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Frage von Wolfgang Erich Alfred S. •

Frage an Wolfgang Tiefensee von Wolfgang Erich Alfred S. bezüglich Tourismus

Sehr geehrter Herr Tiefensee,

Ihre Darlegungen als Bundesverkehrsminister a.D., zu den infrastrukturellen Möglichkeiten, welche sich über eine Wasserstraße für die Stadt Leipzig ergeben, verwundert mich etwas.
Meines Wissens hatte der Bund, den Saale – Leipzig Kanal, den Ländern Sachsen und Sachsen – Anhalt bereits angeboten.
Diese Länder sollen wohl dankend abgelehnt haben.

Meine Fragen:
• Ist dies innerhalb Ihres Wirkens als zuständiger Minister erfolgt?
• Wenn Ja, mit welchen Intentionen?
• Sehen Sie wirklich potenzial für Warentransporte bis zu 1.000 Tonnen, für welche der Kanal einmal geplant worden ist?
• Oder ist zum heutigen Zeitpunkt nur noch eine touristische Nutzung sinnvoll?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Stoiber,

danke für Ihre erneute Nachfrage, die ich Ihnen abschließend wie folgt beantworte:

Als viertgrößter Industriestandort der Welt ist Deutschland in Zeiten einer globalisierten Arbeitsteilung auf eine hohe Mobilität von Gütern angewiesen. Im Jahr 2011 transportierten der Seeverkehr ein Güteraufkommen von 292 Millionen (Mio.) Tonnen (t) und die Binnenschifffahrt 230 Mio. t. Davon sind im grenzüberschreitenden Güterverkehr 2011 rund 289 Mio. t über die Seeschifffahrts- und 148,5 Mio. t über die Binnenwasserstraßen ein- oder ausgeführt worden. Dieser bedeutende Anteil an den grenzüberschreitenden Güterverkehren unterstreicht die herausragende Rolle der Bundeswasserstraßen für den Wirtschaftsstandort Deutschland.

Ohne die Seewasserwege wäre eine Einbindung Deutschlands in das weltweite Wirtschaftsnetz nicht denkbar. Rund 90 % der deutschen überseeischen Exporte werden mit dem Schiff verbracht. Die maritime Wirtschaft in Deutschland sichert rund 400.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse; in der Summe beträgt ihre Bruttowertschöpfung rund 29 Milliarden (Mrd.) Euro pro Jahr. Die gewerbliche Binnenschifffahrt umfasst knapp 1.000 Unternehmen, die im Jahr 2010 mit über 7.000 Beschäftigten einen Umsatzerlös von ca. 1,3 Mrd. Euro erwirtschafteten.

Die Binnenschifffahrt hat in Deutschland einen Anteil an der Güterverkehrsleistung von rund 10 %; ihre Stärken liegen insbesondere im Bereich der Massenguttransporte und zunehmend auch im stark wachsenden Containerverkehr. Auch die Personenschifffahrt, Ausflugs- und insbesondere die Fahrgastkabinenschiffe gewinnen zunehmend an Bedeutung; 2010 lagen die Umsatzerlöse hier bereits bei etwa 270 Mio. Euro. Während die Wasserstraße noch auf erhebliche Kapazitätsreserven zurückgreifen kann, stoßen die Verkehrsträger Straße und Schiene zunehmend an ihre Kapazitätsgrenzen.

Das im Auftrag des Ministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung 2007 erstellte Gutachten zur „Abschätzung der langfristigen Entwicklung des Güterverkehrs in Deutschland bis 2050“ geht davon aus, dass das Güterverkehrsaufkommen von heute 3,7 auf dann 5,5 Mrd. t ansteigen wird. Obwohl die Wasserstraße als Verkehrsträger mit der größten Kapazitätsreserve gilt, hat sie derzeit lediglich einen Anteil von rund 10 % an den jährlichen Verkehrsleistungen der Verkehrsträger. Diesen Anteil der Binnenwasserstraßen am Gütertransport gilt es zu erhöhen. Auch die prognostizierten hohen Zuwächse im Seehafenhinterlandverkehr lassen eine weitere Verlagerung der Verkehre von der Straße auf die Schiene, aber auch auf die Wasserstraße dringend erforderlich erscheinen.

Angesichts der prognostizierten Wachstumsraten für den Güterverkehr, der klima- und naturschutzpolitischen Herausforderungen und der weitgehenden Auslastung von Straßen- und Schienenverkehr darf eine zukunftsfähige Verkehrspolitik die vorhandenen Kapazitätsreserven nicht vernachlässigen.

Die Verkehrswegeplanung für die Bundeswasserstraßen muss unter Berücksichtigung der jeweiligen ökologischen Ziele aus der Wasserrahmenrichtlinie erfüllbare und bezahlbare Prioritäten setzen und Auskunft darüber geben, welche Projekte vorrangig vorangetrieben werden sollen. Dabei muss ein verkehrsträgerübergreifender und gleichzeitig netzbezogener Ansatz zugrundegelegt werden, der die besonderen Vorteile der Bundeswasserstraßen in den Blick nimmt. Es gilt deshalb, die bisherige Bundesverkehrswegeplanung zu einer verkehrsträgerübergreifenden Bundesverkehrsnetzplanung weiterzuentwickeln, bei der nicht eine isolierte Betrachtung einzelner Projekte, sondern das verlässliche Funktionieren
des Verkehrsnetzes als Ganzes im Mittelpunkt steht.

