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Frage von Heinz-Adolf B. •

Frage an Lothar Binding von Heinz-Adolf B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Binding,

an Ihre Kollegin Andrea Nahles hatte ich folgende Anfrage gerichtet:

"in letzter Zeit ist in vielen Medien immer wieder über das Steuerparadies
Luxemburg gesprochen worden. Hier kann ja - und sie tun es auch - jede
(Groß-) Firma sich niederlassen - und sei es nur mit einer Briefkastenanschrift - und so ihre Steuern in Luxemburg zu einem sagenhaft niedrigen Preis bezahlen. Das geht alles zu Lasten des deutschen Staatshaushaltes und damit zu Lasten aller ehrlich zahlenden Steuerzahler, Ihre Wähler.
Diese Praxis ist angeblich legal und erfolgt auch mit Wissen und Wollen der deutschen Politik. Wer als Partei solche Steuerpolitik duldet oder gar bewusst hinnimmt, hat es nicht verdient, von einem steuerzahlenden deutschen Bürger gewählt zu werden. Eine solche Steuerpolitik muss m. E. schnellstens geändert werden, das auch bei einer notwendigen Europapolitik, die ja oft als Ausrede genannt wird.
Wie steht Ihre Partei zu diesem Thema ? Wie Sie persönlich ? Das würde mich schon sehr interessieren, zumal im Freundes- und Bekanntenkreis diese Frage - und das mit viel Unmut - diskutiert wird."

Heute erhielt ich von Frau Nahles eine Antwort, allerdings eine nichtsagende.
Sie verweist auf das SPD-Parteiprogramm und den weiteren Hinweis, mich an Sie
zu wenden, der sich in der Sache auskennt.
Nun, das SPD-Programm habe ich zu dieser Steuerfrage gelesen. Außer der globalen Überschrift "Gewinne müssen dort besteuert werden, wo sie auch entstehen." habe ich, zumindest beim groben Durchlesen, nichts gefunden, was meine Frage beantwortet. Alle Ausführungen beschäftigen sich mit der illegalen Steuerhinterziehung, deren Erfassung und den Sanktionen danach.

Mir geht es aber um die Abschaffung der jetzt ja noch "legalen" Steuerzahlung, die im Grunde ja auch eine Steuerhinterziehung ist.

Gern hätte ich dazu Näheres gehört.

Mit freundlichen Grüßen

Heinz-Adolf Bokel

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Bokel,

vielen Dank für Ihre Frage. Sie sprechen ein Thema von internationaler Bedeutung an, ein Thema, dass schließlich zu öffentlicher Armut und privatem Reichtum führt und schon geführt hat. In meiner Antwort greife ich auf Passagen aus meinen Reden im Bundestag zur gleichen Thematik zurück:

Im Rahmen des Global Forum, einer von der OECD initiierten Vereinigung, der 122 Länder angehören, ist ein Steuerabkommen vereinbart worden. Das ist ein Riesenprojekt – 122 Länder miteinander verhandeln zu lassen, ist keine ganz leichte Aufgabe. Die Schweiz ist unter diesen 122 Ländern. Aber sie unterzeichnet das Abkommen noch nicht; vielleicht unterzeichnet sie es im nächsten Jahr. Wir sehen, wie schwer es ihr fällt, von der Hoffnung auf das Deutsch-Schweizer Steuerabkommen zum automatischen Informationsaustausch und zur Aufgabe des Bankgeheimnisses zu kommen. Das ist für die Schweiz, glaube ich, ein unendlich langer Weg. Wenn sie den jetzt zu Ende geht, haben wir sehr viel erreicht, haben wir international gut verhandelt. Das gilt sowohl für den Finanzminister als auch für Attac und für Tax Justice Network. Diese Unterstützung war wichtig, sie hat uns internationalen Diskussionszusammenhang den Rücken sehr gestärkt.

