Verstoß gegen Transparenzpflichten

Julia Klöckner und der exklusive Lobbyclub

Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) zählt in einem aktuellen Bericht hunderte Transparenzverstöße von Abgeordneten auf. Was darin nicht erwähnt wird: Sie selbst meldete eine brisante Nebentätigkeit mehr als ein Jahr lang nicht – ohne spürbare Folgen.

von Martin Reyher, 09.06.2025
Julia Klöckner am Pult des Bundestagspräsidiums im Deutschen Bundestag

Wächterin der Transparenz: Als Bundestagspräsidentin muss Julia Klöckner (CDU) die Einhaltung der Verhaltensregeln durchsetzen – gegen die sie selbst vor einigen Jahren verstoßen hat.

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Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) hat kürzlich einen Bericht veröffentlicht, der Verstöße von Abgeordneten gegen die Meldepflicht für Nebentätigkeiten, Einkünfte oder Unternehmensbeteiligungen aufführt: 261 Mal meldeten Abgeordnete ihre Tätigkeiten, Einkünfte oder Unternehmensbeteiligungen in der vergangenen Legislaturperiode (2021 bis 2025) nicht korrekt. Statt spürbarer Sanktionen blieb es jeweils bei einer internen Ermahnung.

Nach Recherchen von abgeordnetenwatch.de hatte Klöckner im Berichtszeitraum selbst eine brisante Nebentätigkeit mehr als ein Jahr lang nicht gemeldet. Ab Februar 2022, als sie noch keine Bundestagspräsidentin war, gehörte Klöckner dem politischen Beraterkreis eines exklusiven Netzwerkvereins an. Der Wirtschaftspolitische Club Deutschland (WPCD) verspricht seinen Mitgliedern „privilegierten Zugang“ zur Politik, einen „persönlichen Austausch mit Entscheidungsträgern“ und ein leistungsfähiges Netzwerk. Zu den Mitgliedern zählen Konzerne wie Philip Morris, Audi und BASF sowie Bankenlobbyisten.

Nach den Verhaltensregeln des Bundestages hätte Klöckner ihre damalige Tätigkeit binnen drei Monaten angeben müssen. Ihre Fristüberschreitung von mehr als einem Jahr gilt nach den Regeln nicht mehr als minder schwerer Fall, sondern als Pflichtverstoß. Ein solcher muss eigentlich als offizielle Drucksache veröffentlicht werden und kann mit einem Ordnungsgeld von bis zu 67.000 Euro geahndet werden. Doch Klöckners Verstoß wurde nicht veröffentlicht. 

Weder die Bundestagsverwaltung noch Klöckner wollten sich konkret äußern.

Der Fall zeigt ein grundsätzliches Problem: Die Bundestagspräsidentin soll Verstöße ahnden, ist aber selbst Abgeordnete. Kritiker – darunter der Europarat – bemängeln, dass so eine unabhängige Kontrolle kaum gewährleistet ist.



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Ende Mai veröffentlichte Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) einen Bericht, der in der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet blieb – dabei hatte er es in sich: 261 Mal meldeten Abgeordnete ihre Tätigkeiten, Einkünfte oder Unternehmensbeteiligungen in der vergangenen Legislaturperiode (2021 bis 2025) nicht korrekt. Daraufhin wurde jedes Mal eine interne Ermahnung ausgesprochen.

Namen nennt der Bericht zwar nicht. Doch es liegt nahe, wer sich hinter einem dieser Fälle verbirgt: Klöckner selbst.

"Privilegierter Zugang" zur Politik

Bereits vor zwei Jahren hatte abgeordnetenwatch.de aufgedeckt, dass die CDU-Politikerin wegen einer nicht gemeldeten Nebentätigkeit gegen die Transparenzpflichten verstoßen hatte.