Um eine zielgerichtete Verwendung der Finanzmittel zu ermöglichen, ist im Rahmen einer verkehrsträgerübergreifenden Bundesverkehrsnetzplanung ein schlüssiges Konzept für die Netzplanung der Bundeswasserstraßen zu entwickeln. Dieses sollte unter Berücksichtigung der naturschutz- und gewässerschutzfachlichen Ziele und Pflichten klare zeitliche Prioritäten
auf Neu- und Ausbauprojekte von nationaler Bedeutung setzen und zugleich auch Entwicklungsimpulse in der Fläche bieten. Verkehrsprojekte des Bundesverkehrswegplans 2003, für die zu einem festzulegenden Stichtag noch kein Planfeststellungsbeschluss vorliegt, müssen erneut geprüft werden.

Damit Aus- und Neubaumaßnahmen im Bereich der Bundeswasserstraßen der parlamentarischen Kontrolle unterworfen sind, muss es einen Bedarfsplan für die Bundeswasserstraßen geben, der als Anhang zu einem verkehrsträgerübergreifenden Bundesverkehrswegeausbaugesetz vom Bundestag zu beschließen ist. Dieser Plan muss alle fünf Jahre überprüft werden, so wie es schon heute bei Bundesfernstraßen und Bundesschienenwegen der Fall ist.

Um die im Bedarfsplan festgelegten prioritären Vorhaben mit überregionaler Bedeutung finanziell abzusichern, werden wir ein „Nationales Verkehrswegeprogramm“ auflegen, in das
80 % der Neu- und Ausbaumittel fließen. 20 % der Neu- und Ausbaumittel stehen für Projekte von vorrangig regionaler Bedeutung zur Verfügung. Schwerpunkte des Nationalen Verkehrswegeprogramms im Bereich der Bundeswasserstraßen sollen die gezielte Beseitigung von Engpässen auf Strecken mit hohem Transportaufkommen und die Verbesserung der Hinterlandanbindung der Seehäfen sein.

Wir wollen darüber hinaus die intermodale Verknüpfung zwischen den Verkehrsträgern verbessern und die Rolle des Binnenschiffs im Kombinierten Verkehr stärken. Dabei ist auch eine stärkere Vernetzung von See- und Binnenhäfen in den Blick zu nehmen. Zu prüfen sind etwa verbindliche Modal-Split-Vorgaben bzw. Binnenschiffsquoten für die Hinterlandverkehre der Seehäfen und eine Optimierung der Förderung von Umschlaganlagen des Kombinierten Verkehrs, um Umladevorgänge vom Seeschiff auf das Binnenschiff zu erleichtern. Nur mit einem umfassenden Instrumentenkasten wird es gelingen, das Ziel einer deutlichen Verkehrsverlagerung von der Straße auf Schiene und Wasserstraße zu erreichen.

Beim Erhalt werden wir einen Schwerpunkt bei der Instandsetzung der überalterten Schleusen an Flüssen und Kanälen mit hoher Netzbedeutung setzen. Eine solche Prioritätensetzung darf aber nicht dazu führen, dass andere Wasserstraßen vernachlässigt werden. Wir fordern deshalb einen Verkehrsinfrastrukturbericht für alle Verkehrsträger, der dem Deutschen Bundestag vom Bundesverkehrsministerium im Zweijahresrhythmus vorgelegt werden soll. Der Bericht soll detailliert über Unterhaltungszustand, Leistungsfähigkeit und Auslastungsgrad der Bundeswasserstraßen informieren, Schwachstellen und verkehrliche Engpässe (überlastete Streckenabschnitte und Knoten) identifizieren, den Erhaltungsbedarf und den notwendigen Finanzbedarf aufzeigen. Darüber hinaus soll er Bezüge zu den nationalen Berichten zur Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie und den Flussgebietseinheiten herstellen und damit die Basis für alle künftigen Entscheidungen über das Bundeswasserstraßennetz in Deutschland bilden.

Auf dieser Grundlage können in klar festgelegten zeitlichen Abständen Maßnahmenpläne für
den Erhalt der Binnenwasserstraßen erstellt werden, die die einzelnen Maßnahmen nach Dringlichkeitsstufen ordnen. Neben der Transportmenge müssen dabei auch Kriterien wie die Vernetzungsfunktion für Wirtschaftsräume, die Wertschöpfung, das Nutzen-Kosten-Verhältnis und die wassertouristische Bedeutung der Gewässer berücksichtigt werden. Solche Maßnahmenpläne gewährleisten Verbindlichkeit und Transparenz und schaffen – anders als starre Kategorien, die auf dem Status-Quo der transportierten Jahrestonnage basieren – Raum für eine nachhaltige Erhaltungsstrategie der Bundeswasserstraßen, die deren vielfältigen Funktionen gerecht wird.

Die Umsetzung der von Bundesregierung geplanten Netzstrategie würde demgegenüber dazu führen, dass sich der Bund aus der Infrastrukturverantwortung für Wasserstraßen mit geringem Güterverkehrsaufkommen und vorwiegend wassertouristischer Funktion zurückzieht. Dies lehnen wir ab.

Mit freundlichen Grüßen

Wolfgang Tiefensee