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Wolfgang Kreissl-Doerfler
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Frage von Derk H. H. •

Frage an Wolfgang Kreissl-Doerfler von Derk H. H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Kreissl-Dörfer,

ein erschreckender Artikel in der britischen Tageszeitung "Daily Telegraph", zu finden unter

http://www.telegraph.co.uk/news/newstopics/politics/2038813/European-Parliament-to-ban-Eurosceptic-groups.html

schildert Pläne von Mitgliedern des Europaparlaments unter Führung des Briten Richard Corbett, die verschiedene bedenkliche Ziele verfolgen:

1. Der Zusammenschluß von Abgeordneten zu anerkannten Gruppen soll durch Heraufsetzung der Mindestanzahl erschwert werden, wodurch - natürlich rein zufällig - ausgerechnet europakritische Gruppen gesprengt würden.

2. Unbequeme Nachfragen von Parlamentariern sollen durch eine Einschränkung der Informations- und Fragerechte mittels Weigerungsrechten des Parlamentspräsidenten verhindert werden.

Wie stehen Sie zu vorgenanntem politischen Vorstoß und insbesondere den zwei besonders schwerwiegenden Folgen?

Mit freundlichen Grüßen,
Derk H. Hunne

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Hunne,

vielen Dank für Ihre Anfrage. Mein sehr geschätzter Kollege Richard Corbett hat in der Tat zwei Vorschläge vorgelegt, die die Bildung von Fraktionen und die schriftlichen Anfragen von Europaabgeordneten an die Kommission und den Ministerrat betreffen. Ziel dieser Vorschläge ist jedoch nicht, eine bestimmte Fraktion zu zerschlagen oder die Frage- und Informationsrechte der Parlamentarier zu beschränken. Es sind vielmehr Anträge für eine Veränderung der Geschäftsordnung, die die Arbeit des Parlaments mit seinen 785 Abgeordneten besser und effizienter organisieren soll.

Derzeit braucht man im Europäischen Parlament mindestens 20 Abgeordnete aus einem Fünftel der Mitgliedstaaten (das entspricht 6 Ländern), um eine Fraktion zu bilden. Die Abgeordneten haben nun entschieden, die Mindestgrenze zur Bildung einer Fraktion auf 25 Abgeordnete heraufzusetzen, die aus einem Viertel der Mitgliedsstaaten kommen müssen (7 Länder). 25 Abgeordnete entsprechen ungefähr 3 % der Gesamtzahl der zukünftigen Europaabgeordneten. Diese erscheint mir eine vernünftige Zahl, da ein Vergleich mit anderen europäischen Parlamenten zeigt, dass in der Regel mindestens 4 % der Abgeordneten nötig sind, um eine Fraktion zu gründen. Das Europäische Parlament hat also einen vergleichsweise niedrigen Schwellenwert für die Fraktionsbildung. Im Bundestag benötigt man zum Beispiel mindestens 5 % aller Abgeordneten. Sie sehen also: Hier geht es nicht um die Beschränkung der demokratischen Rechte von Abgeorneten!

Das Parlament hat sich nach der Erweiterungsrunden von 2004 und 2007 um 12 neue Länder ebenfalls vergrößert. Eine Raufsetzung des Schwellenwertes für die Bildung einer Fraktion ist daher die logische Konsequenz. Dies soll zum einen eine zu starke Zersplitterung in kleine politische Gruppen vermeiden, die die ohnehin schwierige Entscheidungsfindung weiter erschweren würde. Zum anderen sollen finanzielle Ressourcen geschont werden. Jede Fraktion hat nämlich Anrecht auf umfangreiches Personal, Sitzungsräume im Parlament sowie weitere Mittel beispielsweise für Öffentlichkeitsarbeit und auswärtige Sitzungen. Die derzeit kleinste Fraktion der "Independence and Democracy", der Fraktion der Euroskeptiker, die nach dem Bericht in der "Daily Telegraph" von der Neuregelung bedroht wäre, hat 22 Mitglieder und 20 Fraktionsmitarbeiter, die vom Europäischen Parlament, also der öffentlichen Hand bezahlt werden. Ob diese Fraktion nach der Wahl 2009 - und erst dann treten die Neuregelungen in Kraft - mehr als 25 Mitglieder haben wird, oder ob sie sich überhaupt wieder bilden wird, kann man aus heutiger Sicht ohnehin nicht beurteilen.

