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Michael Bürsch
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Frage von Peter C. •

Frage an Michael Bürsch von Peter C. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrter Herr Buersch,

Vielen Dank für die Beantwortung meiner vorherigen Frage, dazu:
Nicht nur für die Kleinen, die sich keine Reise in die Karibik leisten können!
Was tut die SPD, um international die Steuerschlupflöcher zu stopfen?
Führt sie einen Kampf?
Übrigens, auch UK bekämpft die Kapital-Steuerflucht!
Gibt es ein Konzept der SPD, mit dem die SPD - und auch Sie - die zunehmende Umverteilung der Einkünfte und Vermögen von unten nach oben umkehren will?
Wie sieht es aus?Oder gehört dieser große Aspekt nicht mehr zum offiziellen Programm der SPD?
Nach meiner Kenntnis hat dieses Ziel die "linke" übernommen.
( Literatur zu diesem Thema: Eliten und Macht in Europa, Michael Hartmann, campus Verlag )

Das waren jetzt viele Fragen, aber es schmerzt zu sehen, wohin Deutschland mutiert.
Mit freundlichen Grüssen
Peter Curths

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Curths,

besten Dank für Ihre Fragen.

Seit dem Beginn Ihrer Regierungszeit 1998 geht die SPD mit verschiedenen Instrumenten gegen Steuerkriminalität vor. Einige dieser Instrumente möchte ich Ihnen im Folgenden kurz darstellen.

Mit dem STEUERÄNDERUNGSGESETZ 2003 wurde unter anderem erreicht, dass Einkünfte aus Kapitalvermögen und aus privaten Veräußerungsgeschäften ab 1. Januar 2004 besser erfasst werden können. Banken und Finanzdienstleistungsinstitute sind seither verpflichtet, automatisch für jeden Kunden eine zusammenfassende "Jahresbescheinigung über Kapitalerträge und Veräußerungsgeschäften aus Finanzanlagen" zu erstellen. Diese Bescheinigung führt nicht nur die Zins- und Dividendenerträge, sondern auch die Erträge aus Veräußerungsgeschäften bei Finanzanlagen auf. Die Jahresbescheinigung ist durchaus als Hilfestellung für die Steuerpflichtigen beim Ausfüllen der Formulare für die Steuererklärung gedacht. Doch kann es nach der Rechtsprechung zumindest ein hinreichender Anlass für weitere Ermittlungen sein, wenn die Jahresbescheinigung auf berechtigtes Verlangen des Finanzamts nicht vorgelegt wird.

Als weiteres Instrument zur Entdeckung unvollständiger oder nicht wahrheitsgemäßer Angaben von Steuerpflichtigen dient das Kontenabrufverfahren. Mit der Einführung des Kontenabrufverfahrens ab 1. April 2005 kann die Finanzverwaltung erstmals Kenntnis von bestehenden Kontenverbindungen des Steuerpflichtigen erhalten. Die Finanzbehörden haben bei diesem Abrufverfahren das Recht, sich Auskunft über Kontostammdaten geben zu lassen; d. h. das Finanzamt erfährt nur, bei welchem Kreditinstitut ein bestimmter Steuerpflichtiger ein Konto oder Depot unterhält. Die Abrufe erlauben weder den Zugriff auf das Konto noch den Blick auf Kontostand und Kontobewegungen.

Das Kontenabrufverfahren hat sich in der Praxis hervorragend bewährt und wurde bereits zweimal vom Bundesverfassungsgericht (im März 2005 und im Juli 2007) als verfassungsgemäß bestätigt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss jeder Bürger Einschränkungen seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (Datenschutz) im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen. Die Herstellung steuerlicher Belastungsgleichheit ist nach Auffassung des Gerichts ein solches überwiegendes Allgemeininteresse. Der Gesetzgeber darf - gerade im Interesse der ehrlichen Steuerpflichtigen und "ihres Grundrechts auf Besteuerungsgleichheit" - Verletzungen dieser Gemeinschaftspflicht nicht hinnehmen. Die Rechtsprechung hat somit Rechtssicherheit für die Anwendung dieses so wichtigen Instruments geschaffen. Auch nach der Einführung der Abgeltungsteuer ab 2009 besteht die Kontenabrufmöglichkeit. Das Bundesverfassungsgericht hat in dem sogenannten Tipke-Urteil am 9. März 2004 betont, dass für die Jahre 1997 und 1998 ein strukturelles Erhebungsdefizit bei der Besteuerung von privaten Veräußerungsgewinnen bei Wertpapieren bestanden hat, dieses Vollzugsdefizit aber durch gesetzgeberische Maßnahmen seit 1999, die von uns durchgesetzt wurden, beseitigt worden ist. Zu diesen Maßnahmen gehören die genannte Jahresbescheinigung und das Kontenabrufverfahren.

