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Nezahat Baradari
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Frage von Gertrud M. •

Frage an Nezahat Baradari von Gertrud M. bezüglich Gesundheit

Sehr geehrte Frau Baradari,

in dem unter der Adresse https://www.transparency.de/aktuelles/detail/article/widerspruchsloesung-ist-de-facto-bereits-gesetz/ abrufbaren Artikel steht:

Das von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn im Eiltempo durchgebrachte Gesetz fordert schon jetzt: Wenn nicht bekannt ist, dass Patientinnen und Patienten mit Hirnschädigung eine Organspende ausdrücklich abgelehnt haben, sollen die Kliniken alles tun, um eine Organspende zu ermöglichen. In der Praxis entspricht dieses Vorgehen einem Verfahren, wie es in Ländern mit Widerspruchslösung praktiziert wird.

Transparency Deutschland sieht bei den am 1. April auf deutschen Intensivstationen angelaufenen Maßnahmen die Gefahr schwerwiegender Interessenkonflikte.

Meine Frage an Sie ist, ob dies so stimmt oder haben Sie eine andere Interpretation zu diesem Gesetz?
Haben Sie für dieses Gesetz gestimmt?
Wie kann ein Patient widersprechen?

Ich finde es einigermaßen skandalös, daß die Mainstreammedien nicht über diesen Sachverhalt berichten.

Mit freundlichen Grüßen
G. M.

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Maier,

herzlichen Dank für Ihre Anfrage vom 11. Mai 2019, auf welche ich Ihnen gerne antworte.

Ich halte den Artikel von Transparency für extrem tendenziös und auch inhaltlich falsch. Gerne begründe ich dies Ihnen nachfolgend.

Vorab möchte ich klarstellen, dass das Gesetz (GZSO) nicht durch den Bundestag "gepeitscht" wurde. Die Vorlage hat das ganz normale Gesetzgebungsverfahren durchlaufen - inklusive Referentenentwurf, 1. Lesung, Anhörung usw. Der Referentenentwurf wurde am 31. August 2018 vom Bundesministerium für Gesundheit fertiggestellt. Die 1. Lesung im Bundestag fand am 17. Januar 2019 statt und am 30. Januar 2019 hat der Ausschuss eine Anhörung mit zahlreichen Sachverständigen (siehe hier: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2019/kw03-de-transplantationsgesetz-584392 ) durchgeführt. Die Abschließende 2./3. Lesung fand am 14. Februar 2019 statt. Sowohl die Abgeordneten der Koalition als auch die Oppositionsfraktionen waren weitgehend zufrieden mit dem Gesetzentwurf. Das Gesetz fand daher große Zustimmung über die Koalition hinaus. Es wurde nichts beschleunigt!

Darüber hinaus weiß ich nicht, auf welchem inhaltlichen Fundament die Behauptung einer de facto Widerspruchslösung gründen soll. Der relevante Paragraph 3 des Transplantationsgesetzes (TPG) wurde durch das GZSO gar nicht berührt und ist weiterhin unverändert in Kraft.
Der Wortlaut dieses Paragraphen ist sehr eindeutig, beginnend mit: "(1) Die Entnahme von Organen oder Geweben ist, soweit in § 4 oder § 4a nichts Abweichendes bestimmt ist, nur zulässig, wenn 1. der Organ- oder Gewebespender in die Entnahme eingewilligt hatte [...]" (Den vollständigen Paragraphen finden Sie hier: https://www.gesetze-im-internet.de/tpg/__3.html )

Auch der dritte Absatz des Artikels ist inhaltlich so nicht zutreffend. Ein Transplantationsbeauftragter ist in einem Klinikum kein außenstehender Dritter, sondern nach §9 TPG eine von jedem Klinikum zu benennende fachlich qualifizierte ärztliche Person. Diese ist nicht an Weisungen der behandelnden Ärzte gebunden, das ist richtig. Und es ist auch richtig, dass wir mit dem Gesetz die Stellung des Transplantationsbeauftragten bewusst gestärkt haben, so dass dieser Zugang zu den Stationen und Patientendaten hat. Es handelt sich aber nicht um eine außenstehende Person, sondern der/die Transplantationsbeauftragte (bei mehreren Intensivstationen gibt es mehrere Transplantationsbeauftragte) untersteht direkt der ärztlichen Leitung des jeweiligen Krankenhauses.

Die Deutsche Stiftung Organspende (DSO) wiederum hat mit der Hirntoddiagnostik überhaupt nichts zu tun. Der hier suggerierte Eindruck stimmt somit nicht. Die DSO führt die Hirntoddiagnostik weder durch noch beauftragt sie diese. Ihr wird lediglich vom Transplantationsbeauftragten gemeldet, wenn jemand potentiell als Organspender in Frage kommt, weil der Patient hirntot ist, d.h. der Hirntod ärztlich festgestellt wurde. Die DSO ist dann für die Organisation der Spende zuständig, also stellt den Kontakt mit den Transplantationszentren her usw.

Auch der letzte Satz in dem Artikel ist leider grob falsch: Der Gesetzgeber verlangt von den Krankenhäusern, dass - wenn nach ärztlicher Einschätzung ein Patient als Organspender in Betracht kommt - eine Todesfeststellung gemacht wird und zwar ob ein Hirntod (der ist genau definiert) vorliegt. Diese Todesfeststellung muss durch zwei Ärzte, die nicht an der vorherigen Behandlung des Patienten beteiligt waren, erfolgen. Zusätzlich müssen die Kliniken der DSO melden, dass es einen potentiellen Organspender (potentiell heißt in diesem Fall, der Patient erfüllt möglicherweise die medizinischen Voraussetzungen) gibt. All das gilt schon lange und wurde nicht durch die jetzige Reform geändert.

Neu hinzu kam die Pflicht für die Krankenhäuser, alle Todesfälle mit primärer und sekundärer Hirnschädigung zu erfassen und diese der DSO einmal jährlich anonymisiert mitzuteilen. Dabei soll auch mitgeteilt werden, warum eine Organentnahme nicht erfolgte bzw. warum eine Meldung an die DSO nicht erfolgte. Es ist schon mehr als bedenklich, dass dem ärztlichen Personal hier unterstellt wird, sie würden potentielle Organspender anders behandeln als andere Patienten oder zu meinen, der Gesetzgeber verlange, dass hier eine andere Behandlung erfolgen sollte.

Mit freundlichen Grüßen
Nezahat Baradari

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