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Das sind die Porschegate-SMS von Christian Lindner und Oliver Blume

„Volle Unterstützung von Porsche Seite“: Von abgeordnetenwatch.de freigeklagte SMS zeigen, wie sich der damalige Finanzminister und der Porsche-Chef beim Thema E-Fuels vertraut die Bälle hin und her spielten – und sich der Autolobbyist für Lindners politischen Einsatz bedankte.

von Martin Reyher, 27.05.2025
Christian Lindner und Oliver Blume schreiben sich SMS-Nachrichten

Was genau schrieb ein Bundesminister dem Chef eines Autokonzerns – mitten in einer politischen Auseinandersetzung über das Verbrenner-Aus? Diese Frage stand lange im Raum. Jetzt liegt die Antwort vor: Das Bundesfinanzministerium hat auf Grundlage eines Gerichtsurteils zwölf bislang unter Verschluss gehaltene Textnachrichten zwischen Christian Lindner (FDP) und Porsche-Chef Oliver Blume herausgegeben.

Vorausgegangen war eine Klage von abgeordnetenwatch.de nach dem Umweltinformationsgesetz (UIG) und ein mehr als zwei Jahre dauernder Rechtsstreit vor dem Berliner Verwaltungsgericht. Die Textnachrichten stammen aus dem Sommer 2022 und stehen im Zentrum der sogenannten Porschegate-Affäre, die durch einen Bericht der ZDF-Sendung Die Anstalt öffentlich wurde. Im Fokus: eine EU-Abstimmung über ein mögliches Verbot neuer Verbrennungsmotoren ab 2035 – und die Rolle, die Lindner und Blume dabei spielte.

Zwölf SMS aus dem Finanzministerium

Die freigegebenen Kurznachrichten zeigen erstmals den vollständigen Austausch zwischen dem damaligen Finanzminister und dem Vorstandschef eines Autoherstellers, der wirtschaftlich stark am Thema E-Fuels interessiert ist. 

Das Finanzministerium stellte die SMS lediglich als schwer lesbare PDF-Datei zur Verfügung (hier das Original). abgeordnetenwatch.de hat die Nachrichten zur besseren Lesbarkeit grafisch aufbereitet. Rechtschreibung und Formatierungen entsprechen dem Original. Einige wenige Stellen wurden vom Ministerium geschwärzt, etwa zum Schutz personenbezogener Daten.

“Ich kann da durchaus argumentative Unterstützung gebrauchen”

Die nun vorliegende Korrespondenz zwischen Lindner und Blume setzt am 28. Juni 2022 ein – dem Tag der Abstimmung im EU-Ministerrat. Es geht um das mögliche Verbrenner-Aus, das sowohl Lindner als auch Blume verhindern wollen.
 

Zwei Textnachrichten zwischen Lindner und Blume vom 28. Juni 2022. Inhalt der SMS im Volltext unterhalb dieser Grafik

Nachrichten im Volltext: 

  • Lindner: "Lieber Herr Blume, gerade lese ich auf der dpa [vom Finanzministerium geschwärzte Textstellle] zum Verbrennerverbot. Vielleicht wäre auch eine andere Stimme ratsam, die auf das Potential von E-Fuels hinweist? Ich kann da durchaus argumentative Unterstützung gebrauchen. 
    Beste Grüße, Ihr Christian Lindner."
  • Blume: "Lieber Herr Lindner, volle Unterstützung von Porsche Seite. Letzten Freitag war ich damit in der FAZ. Wir legen nochmal nach. Danke für Ihren Einsatz. Viele Grüße. Oliver Blume"
     

Lindners Bitte um Unterstützung hatte mit einem internen Streit in der Ampelkoalition zu tun: Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) wollte im EU-Ministerrat für ein vollständiges Verbrenner-Aus ab 2035 stimmen, Lindner und die FDP stemmten sich dagegen – vor diesem Hintergrund suchte der Minister nun Unterstützung bei Blume.

Porsche ist an einer E-Fuels-Produktionsanlage in Chile beteiligt und möchte bestimmte Fahrzeugmodelle auch zukünftig mit Verbrennungsmotoren anbieten. Darum hat der Konzern ein Interesse daran, dass Verbrennerfahrzeuge weiterhin erlaubt sind, sofern sie mit E-Fuels betrieben werden. 

"👍 Sehr gut!" schreibt der Lobbyist an den Minister

Am selben Nachmittag leitet Lindner einen dpa-Artikel mit Hinweisen auf einen Koalitionskompromiss an Blume weiter. Ein vollständiges Verbrenner-Aus, wie von der grünen Umweltministerin angestrebt, ist vorerst vom Tisch. 

