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Thomas Stotko
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Frage von Ralf D. •

Frage an Thomas Stotko von Ralf D. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie

Sehr geehrter Herr Stotko,

wie ist Ihre Position zum dreigliedrigen Schulsystem? In welche Richtung würden Sie das Schulsystem entwickeln, was wäre der zeitliche Fahrplan?

Vielen Dank vorab für Ihre Antwort!

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Dadder,

herzlichen Dank für ihre Frage, die mich über Abgeordnetenwatch erreicht hat:

Nicht erst seit Pisa wissen wir, dass viel zu viele junge Menschen in unserem gegliederten Schulsystem auf der Strecke bleiben. Mehrere Punkte sind hierfür maßgeblich verantwortlich: Frühe Sortierung nach Schulformen, Sitzenbleiben, Überweisungen an Förderschulen und Abschulungen. Fast 40% aller Schülerinnen und Schüler machen zwischen der ersten und der 10. Klasse mindestens einmal die Erfahrung, von ihrer Lerngruppe aufgrund angeblich mangelnder Fähigkeiten ausgeschlossen zu werden. Aber es geht nicht nur nach Leistung, sondern auch nach sozialer Herkunft. Nur 12% aller Arbeiterkinder - aber 70% aller Beamteninder - besuchen nach der Grundschule ein Gymnasium. Ein Trend, der sich auch an der Hochschule fortsetzt, von 100 Akademikerkindern gehen 83 zur Hochschule, von Nicht-Akademikern hingegen nur 23. Das Prinzip der frühen Auslese gibt es weltweit nur noch in 19 Ländern - 16 davon sind die deutschen Bundesländer! Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch kurz einige Zahlen nennen, die die gravierenden Nachteile des gegliederten Schulsystems belegen: über 60.000 Sitzenbleiber pro Jahr (Kosten für die notwenigen 3000 Lehrerstellen belaufen sich auf 150 Millionen Euro jährlich), auf einen Aufsteiger kommen sieben Absteiger, rund 7% verlassen die Schule ohne einen (Hauptschul-)Abschluss. Untersuchungen haben zudem gezeigt, dass 40% aller Grundschulgutachten falsch sind, diese bilden jedoch die Basis dafür, dass Kinder bereits mit 9 Jahren in Schubladen sortiert werden.

Daher steht für meine Partei und mich fest, dass wir mit dem gegenwärtigen Schulsystem soziale Gerechtigkeit, Chancengleichheit und eine hohe Bildungsbeteiligung nicht erreichen. Und noch ein Grund spricht gegen die Beibehaltung des mehrgliedrigen Schulsystems: durch die demografische Entwicklung werden in den nächsten 25 Jahren viel weniger Kinder in die Schule gehen als in den früheren Jahren. Städte und Gemeinden müssen auf diese Entwicklung reagieren um eine Verödung der Schullandschaft zu verhindern und ein wohnortnahes Angebot sicherzustellen.

Damit wir diesen Anforderungen insgesamt gerecht werden, setzt die SPD auf längeres gemeinsames Lernen in der Gemeinschaftsschule:

- Die Gemeinschaftsschule nimmt die Kinder nach der Grundschule auf und ist bis zur Klasse 10 für den Bildungserfolg verantwortlich
- Am Ende der Klasse 10 können alle Schulabschlüsse der Sekundarstufe I erreicht werden
- In den Klassen 5 und 6 findet für alle Kinder gemeinsamer Unterricht statt
- Ab Klasse 7 oder später wird nach gemeinsamer Entscheidung aller Beteiligten (Schule, Schulträger, Eltern) festgelegt, ob ein vollständig integrierter unterricht weitergeführt oder ein Differenzierung, beispielsweise in Hauptschul-, Realschul- und Gymnasialklassen vorgenommen wird
- Die Gemeinschaftsschule hat eine gemeinsame Schulleitung und ein gemeinsames Kollegium

Die Gemeinschaftsschule steht zudem für eine andere Lernkultur. Anders als vom politischen Gegner behauptet handelt es sich hierbei nicht um eine Einheitsschule, sondern jeder Schüler erhält, entsprechend seiner Begabungen, individuelle Lern- und Förderpläne. Unterricht soll neu organisiert und gestaltet werden. Projektbezogenes und fächerübergreifendes Lernen erfordert jedoch flexible Organisationsstrukturen, wobei unterschiedliche Lernvoraussetzungen und Begabungen immer berücksichtigt werden müssen. Damit dieses Ziel erreichbar ist, benötigen natürlich auch die Lehrerinnen und Lehrer entsprechende Ressourcen, sowie Zeit für Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten. Die Gemeinschaftsschule soll flächendeckend und verbindlich eingeführt werden, jedoch immer mit der Berücksichtigung pragmatischer sowie orts- und stadtteilgenauer Lösungen.

Für die Umsetzung gibt es keinen zeitlichen Fahrplan. Wir wollen die Gemeinschaftsschule ermöglichen, sie soll langsam vor Ort wachsen. Über die konkrete Umsetzung in einer Stadt oder Gemeinde entscheiden Eltern, Schulen und Kommunen gemeinsam.

Mit freundlichen Grüßen
Thomas Stotko