Das Foto zeigt eine Portraitaufnahme von Tabea Rößner vom Juni 2021.
Tabea Rößner
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Arno M. •

Frage an Tabea Rößner von Arno M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Rößner,

die 19. Bundestagswahl steht vor der Tür und bevor ich im September meine Stimme abgebe, würde ich mich freuen, wenn Sie mir folgende Fragen beantworten könnten:

1. Wie werden Sie bedrohten Menschenrechtsverteidigern konkret persönlich helfen?

2. Welche Möglichkeiten sehen Sie, sich persönlich für die Wahrung der Menschenrechte, für offene Kritik an Menschenrechtsverletzungen und den Schutz von Opfern in mächtigen Staaten wie Russland, China oder die Türkei einzusetzen?

3. Was werden Sie tun, damit Verantwortliche für Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen und Fluchtursachen somit wirksam bekämpft werden?

4. Was werden Sie tun, damit religiöse Minderheiten besser geschützt werden und nicht aus ihrer Heimat fliehen müssen? Was möchten Sie tun, um in Deutschland das Verhältnis zwischen den verschiedenen Religionsgemeinschaften im Sinne von Toleranz und Respekt zu gestalten?

5. Was werden Sie tun, um deutsche Unternehmen zu verpflichten, bei ihren Projekten die Menschenrechte indigener Völker zu respektieren? Wie werden Sie indigene Völker darin unterstützen, ihre Rechte gegenüber deutschen Unternehmen wahrzunehmen?

6. Was werden Sie tun, um die Roma- und Sinti-feindlichen Denkmuster und Verhaltensweisen in Ihrem Wahlkreis zu bekämpfen?

7. Was werden Sie tun, um den Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten zu gewährleisten?

Das Foto zeigt eine Portraitaufnahme von Tabea Rößner vom Juni 2021.
Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Arno Meier,

vielen Dank für ihre kritischen Fragen. Die von Ihnen angesprochenen Themen liegen mir und meiner Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sehr am Herzen, auch wenn uns in der Opposition leider manchmal nicht ausreichend Stimmen zur Verfügung stehen, um unsere Anträge durchzubringen. Umso wichtiger ist für uns im kommenden September jede Stimme an der Wahlurne.

1. Wie werden Sie bedrohten Menschenrechtsverteidigern konkret persönlich helfen?

Als medienpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN liegt mein politisches Mandat und Engagement ganz klar im Bereich der Meinungs- und Pressefreiheit. Wo Menschen ihre Meinung nicht sagen dürfen, ist es meist auch mit anderen Grundrechten nicht weit her. Pressefreiheit ist ein hohes Gut und eine der Grundsäulen von Demokratie. Daher setze ich mich aktiv für den Schutz von Journalisten weltweit ein.

Aktuelles Beispiel ist der Fall Yücel. Die Festnahme von Deniz Yücel hat daneben noch eine andere Dimension, denn mit Yücel wurde ein Journalist mit deutschem Pass aufgrund einer Veröffentlichung in einer deutschen Tageszeitung in der Türkei verhaftet. Im Namen der Demokratie, an die ich felsenfest glaube, ist es wichtig, sich gegen diese Ungerechtigkeit zu wehren und auch weiterhin für die Freilassung Deniz Yücels sowie der weiteren inhaftierten Journalistinnen und Journalisten in der Türkei einzutreten. Denn wird die Pressefreiheit untergraben, so ist das der Beginn einer Aushöhlung von Demokratie.

Ebenfalls habe ich 2012 im Parlamentarier schützen Parlamentarier Programm die Patenschaft für die damals inhaftierte iranische Frauenrechtlerin und Bloggerin Fereshteh Shirazi übernommen. Auch wenn Frau Shirazi inzwischen nicht mehr inhaftiert ist, führe ich diese Patenschaft fort. Denn es ist meiner Meinung nach immens wichtig, Aufmerksamkeit für weltweite Menschenrechtsverletzungen zu schaffen. https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2014/kw30_psp_roessner/286870

2. Welche Möglichkeiten sehen Sie, sich persönlich für die Wahrung der Menschenrechte, für offene Kritik an Menschenrechtsverletzungen und den Schutz von Opfern in mächtigen Staaten wie Russland, China oder die Türkei einzusetzen?