Demnach sollen Verbrennermotoren, die mit E-Fuels betrieben werden, über das Jahr 2035 hinaus zugelassen werden können. Vor allem die FDP hatte sich für eine solche Ausnahme eingesetzt. Umweltschutzorganisationen und Wissenschaftler:innen kritisieren, dass synthetische Kraftstoffe ineffizient, teuer und in absehbarer Zeit nicht in ausreichenden Mengen verfügbar seien. Diese Einschätzungen werden durch wissenschaftliche Studien gestützt.

 

Der Porsche-Chef reagiert sichtlich erfreut auf Lindners Nachricht: 
 

Nachricht von Blume an Lindner vom 28. Juni 2022: "Sehr gut! Das ist Klimaschutz gesamtheitlich gedacht. Jetzt die Tür für die E-Fuels zu schließen, wäre falsch. Dann würde keiner mehr investieren, auch nicht für die Schiff- und Luftfahrt. Vielen Dank für Ihren Einsatz. Oliver Blume"


Nachricht im Volltext:

  • Blume: "👍 Sehr gut! Das ist Klimaschutz gesamtheitlich gedacht. Jetzt die Tür für die E-Fuels zu schließen, wäre falsch. Dann würde keiner mehr investieren, auch nicht für die Schiff- und Luftfahrt. Vielen Dank für Ihren Einsatz. Oliver Blume."



“Porschegate” macht Schlagzeilen – Auslöser: eine ZDF-Satiresendung

Einige Wochen nach diesem SMS-Austausch zwischen Lindner und Blume sorgt die ZDF-Satiresendung Die Anstalt für Schlagzeilen. In der Sendung vom 19. Juli 2022 heißt es, Blume habe sich bei einer internen Betriebsversammlung damit gebrüstet, dass Porsche einen "sehr großen Anteil” daran habe, dass E-Fuels in den Koalitionsvertrag der Ampel eingeflossen sind. Porsche sei einer der Haupttreiber gewesen, “mit ganz engem Kontakt mit den Koalitionsparteien". FDP-Chef Lindner habe ihn "fast stündlich auf dem Laufenden gehalten".

Die Sendung erzeugt einen großen medialen Widerhall. Drei Tage nach der Ausstrahlung im ZDF bittet Lindner den Porsche-Chef um ein Telefonat. Am Freitag, 22. Juli 2022, tauschen beide mehrere Nachrichten aus:
 

Austausch zwischen Lindner und Blume am 22. Juli 2022 - Inhalt siehe Volltext, der unterhalb der Grafik im Artikel eingebunden ist

 

Nachrichten im Volltext:

  • Lindner: "Lieber Herr Blume, ich fürchte, wir müssen einmal kurzfristig telefonieren. Wann passt es? Beste Grüße Christian Lindner"
  • Blume: "Lieber Herr Lindner, bin jederzeit erreichbar. Wir haben heute auch eine falsche Meldung im Netz gesehen und diese dementiert. Eine derartige Aussage habe ich nicht gemacht. Melden Sie sich gern, so wie es passt. Viele Grüße. Oliver Blume."
  • Lindner: "Okay, dann ist es erledigt. Das war schon mein Anliegen. Beste Grüße, CL"
  • Blume: "Alles klar. 👍"
     

Am selben Abend um 22:46 Uhr übermittelt Lindner dem Porsche-Chef einen Screenshot der BILD-Printausgabe. Ein Artikel ist überschrieben mit “Porsche-Gate?”

In seiner Antwort an Lindner beteuert der Auto-Manager, er habe keinen Einfluss auf die Koalitionsverhandlungen genommen und bedauert, dass Aussagen auf der internen Betriebsversammlung zu E-Fuels und den Koalitionsverhandlungen solche Wellen schlugen:
 

Nachricht von Blume an Lindner vom 22. Juli 2022 - Inhalt siehe Volltext, der unterhalb dieser Grafik im Artikel widergegeben ist.

 

Nachricht im Volltext: 

  • Blume: "Lieber Herr Lindner, wir haben die Passage der internen Betriebsversammlung geprüft. Es ging um eine Frage, warum wir uns nicht mehr für E-Fuels einsetzen und wie wir die Diskussionen in der EU einschätzen. In diesem Zusammenhang habe ich Ihnen Namen und unseren Kontakt in meiner Antwort genannt. Dafür entschuldige ich mich. Ich habe keinen Einfluss auf den Koalitionsvertrag genommen. Wir können morgen dazu noch einmal klar Position beziehen. Und es geht um eine nachhaltige, positive Sache. Es tut mir Leid, dass die Thematik so aufgebauscht wird. Viele Grüße. Oliver Blume."