Es ging um Klöckners damalige Funktion im "politischen Beraterkreis" des Wirtschaftspolitischen Club Deutschland (WPCD), einem exklusiven Netzwerkverein. Seinen Mitgliedern verspricht der WPCD einen "privilegierten Zugang" zur Politik. So steht es in einer Präsentation, in der noch weitere "Vorteile einer Mitgliedschaft" angepriesen werden: ein "persönlicher Austausch mit Entscheidungsträgern" und "wertvolle Kontakte in einem leistungsfähigen Netzwerk"  (siehe Screenshot). In der Werbebroschüre von 2022 werden Klöckner und drei weitere Abgeordnete mit Foto als Mitglieder des Beratungsgremiums vorgestellt.

An der Spitze des Clubs steht ein ehemaliger Lobbyist der Deutschen Bank, der heute eine PR- und Lobbyagentur betreibt. Mitglied sind Konzerne wie Philip Morris, Audi und BASF oder die Lobbyorganisation Bundesverband für strukturierte Wertpapiere (BSW), die die Interessen von internationalen Großbanken wie Goldman Sachs und J.P. Morgan vertritt.

Ausriss aus Broschüre des Wirtschaftspolitischen Club Deutschland e.V. (2022)
Der Wirtschaftspolitische Club Deutschland verspricht seinen Mitgliedern in einer Broschüre einen „privilegierten Zugang“ zur Politik. Julia Klöckners Tätigkeit im Beraterkreis blieb der Öffentlichkeit über ein Jahr lang verborgen.

Tätigkeit im Beraterkreis mehr als ein Jahr nicht gemeldet

Dass Klöckner dem Beratungsgremium des Lobbyclubs seit Februar 2022 angehörte, blieb der Öffentlichkeit lange verborgen. Nach den Verhaltensregeln des Bundstages hätte sie diese Funktion innerhalb von drei Monaten melden müssen. Doch das unterließ sie. Selbst nach einem Jahr tauchte die Nebentätigkeit noch immer nicht in ihrem Bundestagsprofil auf.

Als abgeordnetenwatch.de Klöckner im Juni 2023 mit der nicht gemeldeten Nebentätigkeit konfrontierte, blieb sie vage. Sie gehöre aufgrund ihrer Funktion als wirtschaftspolitische Sprecherin der Unionsfraktion „zum sogenannten politischen Beraterkreis des Clubs, unentgeltlich“, schrieb die CDU-Politikerin. Warum sie die Tätigkeit nicht gemeldet hatte, ließ sie offen.

Pflichtverstoß kann bis zu 67.000 Euro kosten

Dass die Funktion anzeigepflichtig war, stand außer Frage. Ein Sprecher des Bundestags stellte klar, dass auch unentgeltliche Tätigkeiten in einem politischen Beraterkreis zu melden sind – jedenfalls dann, wenn der Verein überregional aktiv ist. Dass das auf den Wirtschaftspolitischen Club Deutschland e.V. zutrifft, ergibt sich bereits aus dessen Namen.

Klöckner hatte also gegen die Anzeigepflicht verstoßen, und das war in diesem Fall keine Bagatelle. Nach den Verhaltensregeln gilt nur die Fristüberschreitung "um höchstens drei Monate" als “minder schwerer Fall beziehungsweise leichte Fahrlässigkeit”. Die Folgen für die Betroffenen sind minimal: eine interne Ermahnung.

Klöckner aber überschritt die Meldefrist um mehr als ein Jahr. Nach den Regeln ist dann von einem „Pflichtverstoß“ auszugehen. Diesen muss das Bundestagspräsidium in einer offiziellen Drucksache öffentlich machen und kann außerdem ein Ordnungsgeld verhängen – bis zur Hälfte der jährlichen Abgeordnetendiät, aktuell rund 67.000 Euro.

Pflichtverstöße: Erst eine Abgeordnete musste Strafe zahlen

Nicht ordnungsgemäß gemeldete Tätigkeiten und Einkünfte können nach den Verhaltensregeln des Bundestags mit drei Maßnahmen geahndet werden: mit einer internen Ermahnung (zum Beispiel bei einer Überschreitung von Anzeigefristen um höchstens drei Monate), einer öffentlichen Rüge und einem Ordnungsgeld von bis zu einer halben Jahresdiät. 

