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Kehrtwende bei Verhaltensregeln

Das neue Abgeordnetengesetz: Stärkere Regeln, schwache Kontrolle

Noch vor der Bundestagswahl im September sollen deutlich strengere Transparenzregeln für Abgeordnete in Kraft treten. Das hat der Bundestag am 11. Juni beschlossen. Doch die Sache hat einen Haken: Eine unabhängige Kontrolle der Transparenzvorschriften ist nicht vorgesehen. Mit strengen Sanktionen bei Verstößen ist deshalb auch in Zukunft nicht zu rechnen.

von Clara Helming, 11.06.2021

Nachdem im März ein dürftiges Lobbyregister verabschiedet wurde, folgte die Überraschung: Union und SPD einigten sich gemeinsam mit Linken und Grünen auf strenge Transparenzregeln für Abgeordnete. Der Gesetzesentwurf wurde am Freitag, 11. Juni, im Bundestag beschlossen.

Die Reform der Verhaltensregeln ist lange überfällig. Schon 2014 hatte die Antikorruptionskommission des Europarats (GRECO) Deutschland wegen der mangelhaften Verhaltensregeln für Abgeordnete gerügt. Hätte die GroKo schon damals reagiert, wären uns eventuell einige Skandale der vergangenen Monate erspart geblieben. Dass der Beschluss nun bevorsteht, ist auch ein Erfolg für die Zivilgesellschaft, denn abgeordnetenwatch.de und andere Organisationen setzen sich schon lange für strenge Transparenzvorschriften ein.

Ist das Thema damit vom Tisch? Leider nein. Denn an entscheidender Stelle bringt die Gesetzänderung keine Korrektur: Eine unabhängige Kontrolle der Transparenzangaben ist nicht vorgesehen. Es bleibt bei der bisherigen Regelung, dass der oder die Bundestagspräsident:in sowie die Bundestagsverwaltung für die Überprüfung der Abgeordneten-Angaben zuständig sind.

abgeordnetenwatch.de setzt sich daher für die Einführung einer unabhängigen Transparenzkommission ein, die nachforschen darf, wenn Abgeordnete Nebentätigkeiten und -einkünfte nicht korrekt angeben. Außerdem sollten Sanktionen verschärft und konsequent geahndet werden. Denn die Erfahrung der vergangenen Jahre zeigt: Wenn keine Konsequenzen zu befürchten sind, halten sich auch einige Abgeordnete nicht an die Regeln.

Die wichtigsten Änderungen im Abgeordnetengesetz im Überblick:

  • Alle Einkünfte von Abgeordneten, die 3.000 Euro pro Jahr übersteigen, sollen auf Euro und Cent genau veröffentlicht werden. Monatliche Beträge über 1.000 Euro müssen ebenfalls angegeben werden. Das bisherige Stufensystem wird damit abgeschafft.
  • Einkünfte aus Dividenden sowie Aktienoptionen müssen ebenfalls veröffentlicht werden.
  • Freiberuflich tätige Abgeordnete müssen ihre Geschäftspartner:innen nennen. Bei Anwält:innen, deren Mandant:innenverhältnis besonders geschützt ist, muss zumindest die Branche angegeben werden.
  • Abgeordneten soll es künftig verboten sein, als Lobbyist:innen tätig zu sein.
  • Abgeordnete dürfen keine Honorare für Reden mehr annehmen, die mit ihrem Mandat im Zusammenhang stehen.
  • Unternehmensbeteiligungen sollen bereits ab 5 Prozent und nicht wie bisher erst ab 25 Prozent offengelegt werden.
  • Der oder die Bundestagspräsident:in muss künftig regelmäßig Transparenzberichte veröffentlichen. Die Öffentlichkeit erfährt also, wie viele Prüfverfahren es zu Regelverstößen gab. Auch Informationen über Ermahnungen und Sanktionen werden darin veröffentlicht. Dies dürfte als Reaktion auf die erfolgreiche Klage von abgeordnetenwatch.de zu werten sein.

Schwachstellen im Gesetz:

  • Geldspenden an Abgeordnete sollen nicht mehr erlaubt sein. Problematisch ist aber, dass bei Sachspenden Ausnahmen vorgesehen sind. Zum Beispiel können Spender:innen Abgeordneten Wahlplakate finanzieren.
  • Generell sollten nach britischem Vorbild alle Interessenskonflikte von Abgeordneten öffentlich gemacht werden. Auch wenn Berichterstatter:innen in Ausschüssen ihre Interessenskonflikte künftig offenlegen müssen, gilt dies für die regulären Abgeordneten nicht.

Auch über das Abgeordnetengesetz hinaus bleibt viel zu tun. Wirkliche Transparenz kann es nur geben, wenn umfassende Reformen auf allen Ebenen umgesetzt werden.

Die To-Do-Liste ist noch lang:

  • Abgeordnetenbestechung: Zeitgleich mit dem Abgeordnetengesetz wurde auch über eine Änderung der Abgeordnetenbestechung (§108e StGB) abgestimmt. CDU/CSU und SPD wollen das Strafmaß für Abgeordnetenbestechung hochsetzen. Doch das Problem liegt wo anders: Derzeit ist der Paragraph 108e so eng gefasst, dass korrupte Politiker:innen damit kaum belangt werden können. Doch CDU/CSU, SPD und AfD lehnen die Verschärfung und Präzisierung des Straftatbestandes ab.
  • Lobbyregister: Das kürzlich beschlossene Lobbyregister greift viel zu kurz und verfehlt sein eigentliches Ziel. Lobbyismus wird damit nicht transparenter gemacht.
  • Parteifinanzen: Die Finanzen der Parteien sind viel zu undurchsichtig. Bislang müssen nur Spenden offengelegt werden. Wie genau die Bundestagsverwaltung die Parteifinanzen prüft, ist nicht öffentlich. Außerdem sollten Unternehmensspenden an Parteien grundsätzlich verboten werden.

Erfreulich ist, dass sich CDU/CSU und SPD mit den Oppositionsfraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen zusammengetan haben, um das Abgeordnetengesetz nach den vielen Skandalen der letzten Wochen zu verschärfen. Damit ist das Ziel des Offenen Briefes erreicht, den abgeordnetenwatch.de am 19. März an die demokratischen Fraktionen im Bundestag gesandt hatte. Wir appellierten darin an die Fraktionsvorsitzenden über Parteigrenzen hinweg, wirksame Transparenzregeln zu erarbeiten.

Disclaimer: Dieser Artikel wurde ursprünglich am 22.04.21 veröffentlicht und zur Verabschiedung des Gesetzes am 11.06. überarbeitet.

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