Wir brauchen einen internationalen Ordnungsrahmen. Das Wort „Ordnung“ müssen wir genauer hinterfragen, wenn wir nach Luxemburg schauen. Wer unter dem Stichwort „Ordnungsrahmen“ nach Luxemburg schaut, erschreckt. Es gibt dort keine international erträgliche Ordnung. Die SPD-Arbeitsgruppe - das will ich berichten - war vor längerer Zeit einmal in Luxemburg und hat auch mit Jean-Claude Juncker gesprochen. Er hat uns Deutschen vorgeworfen, dass wir relativ bürokratisch und unflexibel seien, und erklärt, dass man das in Luxemburg sehr viel leichter handhaben könne. Er sagte: Ich brauche nur über diesen Platz zu gehen; dann bin ich Finanzminister, und dann kann man die Dinge flexibel regeln. Ich muss sagen: Diese Aussage erscheint heute in einem anderen Licht. Sie lässt mich fragen, ob es wirklich gut war, Juncker als konservativen Kommissionspräsidenten zu wählen. Ich glaube, er muss eine Verantwortlichkeit entwickeln, die ihre Europakonformität noch beweisen muss.

Der automatische Informationsaustausch wird immer als Überschrift genannt. Ich frage: Ist er eigentlich wirklich geeignet, die Probleme, die wir haben, zu lösen? Was passiert heute? Heute werden die Gewinne verlagert, im Wesentlichen durch grenzüberschreitende Verlagerung der immateriellen Werte wie Patente und Lizenzen. Auch mit Hilfe von Verrechnungspreisen und Funktionsverlagerung. Es gibt das sogenannte Hybrid Mismatch, bei dem über Rechtsformgestaltungen und Umwandlungen Gewinne verlagert werden. Es gibt Zinstricks durch Finanzierungsgesellschaften im Ausland. An Tochterunternehmen werden Zinsen überwiesen, um Gewinne aus Deutschland zu transferieren. Das alles ist bekannt.

Es gibt eine zweite Ebene. Neuerdings fangen bestimmte Länder an, zur Gestaltung einzuladen. Ich erwähne noch einmal die niederländische Patentbox, in die man Patente legt, um anschließend Gewinne in diese Box zu überweisen - dort steuerfrei, hier gewinnmindernd, sodass man in Deutschland Steuern spart und in den Niederlanden nicht zahlen muss.

Mit Hilfe der Meldestandards sind wir inzwischen einen größeren Schritt weitergekommen. Die Meldestandards umfassen zum Beispiel Finanzinformationen. Was sind Finanzinformationen? Dies sind alle Kapitalerträge, also Zinsen, Dividenden, Einkünfte aus Versicherungsverträgen, Kontenguthaben, Erlöse aus der Veräußerung von Finanzvermögen. Es wird also ein großes Spektrum von Informationen geliefert, die einen sehr genauen Blick auf die Vermögens- und Einkommensverhältnisse derjenigen bieten, die verlagern. Ein großer Schritt!
Was sind die Meldestandards hinsichtlich der meldepflichtigen Finanzinstitute? Schauen wir nach: Die Banken sind angesprochen, die Verwahrstellen, auch die Makler, das, was wir Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapiere nennen, die OGAW-Einrichtungen, und bestimmte Versicherungsgesellschaften. Wir sehen: Ein breites Spektrum von Instituten wird in den Blick genommen. Wer weiß, wie auch bisher schon zwischen diesen Entitäten hin und her jongliert wurde, um international Steuern zu sparen, erkennt, wie wichtig dieser Schritt ist.
Was wird eigentlich an meldepflichtigen Konten angesprochen? Erst einmal sind es die Konten der natürlichen Personen. Es sind aber auch die Konten von Rechtsträgern, also insbesondere von Trusts und Stiftungen. Auch die werden in den Blick genommen. Es gibt außerdem eine Pflicht zur Prüfung der passiven Rechtsträger und - so ist es verabredet - der Personen, die diese beherrschen. Die Möglichkeit zu Tricks mit Briefkastenfirmen, um sich als Person mit einer entsprechenden Hinterziehung hinter solchen Formen zu verstecken, wird jetzt genommen. Wir merken, dass wir auf dem Weg zu einem Maß an internationaler Transparenz sind, das wir uns bisher nicht haben träumen lassen. Deshalb ist dieser Schritt so bedeutend.

