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Mahmut Özdemir
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Frage von Jens R. •

wie können Sie eine Impfpflicht mit dem Artikel 1 des Grundgesetzes vereinbaren?

Sehr geehrter Herr Özdemir,

wie können Sie eine Impfpflicht mit dem Artikel 1 des Grundgesetzes vereinbaren? Eine Impfung ist ein medizinischer Eingriff in das Immunsystem. Dazu bedarf es der zwanglosen und freiwilligen Einwilligung des Patienten. Eine Impfpflicht widerspricht dem Freiwilligkeit und es entstehen Zwänge. Natürlich hofft man mit einer Impfpflicht Pandemien zu verhindern, jedoch kann und darf das Individualrecht nicht ausgehelbelt werden. Ganz zu Schweigen von den Vertrauensverlusten in die Ärzte, die ja die Patienten zwangsbehandeln müssen. Von dem Problemen mit dem Nürnberger Kodex ganz zu schweigen.
Ich würde mich über eine Rückmeldung mit Ihrer Meinung dazu freuen und hoffe inständig, daß Sie sich gegen eine Impfpflicht entscheiden werden.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Jens R.

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Dr. R.,

haben Sie vielen Dank für Ihre Nachricht.

Für die Grundrechtskonformität einer allgemeinen Impfpflicht ist die konkrete Ausgestaltung maßgeblich.

Ein Eingriff in ein Grundrecht ist immer dann gegeben, wenn eine unmittelbare, zielgerichtete Beeinträchtigung des Schutzbereiches erfolgt. Eine Impfung gegen COVID-19 stellt somit einen Eingriff in den Schutzbereich von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG dar. Da Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG einen Gesetzesvorbehalt enthält, kann das Grundrecht nur auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden. Es bedarf mithin einer konkreten Eingriffsgrundlage und müsste darüber hinaus mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar sein. Die Regelung wäre verhältnismäßig, sofern mit ihr ein legitimes Ziel verfolgt wird und sie geeignet, erforderlich und angemessen ist, um dieses zu erreichen.

Die Impfungen gegen COVID-19 haben unterschiedliche Schutzbedürftige im Blick. Eine Impfung würde die Geimpften vor schweren Krankheitsverläufen schützen und somit dem Schutz ihrer Gesundheit dienen. Dies ist im Allgemeinen zwar ein legitimes Ziel. Zu denken ist dabei an die Gesundheit Dritter, die sich bei Ungeimpften anstecken. Bei Ungeimpften treten schwere Krankheitsverläufe häufiger auf, sodass bei ihnen die Notwendigkeit einer intensivmedizinischen Behandlung größer ist als bei geimpften Infizierten. Durch die Impfungen sollen die Personen vor Erkrankungen mit COVID-19 geschützt werden, die sich nicht ausreichend selbst davor schützen können. Dies soll durch den Aufbau einer sogenannten Herdenimmunität geschehen. Diese bewirkt die Unterbrechung von Infektionsketten, sodass einzelne Infektionen nicht zu größeren Ausbrüchen der Krankheit führen. Dies kann langfristig zu einer Ausrottung der Krankheit beitragen. Des Weiteren soll mittelbar durch die Impfung als Schutzmaßnahme vor Erkrankungen an COVID-19 verhindert werden, dass das Gesundheitssystem übermäßig strapaziert wird, damit auch weiterhin die Behandlung von schwer erkrankten Menschen gewährleistet bleibt. Dieser Begründungsansatz ist bereits im Zusammenhang mit anderen Pflichten bekannt, die der Staat dem Einzelnen zum Schutz Dritter oder der Allgemeinheit vor sozialen Folgekosten auferlegt. Zu solchen sozialen Folgekosten, die durch flächendeckende Impfungen vermieden werden könnten, gehören neben den Auswirkungen auf das Gesundheitssystem aber auch die wirtschaftlichen, psychosozialen und sonstigen Schäden, die durch weitere Lockdowns, Kontaktbeschränkungen und Schulschließungen als Alternativen zur „Durchimpfung“ der Bevölkerung entstehen könnten.

In dieser Woche beginnen deshalb im Bundestag die Beratungen über die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht. Ich befürworte eine solche mit Erreichung der Volljährigkeit. Die Regelung soll vierteljährlich evaluiert und bis Jahresende 2023 befristet werden. Ihrem Wunsch kann ich daher leider nicht entsprechen und bitte um Ihr Verständnis.

Mit freundlichen Grüßen

Mahmut Özdemir

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