Für einen effektiven Steuervollzug sind auch Fortschritte auf europäischer Ebene notwendig. So ist die 2003 erzielte Einigung der Finanzminister der Europäischen Union auf die Zinsrichtlinie ein wichtiger, wenn auch noch nicht ausreichender Beitrag im Kampf gegen die grenzüberschreitende Steuerflucht. Die seit 1. Juli 2005 geltende Europäische Zinsrichtlinie ist ein Schritt zu mehr Steuergerechtigkeit. Als Regelfall sieht die Richtlinie einen Informationsaustausch vor: Die Mitgliedstaaten informieren die Finanzbehörden des jeweiligen Wohnsitzlandes über die Zinserträge gebietsfremder Anleger, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind. Auf Drängen Belgiens, Luxemburgs und Österreichs lässt die Richtlinie zu, dass an die Stelle solcher Auskunftserteilung ein Quellensteuerabzug treten kann, wobei diese Steuereinnahmen nach Abzug eines Ausgleichs für den Verwaltungsaufwand an den Wohnsitzstaat des Zinsempfängers überwiesen wird. Der Quellensteuersatz, der derzeit 15 % beträgt, steigt ab 1.Juli 2008 auf 20 % und ab 1. Juli 2011 auf 35 %. Die von der EU abhängigen Gebiete bzw. assoziierten Staaten haben einen automatisierten Auskunftsaustausch oder einen Quellensteuerabzug eingeführt, während die fünf europäischen Drittstaaten (Andorra, Liechtenstein, Monaco, San Marino, Schweiz) sich zur Umsetzung gleichwertigen Maßnahmen verpflichteten und wie Belgien, Luxemburg und Österreich einen Quellensteuerabzug anwenden.

Wie die aktuellen Fälle von Steuerhinterziehung insbesondere in Liechtenstein zeigen, reichen die bisherigen Maßnahmen nicht aus, einen wichtigen Schritt bildet in diesem Zusammenhang die Weiterentwicklung der Europäischen Zinsrichtlinie. Insbesondere müssen Umgehungsmöglichkeiten (z. B. über Stiftungen) verhindert und neben Zinseinkünften auch andere Kapitalerträge einbezogen werden. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück hat beim EU-Finanzministertreffen Anfang März genau dies angestoßen, indem er auf eine Verschärfung der Zinsrichtlinie gedrängt hat.

Darüber hinaus geht es um eine bessere Kontrolle in Deutschland. Gefragt sind effektive Kontrollen und Maßnahmen, die einen gleichmäßigen Vollzug der geltenden Steuergesetze sicherstellen. Darunter fällt bspw. eine Aufstockung der Zahl der Steuerfahnder, die in Ländern wie Hamburg oder Hessen von den dortigen unionsgeführten Regierungen zurückgefahren worden ist. Ebenso wichtig wäre die Schaffung einer tatsächlich bundeseinheitlich agierenden Steuerverwaltung - ein Thema, das aktuell in der Föderalismuskommission ansteht. Auch die Diskussion um ein angemessenes Strafmaß bei solchen Vergehen ist verständlich. Eine für die SPD noch wichtiger Aufgabe sehe ich allerdings darin, den Druck auf Steuerhinterzieher zu erhöhen und deutlich zu machen, dass jeder in der Pflicht für die Gemeinschaft steht.

Nun zu Ihrer zweiten Frage nach dem KONZEPT DER SPD GEGEN EINE ZUNEHMENDE UMVERTEILUNG von unten nach oben.

Für die SPD gehören der Sozialstaat und eine solidarische Gesellschaft, in der Stärkere sich für Schwächere einsetzen nach wie vor zu ihrem Leitbild. Dies spiegelt sich auch in unserem neuen Grundsatzprogramm wider, das Sie unter http://www.parteitag.spd.de/servlet/PB/show/1731523/Hamburger%20Programm_final.pdf abrufen können. Mit Blick auf die soziale Gerechtigkeit und Umverteilung scheinen mit insbesondere die Seiten 30 bis 40 (Solidarische Bürgergesellschaft und demokratischer Staat) sowie 55 bis 60 (Der vorsorgende Sozialstaat) interessant.