Staatliche Zensur ist in vielen Ländern eine Gefahr für die Pressefreiheit. Das ist insbesondere der Fall in Ländern wie China und Russland, wo große Teile der Presse staatlich kontrolliert werden. Die Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordert daher: Medien- und Meinungsvielfalt als zwingende Grundvoraussetzung für eine Aufnahme in die EU sowie die Einhaltung der Pressefreiheit in allen Mitgliedsstaaten stärker zu überwachen.

In erster Linie ist es wichtig Dinge nicht totzuschweigen. Deswegen ist es das A und O, besonders in meiner Rolle als Bundestagsabgeordnete, Missstände immer wieder anzuprangern. Ich fordere somit lautstark die Freilassung Deniz Yücels, die Aufklärung des Attentats auf den Journalisten Pawel Scheremet in Kiew, veranstalte aber auch Podiumsdiskussionen und Film-Talks zu relevanten Themen auch in Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Organisation, wie beispielsweise der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM). Darüber hinaus bin ich stellvertretende Vorsitzende der Deutsch-Zentralasiatischen und der Deutsch-Südkaukasischen Parlamentariergruppe, in denen es in erster Linie um den Informations- und Meinungsaustausch mit Parlamentariern dieser Regionen geht, aber auch um Kontakte zu Regierungsvertretern und Repräsentanten der Zivilgesellschaft. Dabei geht es immer auch um die Förderung parlamentarisch-demokratischer Strukturen und um die Stärkung der Menschenrechte. Bei Delegationsreisen in die Region ist es somit meine Pflicht kritisch nachzufragen, mir ein Bild von aktuellen Missständen zu machen und mich für diese Grundwerte entschlossen einzusetzen.

3. Was werden Sie tun, damit Verantwortliche für Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen und Fluchtursachen somit wirksam bekämpft werden?

Meine Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und ich haben im Oktober 2016 den Antrag „Verbrechen nach dem Völkerstrafrecht nicht ungesühnt lassen“ (18/10031) im Deutschen Bundestag eingereicht. Darin fordern wir eine juristische Aufarbeitung der "schweren Verbrechen gegen die Menschlichkeit" durch staatliche und nichtstaatliche Akteure in Gebieten Syriens und des Iraks. In Anbetracht der Situation, dass weder Syrien noch der Irak Vertragsstaaten des Römischen Statuts sind, kann sich der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) nur mit der Situation vor Ort befassen, wenn der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen den Fall zur Bearbeitung an ihn überweist. Eine auch von Deutschland unterstützte Resolution dazu scheiterte im Mai 2014 an dem Veto von Russland und China im Sicherheitsrat. Daher ist es für uns unerlässlich, dass der Deutsche Bundestag die Bundesregierung dazu auffordert, sich bei den Vereinten Nationen sowie auf allen diplomatischen Ebenen erneut für eine Überweisung der Völkerrechtsverbrechen in Syrien und im Irak durch den VN-Sicherheitsrat an den Internationalen Strafgerichtshof einsetzt bzw. andernfalls die Einrichtung eines Sondertribunals zur strafrechtlichen Aufarbeitung der Völkerrechtsverbrechen in Syrien und im Irak einfordert. Wir bedauern sehr, dass dieser Antrag abgelehnt wurde.
Unseren Antrag „Fluchtursachen statt Flüchtlinge bekämpfen“ (18/7046) vom Dezember 2015 ereilte leider selbiges Schicksal. Darin forderten wir nicht nur, dass „Rüstungsexporte in Krisengebiete und an Staaten mit einer hochproblematischen Menschenrechtslage zu stoppen“ sind, sondern auch, dass Deutschland und die EU „konzeptionell, finanziell und strukturell“ eine Vorreiterrolle für zivile Krisenprävention einnimmt. Wir setzen uns ein, dass regionale Friedensansätze gestärkt werden und für politische Konfliktlösungen die Zivilgesellschaft einzubeziehen ist.

4. Was werden Sie tun, damit religiöse Minderheiten besser geschützt werden und nicht aus ihrer Heimat fliehen müssen? Was möchten Sie tun, um in Deutschland das Verhältnis zwischen den verschiedenen Religionsgemeinschaften im Sinne von Toleranz und Respekt zu gestalten?

