Das Foto zeigt eine Portraitaufnahme von Tabea Rößner vom Juni 2021.
Tabea Rößner
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Andreas H. •

Frage an Tabea Rößner von Andreas H. bezüglich Familie

Hallo Tabea,
über bessere Familienpolitik wird viel diskutiert, wenn Kinder Stimmrecht hätten, wären wir sicher viel weiter. Warum ist es nicht möglich, Eltern, die ja auch in allen anderen Gebieten die Interessen der Kinder wahrnehmen, ein Stimmrecht für ihre Kinder einzuräumen (ab Geburt). Und Jugendliche, die ab 16 volles Wahlrecht hätten, denken über viele Sachen anders nach (wie die Diskussionen in den Schulklassen vor Wahlen immer wieder zeigen). Vielleicht sogar eine Möglichkeit gegen zunehmende Politikverdrossenheit, auf jeden Fall aber eine bessere Ausgangslage in Fragen über Kitas, Erzieherinnen etc.?
In einer Demokratie sollten alle mit Ihrer Stimme die Zukunft mitgestalten - der 92jährige Altenheimbewohner genauso wie der Erstklässler mit seiner Familie. Wie stehst Du, resp. die Grünen hierzu?
Herzliche Grüße
Andreas Hedemann

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Hallo Andreas,

vielen Dank für Deine Anfrage zum Thema Kinder- bzw. Familienwahlrecht.
Erst vor wenigen Tagen hat meine 10jährige Tochter gefordert, dass sie wählen wolle, und meinte, die Kinder müssten nur an die Macht, dann werde alles besser.

Ich habe mich immer wieder mit dem Thema auseinander gesetzt, denn die Debatte über die Einführung eines Kinder- oder Familienwahlrechtes flammt regelmäßig auf.

Grundsätzlich finde ich Überlegungen bzw. Forderungen nach einer solchen Wahlrechtsänderung nachvollziehbar: Kindern und Familien müssen mehr Gehör finden. Angesichts der Alterung und Schrumpfung unserer Gesellschaft ist es für sie tendenziell schwieriger, die angemessene Berücksichtigung ihrer Interessen und Belange durchzusetzen.

Allerdings habe ich noch kein Konzept für ein solches Wahlrecht gesehen, dass mich überzeugt hat. Daher bin ich, auch wenn eine breite Diskussion über die Lage unserer Kinder und Familien wichtig und notwendig ist, dem Vorschlag eines Kinderwahlrechtes gegenüber skeptisch. Dies gilt übrigens auch für eine breite Mehrheit unserer Partei. Verfassungsrechtliche, demokratietheoretische und pragmatische Einwände lassen an der Eignung dieses Instrumentes zweifeln.

Das vorgeschlagene Familienwahlrecht ist unserer Auffassung nach verfassungsmäßig höchst problematisch: es untergräbt das Prinzip der Höchstpersönlichkeit des Wahlrechts. Außerdem ist fraglich, ob die Eltern immer im Sinne ihrer Kinder entscheiden würden. Was bei einem Kleinkind vielleicht noch nachvollziehbar ist, wird bei zunehmendem Alter der Kinder und Jugendlichen immer fragwürdiger. Viele Jugendliche haben eine von den Eltern abweichende politische Meinung. Auch wenn Kinder ihre Interessen und eine Wahlabsicht reflektieren und äußern können, bliebe es ihren Eltern überlassen, diesem Wunsch zu entsprechen oder nach eigenen Erwägungen zu wählen.

Ganz praktische Schwierigkeiten ergeben sich hinsichtlich der Frage, welcher Elternteil in Vertretung abstimmen soll. Nicht nur bei gemeinsamem Sorgerecht geschiedener oder getrennt lebender Elternteile ist zusätzlicher Konfliktstoff absehbar. Manche BefürworterInnen des Kinderwahlrechts bieten für Streitfälle innerhalb der Familie immer wieder den Gang zum Familiengericht oder einer Schiedsstelle an. Dieser Vorschlag wirft nicht nur praktische Probleme auf – der Arbeitsanfall in Familiengerichten oder entsprechenden Stellen dürfte kurz vor Wahlen weder vertretbar noch zu bewältigen sein. Er unterläuft auch das Prinzip der geheimen Stimmabgabe und verletzt so grundlegende Regeln der demokratischen Wahl.

Statt stellvertretendem Wahlrecht für die Eltern müssen die direkten und aktiven Beteiligungsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen auf allen politischen Ebenen gestärkt und ausgebaut werden. Kinder und Jugendliche wollen ihre Interessen möglichst eigenständig vertreten. Durch vernünftige, altersadäquate Beteiligungsmöglichkeiten lernen sie darüber hinaus frühzeitig demokratische und tolerante Denk- und Verhaltensweisen. Dies ist der Weg, auf dem wir weiter voranschreiten sollten. Darum fordern wir GRÜNE in Rheinland-Pfalz für Kommunalwahlen das Wahlrecht ab 16 Jahren.

Um Interessen von Familien (und so auch von Kindern) in politischen Entscheidungen stärker zu berücksichtigen, ist es aber auch wichtig, dass Politik familienfreundlicher ist, damit mehr Eltern mit kleineren Kindern sich politisch engagieren können. Auch hier gibt es noch einen großen Handlungsbedarf!

Herzliche Grüße

Tabea

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