im Jahr 2021". Als Quelle führt die EU-Kommission in ihrem Bericht Recherchen von abgeordnetenwatch.de und ZEIT aus dem vergangenen Jahr auf. Demnach hatten zahlreiche Abgeordnete ihre Nebentätigkeiten nicht beim damaligen Bundestagspräsidenten gemeldet. Spürbare Konsequenzen hat dies nicht.
  • zur Einhaltung der Verhaltensregeln für Abgeordnete: "Die Überwachung und Durchsetzung kann in der Praxis auf Hindernisse stoßen, da eine völlig unabhängige Aufsichtsbehörde oder ein Ethikausschuss mit dem Mandat, Verstöße zu untersuchen, fehlt." abgeordnetenwatch.de und andere weisen immer wieder darauf hin, dass die Bundestagspräsidentin bzw. der Bundestagspräsident keine unabhängige Prüfinstanz darstellt. Außerdem haben sie Pflichtverstöße in der Vergangenheit nur unzureichend geahndet. Unsere Recherchen zeigen, dass Abgeordnete bei verspätet oder nicht gemeldeten Nebentätigkeiten zumeist eine interne Ermahnung erhielten – und das auch erst im Wiederholungsfall. Beim ersten Verstoß erfolgte lediglich ein Hinweis mit der Bitte, die Verhaltensregeln künftig einzuhalten.
  • zur Offenlegung von Vermögen durch Politiker:innen: Die EU-Kommission kritisiert den "Mangel an Vorschriften für Mitglieder der Bundesregierung zur Offenlegung von Vermögenswerten und Immobilien". Auch bei Abgeordneten des Bundestags seien die Offenlegungspflichten nicht auf "bedeutende Vermögenswerte" ausgeweitet worden.
  • zur Transparenz bei Parteispenden: In ihrem Bericht äußert die EU-Kommission "weiterhin Bedenken hinsichtlich der erheblichen Zeitspanne zwischen den Einnahmen von Parteien und ihrer Meldung". Diese liegt hierzulande häufig bei mehr als zwei Jahren. Aktuelles Beispiel: Die Spendenlisten der Parteien aus dem Jahr 2020 wurden von der Bundestagspräsidentin erst im Mai 2022 veröffentlicht.
  • zum Parteisponsoring: Dieses sei in Deutschland nach wie vor weitgehend unreguliert, "obwohl es die Möglichkeit bietet, sich Zugang zu wichtigen Regierungsvertretern zu verschaffen". Beispiele aus der Vergangenheit sind die Rent-a-Sozi- und die Rent-a-Rüttgers-Affäre. Im ersten Fall war Unternehmen gegen Geld Zugang zu hochrangigen SPD-Politiker:innen vermittelt worden. Im zweiten Fall hatte die NRW-CDU Unternehmen bei einem Parteitag Einzelgespräche mit dem damaligen Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers angeboten. Zuletzt gab es Medienberichte über die traditionelle Spargelfahrt des Seeheimer Kreises der SPD im Juni. Demnach sollen potenzielle Sponsoren mit dem Hinweis angesprochen worden sein, dass auch Bundeskanzler Olaf Scholz anwesend sein werde.

Jahresbericht der EU-Kommission zur Rechtsstaatlichkeit

Seit 2020 veröffentlicht die EU-Kommission einen Jahresbericht zur Rechtsstaatlichkeit, der so etwas wie einen Rechtsstaat-"TÜV" darstellt. Darin untersucht sie den Zustand des Justizsystems, den Kampf gegen Korruption sowie Medienfreiheit und -vielfalt in den 27 EU-Staaten. In diesem Jahr gab die EU-Kommission erstmals auch Empfehlungen ab, wie die Länder die Lage verbessern können. Trotz Missständen, insbesondere in Bezug auf Lobby- und Transparenzregeln, stellt die Kommission Deutschland ein gutes Zeugnis aus. Die Unabhängigkeit der Justiz werde als sehr hoch wahrgenommen und Deutschland genieße ein hohes Level an Medienfreiheit und -vielfalt.

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