Im Übrigen beinhaltet die neue Regelung auch eine Maßnahme, die kleine Fraktionen wie die "Independence und Democracy" unterstützen soll. Falls eine Fraktion während der Legislaturperiode unter die erforderliche Mindestanzahl von Abgeordneten fällt, kann sie unter bestimmten Voraussetzungen bis zu den nächsten Wahlen weiterexistieren.

Auch die Neuregelung im Bezug auf die schriftlichen Anfragen, die Europaparlamentarier an die Kommission und den Ministerrat stellen können, soll einen aktuellen Missstand beheben. Heute wird die Kommission mit einer Flut von Anfragen konfrontiert, allein letztes Jahr sind über 6000 Fragen eingegangen. Einzelne Abgeordnete haben seit Beginn der Legislaturperiode 2004 bereits mehrere hundert Anfragen gestellt. Leider handelt es sich dabei zum Teil um Themen, für die die Kommission überhaupt nicht der richtige Ansprechpartner ist, da die EU in diesem Bereich keine Zuständigkeit hat. Es gibt Beispiele von Abgeordneten, die wiederholt nach Informationen der Kommission zu dem angeblichen Tod von Osama bin Laden fragten oder sich über die hohen Gebühren ihrer Bank beschwerten. Dies ist eine Verschwendung von Ressourcen und hat nicht mit der seriösen Wahrnehmung eines Abgeordnetenmandats zu tun. Daher hat das Europäische Parlament nun beschlossen, Leitlinien einzuführen, an denen sich die Fragen orientieren sollen. Ähnliche Leitlinien sind bereits für mündliche Anfragen der Parlamentarier üblich. Der Parlamentspräsident hat den Auftrag, unsachgemäße Anfragen herauszufiltern, bevor sie an die Kommission oder den Rat weitergeleitet werden. Dabei soll überprüft werden, ob die Anfrage eine präzise und verständliche Frage beinhaltet, ob die Frage überhaupt in den Tätigkeitsbereich der EU fällt oder ob dieselbe oder eine ähnliche Frage bereits kürzlich von einem anderen Abgeordneten gestellt wurde. Auch beleidigende Fragen sowie Angelegenheiten, die nur im persönlichen Interesse des Abgeordneten sind und nicht mit seiner parlamentarischen Arbeit zusammenhängen, werden zurückgewiesen. Der Abgeordnete hat bei abgelehnten Fragen jedoch jederzeit die Möglichkeit, seine Anfrage entsprechend der Richtlinien umzuformulieren. Die neue Regelung soll die Informations- und Fragerecht der Abgeordneten somit nicht einschränken, sondern dieses Instrument verbessern. Heute warten Abgeordnete nämlich aufgrund der Flut von nur teilweise berechtigten Fragen ihrer Kollegen meist so lange auf eine Antwort der Kommission, dass sie die erhaltenen Informationen oftmals gar nicht mehr richtig verwenden können.

Ich begrüße die beiden Reformen in der Geschäftsordnung des Parlaments, da sie die internen Abläufe der Parlamentsarbeit verbessern werden. Bei derzeit 785 Abgeordneten brauchen wir Regeln, die sinnvolle und effiziente Abläufe garantieren. Dies hilft auch, unnötige Ausgaben für die öffentliche Hand einzudämmen.

Das es im Interesse der Europaskeptischen britischen Presse ist, die Verbesserung der Handlungsfähigkeit des Europäischen Parlaments zu torpedieren, ist nicht verwunderlich. Im Interesse der Bürgerinnen und Bürger - auch der britischen - ist es nicht.

Mit freundlichen Grüßen

Wolfgang Kreissl-Dörfler