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Frage von Daniela H. •

Frage an Raju Sharma von Daniela H. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Sharma,

Ende April war vor allem in Onlinemedien zu lesen, dass die Deutsche Bank in ihrer Bilanz ein Derivatevolumen von über 70 Billionen (70.000.000.000.000) Euro verzeichnet hat.
Macht man sich die Mühe und schaut sich die Bilanz der Deutschen Bank an, ist das sogar richtig.
Nun wissen die meisten von uns, auch aufgrund der Krise, was Derivate sind. Im Grunde nicht mehr als unübersichtliche Wetten und Spekulationen auf Preise, Kurse, Entwicklungen von XY, und wer es ganz perfide mag spekuliert auf Nahrungsmittel. Oder wettet darauf, ob ein bewaffneter Konflikt ausbricht, oder nicht. Derivate sind also im Moment unkontrollierbar und können Ausmaße annehmen, die die meisten nur noch als abartig und abstoßend betiteln würden.
Nun nehmen wir einmal an die Deutsche Bank geht pleite. Irgendein Ereignis führt zum GAU und die Deutsche Bank bittet darum „gerettet“ zu werden.
Nun meine Frage(n):
Wie soll eine Bank allein mit einem Derivatevolumen von ca. 70 Billionen € abgefangen werden?
Woher nimmt der Staat das Geld? Bei wem müsste sich der Staat wiederum verschulden um diese Summe aufzubringen?
Könnte sich Deutschland überhaupt so hoch verschulden?
Ist die Kreditsumme überhaupt noch wichtig? Oder zählt nur noch, ob man die Zinsen bezahlen kann? Man bekommt in jedem Bereich (privat, geschäftlich und auch bei Staaten) immer mehr diesen Eindruck.
Oder wäre dieser Fall nur noch zu lösen indem man das „zypriotische Modell“ anwendet, also die Konten der Steuerzahler sperrt und mit deren Geldern „arbeitet“?
Sollte man angesichts der exorbitanten Summe von 70 Billionen Euro nicht wenigstens in Erwägung ziehen, die Banken ihr „Testament“ schreiben und vorlegen zu lassen, so wie es in den Vereinigten Staaten eingeführt wurde? Und wenn nicht, warum nicht? Es ist doch auch von öffentlichem Interesse mit wem Banken wetten und spekulieren und vor allem, auf was.

Ich wünsche Ihnen alles Gute

Mit freundlichen Grüßen

Daniela Holm

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrte Frau Holm,

vielen Dank für Ihre Anfrage. Ich möchte Sie gerne auf die Antwort meines Kollegen Dr. Axel Troost, dem finanzpolitischen Sprecher der Linksfraktion, verweisen, der Ihre Fragen bereits umfangreich beantwortet hat.

Freundliche Grüße

Raju Sharma

"Liebe Frau Holm,

vielen Dank für ihre Frage.

zunächst vorweg: Ich finde, man darf nicht alle Derivate über einen Kamm scheren. So ist es legitim, wenn sich z.B. ein Unternehmen mit Hilfe eines Derivats gegen Wechselkursschwankungen absichert. Sie haben aber recht, dass die Welt der Derivate regelrecht pervertiert ist. So werden Derivate heute primär als Wettinstrument benutzt und nicht mehr zur Absicherung. Zudem gibt es eine Unzahl überflüssiger Derivate, die Risiken nicht auf viele Schultern verteilen, sondern sie verschleiern.

In Zukunft müssen laut EU-Verordnung Derivate über sogenannte Clearinghäuser abgewickelt werden. Diese springen dann ein, falls ein Kontraktpartner ausfällt. Dafür verlangen sie Sicherheiten. Die Clearinghäuser sollen den Ausfall der beiden größten Marktteilnehmer verkraften können. Man darf aber bezweifeln, dass die Sicherungssysteme eine systemische Krise tatsächlich wegstecken können. Außerdem wird durch die Clearingpflicht nicht verhindert, dass die unzähligen Spekulationsgeschäfte die Finanzmärkte zum Schaden anderer destabilisieren. Den Derivate-Dschungel müssen wir deswegen lichten und nicht bloß etwas sicherer machen.

Dem Problem des überbordenden Derivatehandels wollen wir mit einem Finanz-TÜV begegnen. Bisher ist im Finanzsektor zunächst alles erlaubt, was nicht explizit verboten ist. Ähnlich wie im Straßenverkehr oder bei Arzneimitteln soll nach unserer Vorstellung in Zukunft das Gegenteil gelten: Finanzinstrumente müssen solange verboten sein, bis sie eine ausdrückliche Zulassung haben. Ein Finanz-TÜV dürfte nur Finanzprodukte zulassen, die offensichtlich einen gesamtwirtschaftlichen Nutzen haben, verständlich sind und deren Risiken sich robust quantifizieren lassen. Wenn diese Bedingungen nicht erfüllt sind, muss der Finanz-TÜV die Zulassung des betreffenden Instruments ablehnen.

Damit dürften viele der heute gängigen Praktiken und Instrumente verschwinden. Dies gilt insbesondere für hochkomplexe spekulative Finanzinstrumente.

Mit besten Grüßen,
Dr. Axel Troost

P.S: Sie können meinen Standpunkt zur Derivateregulierung im Detail in einem Beitrag für die "Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen" nachlesen:
www.axel-troost.de

P.P.S.: Die von Ihnen erwähnten Banktestamente gibt es nicht nur in den USA, sondern sie sollen laut den G20 internationaler Standard werden. Der Bundestag hat kürzlich ein entsprechendes Gesetz erlassen. Die Abwicklung einer Großbank vom Schlag der Deutschen Bank wird aber auch mit Bankentestamenten nicht praktikabel sein: So bedarf es einerseits einen internationalen Rechtsrahmen zur Bankenabwicklung, den es bis auf weiteres nicht gibt. Zum anderen darf ganz grundsätzlich bezweifelt werden, dass ohne staatliche Rettungsschirme bei einer Großpleite eine Panik auf den Märkten - und damit eine Finanzkrise - verhindert werden kann."

Raju Sharma