Wie eine Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln vom November 2007 verdeutlicht, funktioniert die Umverteilung von oben nach unten in Deutschland noch immer recht gut. Demnach finanziert das obere Drittel der Haushalte 62 Prozent der sozialstaatlichen Leistungen. Umgekehrt erhält das einkommensschwächste Drittel 59,3 Prozent aller Transferzahlungen und zahlt 5 Prozent aller Steuern und Sozialabgaben. Unbestritten bleibt jedoch, dass sich die Schere zwischen Armen und Reichen auch hierzulande vergrößert. Um dem entgegen zu wirken sieht die SPD ihre wichtigste Aufgabe darin, mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Dabei sind wir dank der Agenda 2010 und einer konsequenten Arbeitsmarktpolitik auf einem guten Weg. So lag die Arbeitslosigkeit Ende 2007 zum ersten Mal seit Juni 1995 wieder unter 3,5 Millionen. Im Februar 2008 ist die Zahl der Arbeitslosen gegenüber Januar um 42.000 auf 3,61 Millionen gesunken. Damit sind aktuell 630.000 weniger Menschen arbeitslos als im Februar des letzten Jahres. Ähnlich positive Zahlen gelten für die Entwicklung der Erwerbstätigkeit: 39,59 Mio. Erwerbstätige bedeutet ein Plus von 519.000 gegenüber dem Vorjahr. Auch die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten liegt mit 27,22 Mio. um rd. 588.000 höher als im letzten Jahr, wobei mehr als die Hälfte des Beschäftigungszuwachses auf sozialversicherungspflichtige Vollzeitstellen entfällt.

Darüber hinaus setzen wir uns mit dem Kampf für einen Mindestlohn dafür ein, dass Menschen in schlecht bezahlten Branchen ein Auskommen erhalten, von dem sie eigenständig leben können. Auch dies ist ein wichtiger Beitrag für eine gerechtere Gesellschaft. Dass ein Mindestlohn möglich ist, ohne die wirtschaftliche Entwicklung langfristig negativ zu beeinflussen, beweisen die Erfahrungen in 20 anderen EU-Staaten, die bereits Mindestsätze eingeführt haben.

Wie Sie in Ihrer Mail anmerken, hat sich die Linkspartei des Themas Umverteilung angenommen. Die Vorschläge Ihrer Vertreter mögen sich auf den ersten Blick verlockend anhören, bei genauerer Betrachtung wird meines Erachtens jedoch klar, dass die Ideen weder realistisch sind, noch langfristig zu mehr Gerechtigkeit führen. So verlangte die Linkspartei in einem Antrag vom Mai letzten Jahres beispielsweise, den Einkommensteuertarif zu verändern: Einkommen bis 8.000 Euro jährlich sollen nicht besteuert werden, der Eingangssteuersatz soll bei 15 Prozent liegen, der Spitzensteuersatz bei 50 Prozent und bei einem zu versteuernden Einkommen von 60.000 Euro einsetzen. Was sich zunächst nach eine sinnvollen Umverteilung anhört, stellt sich bei genauerer Betrachtung als finanzpolitisch nicht finanzierbar und daher kaum umsetzbar heraus. Die vorgeschlagene Tarifsenkung würde zusammen mit der Anhebung des Grundfreibetrages insgesamt Steuerausfälle in Höhe von jährlich 12 Mrd. Euro (einschließlich Soli) verursachen. Die Grenzsteuerbelastung läge bereits ab einem zu versteuernden Einkommen von 39.600 Euro höher als nach geltendem Recht, so dass Leistungsanreize schon für mittlere Einkommen absinken würden. Außerdem würde die starke Anhebung des Spitzensteuersatzes insbesondere mittelständische Unternehmen belasten und somit die Maßnahmen zur Erhöhung der steuerlichen Wettbewerbsfähigkeit im Rahmen der Unternehmensteuerreform 2008 konterkarieren.

Was für diesen Antrag der Linkspartei gilt, gilt mit Blick auf die soziale Gerechtigkeit in Deutschland auch für viele andere (z. B. "Für Selbstbestimmung und soziale Sicherheit - Strategie zur Überwindung von Hartz IV", Bundestagsdrucksache 16/997): Sie beschäftigt sich ausschließlich mit der Verteilungsseite und reduziert Sozialpolitik auf möglichst hohe Zahlungen. Fragen der Finanzierbarkeit werden nicht oder falsch beantwortet. Auch die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und der Standort Deutschland bleiben außen vor. Hohe Lohnnebenkosten, möglichst hohe Steuern und die Einschränkung des Wettbewerbs führen zum Verlust zahlreicher Arbeitsplätze, da deutsche Unternehmen deutlich weniger konkurrenzfähig wären. Nur von sozialer- und Verteilungsgerechtigkeit zu sprechen, sich über die Konsequenzen seiner Vorschläge aber nicht ausreichend Gedanken zu machen, ist meiner Meinung nach unverantwortlich.

Mit freundlichen Grüßen

Michael Bürsch