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Richard Pitterle
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Frage von Jonas S. •

Frage an Richard Pitterle von Jonas S. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Pitterle,
Die Staatsverschuldungskurve zeigt einen exponentiellen Verlauf. Nun reden die Politiker oft von Schuldenabbau. Nur ist dieser doch in einem Schuldgeldsystem, in welchem Geld als verzinster Kredit geschaffen wird doch eher unmöglich, oder können sie mir erklären, was ich da falsch verstanden habe?
Nach allem, was ich von Mathematik verstehe, ist ein weiteres Ansteigen der Schulden langfristig, eher noch mittelfristig, unvermeidbar. Es wird wohl in nicht allzuferner Zukunft einen Schuldenschnitt, oder einen Zusammenbruch des Geldsystems geben müssen. Wie sehen da die langfristigen Perspektiven/Strategien aus?
Oder glauben sie an einen Schuldenabbau?

Noch eine Frage: Mir kommt es so vor, als würde sich die Politik in Detailfragen verlieren. Richtungsweisendes höre ich selten, wenn dann noch von AFD oder LINKS-Partei. Sind sie, wie ich, der Meinung, dass die meiste Politik die derzeit betrieben wird übberraschend kurzsichtig ist und auf langfristige Argumente meist verzichtet? Oder werden langfristige Strategien eher verschleiert? Und sollten die etablierten Parteien nicht mutiger sein, und richtungsweisende Politik anstreben und auch den Bürgern vermitteln?

Freundliche Grüße,
Jonas Sifferath

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Sifferath,

vielen Dank für Ihre e-mail.

Zu Ihrer ersten Frage:

Die Staatsverschuldung in Deutschland scheint in den vergangenen Jahrzehnten tatsächlich einem exponentiellen Verlauf zu folgen. Die Entwicklung der Verschuldung der öffentlichen Haushalte ist jedoch in politischen Maßnahmen begründet, nicht in der Konstruktion des Geldsystems.

Der massive Anstieg des Geldvermögens ist zum einen auf die Steuersenkungspolitik der vergangenen Bundesregierungen zurückzuführen. Alleine die Steuerrechtsänderungen seit dem Jahr 1998 haben zwischen 2000 und 2011 bei Bund, Ländern und Kommunen zu Steuerausfällen in Höhe von fast 236 Milliarden Euro geführt (siehe hierzu auch die von Barbara Höll, Axel Troost und mir herausgegebene Broschüre „Staatsschuldenkrise und Handlungsfähigkeit der öffentlichen Haushalte“ – Download unter http://www.linksfraktion.de/abgeordnete/richard-pitterle/downloads/ ).

Zum zweiten wurden die Kosten der immer noch andauernden Finanz- und Wirtschaftskrise zu großen Teilen auf die öffentlichen Haushalte überwälzt. Dies waren insbesondere die Verstaatlichung der Hypo Real Estate und Rettungsmaßnahmen für eine Reihe weiterer Banken, die beiden Konjunkturprogramme zur Stützung der Konjunktur sowie Steuerausfälle während der Finanz- und Wirtschaftskrise (siehe hierzu auch das Papier „Hintergrund: Staatsverschuldung in Deutschland“ meines Kollegen Axel Troost – zum Download unter http://www.axel-troost.de/article/6191.hintergrund-staatsverschuldung-in-deutschland.html ). Allein die Stabilisierung des Bankensektors hat zu einem Anstieg der Staatsverschuldung von rund 300 Milliarden Euro geführt – dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass diesen Schulden zumindest teilweise Vermögenswerte gegenüberstehen. Die beiden Konjunkturpakete und die Steuerausfälle in Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise haben die Staatsverschuldung um weitere rund 100 Milliarden ansteigen lassen.

