Frage an Stefan Kaufmann von Alma D. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Kaufmann,
mein Anliegen ist es, eine verlässliche Grundlage für ein politisches Mitwirken der Bürger in unserem demokratischen Rechtsstaat auf Basis der repräsentativen Demokratie zu bekommen. Hierbei wird gerade Stuttgart immer wieder die Bürgerbefragung, der Bürger- und Volksentscheid ins Spiel gebracht. Aus dem was sich in Stuttgart in den letzten Jahren zugetragen hat, lässt sich nicht genau ermitteln, was Sie bzw. die CDU für ein Ziel verfolgen. Zuletzt ist mir Ihre neueste Pressemitteilung zu den OB-Kandidaten in Stuttgart hierzu aufgefallen:
http://www.stefan-kaufmann.de/fileadmin/presse/pressemitteilungen/2012/PM_Stuttgart_21.pdf
Darin schreiben Sie:
"Letztlich haben bei der Volksabstimmung am 27. November 2011 über die Gesetzesvorlage des S21-Kündigungsgesetzes 52,9 Prozent der Abstimmenden in Stuttgart gegen die Gesetzesvorlage gestimmt. Am rechtsstaatlichen Ablauf der Volksabstimmung gab es bisher keine Zweifel."
Welche Grundsätze lassen sich daraus ableiten:
1. Vertreten Sie die Auffassung, dass die Stuttgarter alleine über dieses Projekt in ihrer Stadt entscheiden können sollen?
2. Reicht für solch eine Entscheidung jetzt doch die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen?
3. Wie weit wird durch eine solche Abstimmung Recht und Gesetz außer Kraft gesetzt?
- Dürfen die Kosten eines solchen Projektes nun bedingt durch nicht leugnenbare Baurisiken und unumgängliche Umplanungen weit über die Grenze der Wirtschaftlichkeit hinausgehen?
- Und wenn es sich tatsächlich um eine Reduzierung der Leistungsfähigkeit dieses umweltfreundlichsten Verkehrsmittels handelte (Untersuchungen hierzu laufen ja im badenwürttembergischen Verkehrsministerium), ist dann ein Bürgerentscheid höher zu bewerten als gültige Gesetze, nach denen für einen Rückbau auf Bundesebene entschieden werden muss?
Im Hinblick auf künftige Bürgerbeteilung auch in Form von Abstimmungen hätte ich hier gerne eine Auskunft.
Mit freundlichen Grüßen
Alma Demmunek
Sehr geehrte Frau Demunnek,
besten Dank für Ihre Fragen. Diese will ich gerne wie folgt beantworten:
1. Die von Ihnen aufgeworfene Frage, ob die Stuttgarter allein über dieses Projekt in ihrer Stadt entscheiden können sollen, stellt sich nicht. Zum Einen wurde bislang von keiner Seite ein rechtlich zulässiger Weg aufgezeigt, wie die Bürger der Stadt Stuttgart über einen Ausstieg der Stadt Stuttgart aus dem Vertragswerk abstimmen sollten. Zum Anderen hat die Landesregierung entschieden, die Bevölkerung des gesamten Landes Baden-Württemberg über das Gesetz zum Ausstieg des Landes aus der Projektfinanzierung von Stuttgart 21 abstimmen zu lassen.
Aus meiner Sicht gibt es in dieser Frage nichts mehr abzustimmen. Wie bereits in meiner Pressemitteilung geschrieben, haben neben einer Mehrheit der Bevölkerung Baden-Württembergs auch zahlreiche Parlamente auf allen Ebenen das Projekt gebilligt.
2. Ihre zweite Frage verstehe ich nicht. In aller Regel genügt bei einer Entscheidung die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Allerdings hätte für ein Obsiegen der Stuttgart-21-Gegner bei der Volksabstimmung eine einfache Mehr für den Ausstieg des Landes aus der Projektfinanzierung nicht ausgereicht, weil nach der Landesverfassung Baden-Württembergs zusätzlich auch ein sogenanntes Quorum erreicht werden muss. Dies wurde jedoch ebenso verfehlt wie die Mehrheit der Stimmen für einen Ausstieg des Landes Baden-Württemberg.
3. Ihre dritte Frage enthält einige Mutmaßungen, die nicht belegbar sind.
Ganz grundsätzlich gilt aber, dass sich die Frage, wie sich Kostensteigerungen im Laufe der Projektabwicklung bzw. -verwirklichung auf die Planung und Finanzierung auswirken, in den Verträgen selbst geregelt sind. Dort ist vorgesehen, dass bei Überschreiten einer bestimmten Höchstsumme Verhandlungen zwischen den Vertragspartnern über die Finanzierung der Mehrkosten stattfinden.
Im Übrigen kann ich mich nur wundern, dass nun von Seiten der Projektgegner damit argumentiert wird, dass die Volksabstimmung bzw. deren Ergebnis nicht „Recht und Gesetz außer Kraft“ setzen könne. Angesichts dessen, dass ein Großteil der Projektgegner eine Bürgerbeteiligung zu diesem Projekt für unabdingbar gehalten hat und mit Hilfe des Willens des Volkes das Projekt noch aushebeln wollte, erscheinen mir Ihre diesbezüglichen Einlassungen höchst fragwürdig. Nun, da das Volk offensichtlich anders entschieden hat, als es die meisten Projektgegner erhofft hatten, das Mittel der Volksabstimmung in dieser Weise zu ignorieren und „gültige Gesetze“ über das Ergebnis der Volksabstimmung zu stellen, löst bei mir größte Verwunderung aus – und wirft durchaus die Frage nach Ihrem Demokratieverständnis auf.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Stefan Kaufmann