Ich und die Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stehen für eine Gesellschaft, in der jede und jeder sicher und selbstbestimmt leben kann und die individuelle Freiheit sowie die persönliche Identität geschützt sind. Grenzen erfährt diese persönliche Freiheit erst dort, wo sie die Freiheit anderer einschränkt. In meinem Wahlkreis bin ich daher im regelmäßigen Austausch mit den verschiedenen Religionsgemeinschaften und appelliere wo nötig an gegenseitige Toleranz. In meiner Rolle als Bundestagsabgeordnete und Mitglied von Parlamentariergruppen setze ich mich aber auch auf meinen Delegationsreisen gegen jede Form von Diskriminierung ein.

Auch im Bundestag schauen wir immer wieder kritisch auf unsere Rechtsordnung und setzen uns dafür ein, diese durch Reformen pluralitätsfreundlicher zu machen und nicht-diskriminierend für all jene, die nicht Mitglied einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft sind. So muss es Teil dieses Prozesses sein, „den“ Islam in unsere Rechtsordnung zu integrieren.

5. Was werden Sie tun, um deutsche Unternehmen zu verpflichten, bei ihren Projekten die Menschenrechte indigener Völker zu respektieren? Wie werden Sie indigene Völker darin unterstützen, ihre Rechte gegenüber deutschen Unternehmen wahrzunehmen?

Menschenrechte heißt, nicht mit zweierlei Maß zu messen. Es ist daher wichtig diese Rechte überall zu vertreten und sich vor allem auch, gegen jede Diskriminierung zu wehren. Ich und meine Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN setzen uns daher für eine menschenrechtsgeleitete Außenpolitik ein, was für uns bedeutet Verantwortung zu übernehmen und zwar soweit der Arm des Staates reicht, somit auch über die deutschen Unternehmen im Ausland.

Wir haben 2015 einen Antrag im Bundestag eingereicht, indem wir die Bundesregierung auffordern, dem Deutschen Bundestag die ILO-Konvention 169 über eingeborene und in Stämmen lebende Völker umgehend zur Ratifizierung vorzulegen. Denn die ILO-Konvention 169 von 1989 ist das einzige völkerrechtlich verbindliche Dokument, das die Rechte indigener Völker weltweit und umfassend anerkennt. Mit fadenscheinigen Argumenten wurde unser Antrag im März 2017 abgelehnt. Zentral ist es daher intensiver in den internationalen Organisationen zu arbeiten.

Es muss nicht nur der Ausverkauf fruchtbarer Landflächen in Entwicklungsländern gestoppt, sondern auch die Landrechte von indigenen und ländlichen Gemeinden gesichert werden. Wir erachten es in diesem Rahmen als sehr wichtig, dass die Bundesregierung Beratungs- und Schulungsprogramme für nationale Regierungen unterstützt, um diese für Verhandlungen mit Investoren über großflächigen Landvergaben im Interesse ihrer Bevölkerung zu qualifizieren.

6. Was werden Sie tun, um die Roma- und Sinti-feindlichen Denkmuster und Verhaltensweisen in Ihrem Wahlkreis zu bekämpfen?

Als Demokratinnen und Demokraten ist es unsere Pflicht Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung entschieden entgegenzutreten. In Rheinland-Pfalz leben seit Jahrhunderten EinwanderInnen aus aller Welt. Roma und Sinti sind die größte Minderheit Europas und obwohl sie unsere uneingeschränkte Solidarität verdient haben, sind sie seit Jahrhunderten rassistischen Anfeindungen und Diskriminierungen ausgesetzt. Gerade in der heutigen Zeit hat der Antiziganismus wieder eine traurige Dimension erreicht.
Dass Medien einen elementaren Beitrag zur demokratischen Willensbildung leisten ist uns inzwischen bekannt. Damit tragen sie eine große Verantwortung, denn sie können so auch Vorurteile befördern. Dies belegt die Studie von Markus End, der die Berichterstattung über Sinti und Roma in Deutschland untersucht hat. Um rassistische Vorurteile abzubauen und Diskriminierung zu mindern, ist mehr Wissen über Sinti und Roma entscheidend. Aber wir müssen uns auch mit den Entstehungsbedingungen und Erscheinungsformen des Antiziganismus systematisch auseinandersetzen. Die Einsetzung eines unabhängigen Expertenkreises aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wie auch Praktikerinnen und Praktikern halten wir daher für notwendig, um in jeder Wahlperiode einen Bericht zum Antiziganismus gegen autochthone und allochthone Sinti und Roma in Deutschland vorzulegen.