Daher sehe ich weder kurz- noch mittelfristig einen Zusammenbruch des Geldsystems voraus, noch ist ein Schuldenschnitt dringend geboten. Um öffentliche Haushalte nicht weiter in die Verschuldung abgleiten zu lassen, muss es eine deutlich stärkere Besteuerung von großen Vermögen und Einkommen geben. Der Staat benötigt ausreichend Finanzmittel, um die ihm übertragenen Aufgaben zu erfüllen. Damit könnte zwar kein Schuldenabbau erfolgen, aber es würde auch keine weitere Verschuldung notwendig.

Einem weiteren Anstieg des Geldvermögens könnte kurzfristig zudem durch eine gerechtere Verteilung von Einkommen und Vermögen in der Gesellschaft erreicht werden. Der Anstieg des Geldvermögens, dass die Blasenbildung an den Finanzmärkten massiv beschleunigt und vergrößert hat, ist in erheblichem Umfang auf die Politik der Umverteilung von unten nach oben in den letzten Dekaden zurückzuführen. Würden Beschäftigte wieder stärker an dem von ihnen erarbeiteten Wohlstands beteiligt, würde weniger Geldvermögen gebildet.

Zu Ihrer zweiten Frage:

Ich stimme Ihnen zu, dass der Politikhorizont grundsätzlich kurzfristiger ausgerichtet ist und daher langfristige Politikziele in den Hintergrund treten. Politiker erhalten ihr Mandat für einen bestimmten Zeitraum, also bis zum Ende der Legislaturperiode. In diesem Zeitraum müssen sie Erfolge vorzeigen, um ihre Chancen bei der nächsten Wahl zu wahren. Erfolge haben Politiker vornehmlich durch kurzfristiger ausgerichtetes Handeln, denn dort können Wähler und Wählerinnen bis zur nächsten anstehenden Wahl (z.B. Landtags- oder Kommunalwahl) Ergebnisse sehen. Da geht es dann – wie Sie schrieben – eher um „Detailfragen“, um die man ringt, und die konkreten Ergebnisse kann man dann öffentlichkeitswirksam vertreten und sie sind auch leichter nachvollziehbar. Da geraten Entscheidungen, die erst in einigen Jahren zu positiven Veränderungen führen, eher aus dem Blick - sowohl für den Politiker als auch für den Bürger und die Bürgerin.

Ein schönes Beispiel, wie Politikentscheidungen maßgeblich durch die anstehenden Wahlen beeinflusst wurde, zeigt die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise. Wenn Sie sich den Umgang der letzten Bundesregierung von CDU/CSU und FDP, insbesondere von Bundeskanzlerin Merkel, mit Griechenland betrachten (erst Ablehnung jeglicher Unterstützung, später – als die Folgen dieser Politik an den Finanzmärkten und die Auswirkungen auf andere Staaten unübersehbar waren – folgte eine zunächst zögerliche, dann doch sehr starke finanzielle Unterstützung), dann waren deren , Entscheidungen ausschließlich wahlkampfgetrieben (insbesondere durch die damals anstehende Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen).
Ein weiteres Beispiel für kurzfristige Politik ist die Steuerpolitik.

Ich stimme Ihnen auch zu, dass längerfristig ausgerichtete Politik stärker in den Vordergrund rücken sollte, weiß aber auch aus meiner Arbeit als Gemeinderat der Stadt Sindelfingen, dass das schwierig zu vermitteln ist, eben weil die Erfolge sich erst wesentlich später zeigen werden, und bis dahin kann jeder Politiker bzw. Politikerin behaupten, dass seine Entscheidung die richtige war.

Trotzdem sollte die Politik ihre Verantwortung für die Zukunft ernster nehmen und in ihren täglichen Entscheidungen wesentlich stärker als das bisher geschieht auf die langfristigen Folgen ausrichten.

Mit freundlichen Grüßen

Richard Pitterle

P.S.: Bitte entschuldigen Sie die längere Antwortzeit, ich musste mich hinsichtlich der Staatsverschuldung mit meinem dafür zuständigen Kollegen abstimmen.