Das Bundestagspräsidium hat bislang lediglich einmal ein Ordnungsgeld verhängt: Die inzwischen verstorbene CDU-Abgeordnete Karin Strenz musste 2019 rund 20.000 Euro zahlen, weil sie Einkünfte aus einer Lobbytätigkeit für Aserbaidschan mehr als eineinhalb Jahre verschwiegen hatte. Diesen Pflichtverstoß machte abgeordnetenwatch.de bereits 2017 öffentlich. Seit der Verschärfung der Verhaltensregeln im Jahr 2005 wurden zehn öffentliche Rügen gegen Abgeordnete in einer Drucksache veröffentlicht. In hunderten Fällen blieb es bei einer internen Ermahnung.

Warum hatte Klöckners Verstoß keine Konsequenzen?

Doch dazu kam es nicht, wie aus Klöckners jetzigem Bericht hervorgeht. Darin schreibt die Präsidentin: „Kein Verfahren führte zu der Feststellung eines Pflichtverstoßes (...) und zu der Veröffentlichung der Feststellung als Drucksache.“ Auch ein Ordnungsgeld verhängte das Präsidium nicht.

Mit anderen Worten: Alle 261 Fälle wurden als minder schwer bzw. als leichte Fahrlässigkeit eingestuft – ein Kavaliersdelikt.

Warum offenbar auch Klöckners klarer Verstoß gegen die Anzeigepflicht?

Weder die Bundestagsverwaltung noch Klöckner selbst äußern sich dazu. Man dürfe zu Einzelfällen keine Stellung nehmen, schrieb die Verwaltung mit Verweis auf ein Gerichtsurteil. Klöckners persönlicher Sprecher schickte ein gleichlautendes Statement.

Fehler im System

Für den Umgang mit ihrem eigenen Fall trägt Klöckner keine Verantwortung. Der Verstoß fällt noch in die Amtszeit ihrer Vorgängerin Bärbel Bas (SPD) – Klöckner musste die Ergebnisse nun lediglich verkünden.

Doch wie ihre Vorgänger:innen steht auch Klöckner in einem grundsätzlichen Interessenkonflikt: Als Bundestagspräsidentin soll sie Vergehen ahnden und für Transparenz sorgen, ist aber zugleich selbst Abgeordnete.

Groteske Regelung

Formblatt zur Meldung von Nebentaetigkeiten
In einem solchen Formular müssen Abgeordnete ihre Nebeneinkünfte bei der Bundestagspräsidentin melden - die Abgeordnete Julia Klöckner also bei sich selbst.

Zwar entscheidet die Präsidentin nach den Verhaltensregeln nicht über eigene Verstöße, dafür sind ihre Stellvertreter:innen zuständig. Doch sie muss über die Vergehen der eigenen Kolleg:innen und Parteifreund:innen urteilen. Eine wirksame und unabhängige Kontrolle gewährleistet das nicht

Das sieht auch der Europarat so. Die Staatengruppe gegen Korruption (GRECO) verwies in einem Bericht von 2021 darauf, dass die Bundestagsverwaltung, die die Präsidentin bei der Prüfung unterstützt, möglicherweise "zu nahe an der Macht" sei, um die Abgeordneten "wirksam zu überwachen und gegebenenfalls zu kritisieren". GRECO kritisierte die "seltene Anwendung von Sanktionen" und empfahl eine unabhängige Kontrollkommission. 

Wie grotesk diese Konstruktion ist, zeigt sich spätestens, wenn Julia Klöckner als Abgeordnete eine Nebentätigkeit melden will. Das ausgefüllte Formular (siehe Screenshot oben) muss sie dann "vertraulich" an die Bundestagspräsidentin schicken – also an sich selbst.


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