Außerdem fordern wir im zuvor erwähnten Antrag „Fluchtursachen statt Flüchtlinge bekämpfen“ (18/7046) „die wirtschaftliche und soziale Integration der Roma innerhalb der EU aber auch gegenüber Beitrittskandidaten konsequent um- und dafür ausreichende Mittel einzusetzen sowie dabei Antiziganismus als grundlegende Ursache vieler Menschenrechtsverletzungen anzuerkennen“.

Ganz konkret engagiere ich mich in meinem Wahlkreis als Vorstandsmitglied von Rheinhessen gegen Rechts e.V., denn rassistisches Gedankengut wie Roma- und Sinti-feindlichen Denkmuster und Verhaltensweisen haben in meinem Wahlkreis und auch nirgendwo sonst, Berechtigung. Ich appelliere außerdem immer wieder und besonders jetzt, kurz vor der Bundestagswahl, an die Bevölkerung wählen zu gehen. An den Wahlurnen wird am 24. September 2017 entschieden, wie Deutschland sich gesamtgesellschaftlich in der Frage positioniert.

7. Was werden Sie tun, um den Schutz der Zivilbevölkerung in bewaffneten Konflikten zu gewährleisten?

Unser Einsatz für Menschenrechte gilt immer dem Schutz der Zivilbevölkerung – auch in bewaffneten Konflikten. Denn Terror und Terroristen können mit Militäreinsätzen nicht besiegt werden. Aus diesem Grund haben wir beispielweise auch das Bundeswehrmandat für Syrien abgelehnt und mit „Nein“ gestimmt. Weiterhin haben wir uns unter anderem dafür eingesetzt, dass die Bundesregierung mit der Unterzeichnung der Safe Schools Declaration zum Schutz von Schulen in bewaffneten Konflikten ein internationales Zeichen setzt und es ist beschämend, dass sich die Bundesregierung dem internationalen Engagement für den Schutz von Kindern verweigert.

Der Schutz der Zivilbevölkerung geht Hand in Hand mit der Bekämpfung von Fluchtursachen. Insofern ist es zwingend notwendig, dass wir uns der dringenden Frage stellen, inwieweit unser politisches Handeln und Nichthandeln in unseren Partnerländern, aber eben auch bei uns in Deutschland, dazu beitragen, dass über 60 Millionen Menschen ihre bisherige Heimat, ihr bisheriges Leben hinter sich lassen mussten. Der derzeitige Weg scheint dabei wenig nachhaltig. Durch Waffenexporte in Krisenregionen ist Deutschland an Menschenrechtsverletzungen weltweit beteiligt, denn Waffenexporte höhlen den Einsatz für Frieden und Versöhnung andernorts aus. Eine menschenrechtsorientierte Politik muss jedoch immer den Schutz der Zivilbevölkerung an die oberste Stelle setzen. Nach dieser Maxime sollte die Bundesregierung handeln.

Politische Lösungen sind die Voraussetzung für ein Ende der Gewalt. Rechtsstaatsförderung muss durch Rechtsstaatsmissionen – und keine Militärmissionen – erfolgen. Solange diese nicht herbeigeführt sind, ist es auch falsch Flüchtlinge zum Beispiel nach Afghanistan zurückzuschicken, wie uns der Anschlag vom 31. Mai diesen Jahres einmal mehr deutlich vor Augen führte. Die deutsche Bundesregierung muss vermehrt darauf drängen, dass Friedengespräche und somit politische Lösungen, auch unter schwierigen Bedingungen geführt werden.

Ich hoffe sehr, dass ich mit meinen knappen Antworten, Ihre Fragen zumindest ansatzweise beantworten konnte.

Mit den besten Grüßen
Tabea Rößner

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