Am nächsten Morgen um 10:26 Uhr meldet sich der Minister bei Blume und hat schlechte Nachrichten. Das öffentliche Interesse werde wohl so schnell nicht abklingen – er, Lindner, erwäge außerdem rechtliche Schritte gegen BILD und das ZDF.
 

Nachricht von Lindner an Blume vom 23. Juli 2022 - Inhalt siehe Volltext, der unterhalb dieser Grafik im Artikel wiedergegeben ist.

 

Nachricht im Volltext: 

  • Lindner: "Lieber Herr Blume, [Absatz vom Finanzministerium geschwärzt]. Leider wird uns die Angelegenheit weiter beschäftigen. Es wird Folgeberichterstattung bereits morgen geben und vermutlich parlamentarische Anfragen. Ich muss erwägen, ob ich juristisch Unterlassung bei ZDF und BILD erwirke. Daraus könnten sich Weiterungen auch für Sie und Ihr Haus ergeben, wenn es zu Gericht ginge. Daher die Frage, ob es Mitschriften Ihrer Äußerungen in der Betriebsversammlung und bei Ihrer Compliance eine Dokumentation unserer Kontakte gibt? Das könnten nämlich hilfreich sein. Mit besten Grüßen, Christian Lindner"

Lindner schickt Blume eine FDP-Pressemitteilung hinterher:
 

Nachricht von Lindner an Blume vom 23. Juli 2022 - Inhalt siehe Volltext, der unterhalb dieser Grafik im Artikel angegeben ist.

 

Nachricht im Volltext:

  • Lindner: "Hier unsere Erklärung: Ein Sprecher der FDP erklärte: “Die Position von Herrn Lindner zu E-Fuels ist seit Jahren bekannt. Eine inhaltliche Position zu E-Fuels erfolgte im Wahlprogramm der FDP und damit lange vor der Bundestagswahl, den Koalitionsverhandlungen und der Regierungsbildung. Es gab im Oktober 2021 lediglich ein kurzes Telefonat zwischen Herrn Blume und Herrn Lindner zu rein technischen Fragen. Auch mit Konzernchefs von Fahrzeugherstellern, die E-Fuels nicht unterstützen, hat Herr Lindner Gespräche geführt. Solche Gespräche haben die Unternehmen nach unserer Kenntnis auch mit Verhandlern der Koalitionspartner geführt. Im Juni dieses Jahres hat sich Herr Lindner entsprechend seiner Position zum von der EU geplanten Ende des Verbrennungsmotors öffentlich geäußert. und innerhalb der Bundesregierung gehandelt. Es hat davor keinerlei Kontakt in der Sache mit Herrn Blume und auch danach keinerlei Versuch einer Einflussnahme auf die lange bestehende Position von Herrn Lindner gegeben. Gegen die Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen prüft Herr Lindner rechtliche Schritte.”

Blume antwortet Lindner: 
 

Antwort Blume an Lindner vom 23. Juli 2022 - Inhalt siehe Volltext unterhalb dieser Grafik

 

Nachricht im Volltext:

  • Blume: "Sehr gut! Wir bestätigen diese Punkte. Zusätzlich entschuldige Ich mich für eine überspitzte Formulierung in der internen, nicht öffentlichen Porsche Betriebsversammlung (hier ging es um den Austausch zu einer dpa-Meldung). Die Entschuldigung haben wir an die Medien weitergegeben."

Nähe, Einfluss, fehlende Transparenz

Die Textnachrichten aus dem Sommer 2022 offenbaren, wie sich ein Minister und ein Lobbyist vertraut die Bälle hin und her spielen, wie sich Partei- und Konzerninteressen überlappen – und bis in die Regierungspolitik hineinragen. Ein Minister bittet um Unterstützung, ein Automanager mit direktem Geschäftsinteresse bedankt sich für dessen Einsatz. Dass dieser Austausch mitten in einer politischen Kontroverse stattfand, sorgt für zusätzliche Brisanz.

Einen Skandal enthüllen die Textnachrichten nicht. Aber sie tun genau das, was das Berliner Verwaltungsgericht als entscheidend für die Herausgabe wertete: sie geben Einblick in "Näheverhältnisse" zwischen politischen Entscheidungsträger:innen und Lobbyist:innen. Und allein dieser Einblick ist aufschlussreich. 

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