Unser Ziel ist also ein „Level Playing Field“. Das setzt natürlich halbwegs fair agierende Staaten voraus. Dabei setzen wir uns schon lange kritisch mit den Luxemburger Verhältnissen auseinander. Wir haben die Steuerhinterziehung bekämpft und für die Abschaffung bzw. das Schließen von Steuerschlupflöchern gekämpft. Unsere Aktivitäten münden jetzt im BEPS. Und doch ist viel hinter unserem Rücken passiert.

Mich erschreckt, wie wenig wir wirklich gewusst - vermutet haben wir etwas - haben. Das gilt auch - was uns zu denken gibt - für den Ecofin-Rat. Ebenfalls gilt es für die Fraktionen im Bundestag, und die Verwaltungen. Deshalb müssen sich unsere Arbeitsabläufe andern. Der Ecofin-Rat muss mehr wissen. Seine Vertreter müssen im Ausschuss mehr sagen, und die Parlamente müssen besser informiert werden.
Deshalb bin ich dem ICIJ sehr dankbar, dass er diese Untersuchungen aufgenommen, die Whistleblower-Informationen verwertet und von der Vermutung über den Beweis zur Erkenntnis gekommen ist. Das gibt uns in der Politik eine völlig andere Handhabe. Davon wollen wir Gebrauch machen.

Wir sehen, dass es bei gut beratenen internationalen Konzernen in Folge der luxemburgischen Rulings absurde Steuergestaltungen gab. Es gab Konstruktionen, die dazu führten, dass für Milliardengewinne unter 1 Prozent Steuern gezahlt wurde. Das ist international zu ächten. Wir glauben, dass dies ein wirklich schwerer Fehler von Luxemburg war. Wir haben so lange Vertrauen in die Finanzverwaltungen und in Regierungschefs, in Finanzminister und in die Expertise der Big Four, bis es enttäuscht oder zerstört wird. Dann ist aber auch Schluss damit.

Ich hoffe sehr, dass sich Jean-Claude Juncker nun als vertrauenswürdiger Präsident erweist. Er hat auf bestimmten Gebieten eine ganz besondere Expertise erlangt. Mit dieser Expertise kann er all das, was wir heute kritisieren, erfolgreich bekämpfen. Ich glaube, daran sollten wir künftig seine Arbeit messen; denn ein guter Europäer kann sich besonders im Amt des Kommissionspräsidenten beweisen. Wo sonst könnte er es besser als dort? Er muss jetzt handeln, aufklären und korrigieren. Ich glaube, es darf nicht so bleiben, wie es jetzt ist.

Ein Steuerregime mit Tax Rulings bedeutet, dass die (Luxemburger) Steuerbehörde den Unternehmen mitteilt, welche Steuerlast auf sie zukommt. Sie müssen sich einen internationalen Konzern mit Milliardenumsätzen und einem vermuteten Gewinn von Hunderten Millionen Euro vorstellen. Der bekommt dann plötzlich einen Bescheid oder - so würden wir es sagen - eine „verbindliche Auskunft“, obwohl das nichts mit Tax Rulings zu tun hat. Jedenfalls bekommt er die Zusicherung, dass man davon ausgeht, dass - ohne Berücksichtigung des Ertrags - x Millionen Euro Steuern anfallen; x klein. Das heißt, eine Steuer wird gewinnunabhängig zugebilligt. Dieser Widerspruch kann rational gar nicht aufgelöst werden. Da muss unbedingt sehr viel passieren.
Ich bin auch gespannt, ob die Luxemburger ihre Gesetze nun hinreichend schnell ändern. Denn das war ja in Luxemburg rechtsförmlich. Da muss jetzt etwas passieren. Wir können es bei Appellen belassen, aber die Frage ist: Was passiert da eigentlich rechtsförmlich in bestimmten Staaten, auch in Großherzogtümern? Schließlich wollen wir nicht ständig über Amazon, Fiat usw. reden. Es geht darum, welche Modelle - auch von der KPMG, pwc, etc. entwickelt - in Luxemburg legal akzeptiert werden. Deshalb haben wir die Anforderung an andere Länder, diesen Steuerwettbewerb endlich zu beenden. Das Besondere ist, dass diese Steuervereinbarungen entlang dieser Tax Rulings auf Annahmen beruhen, die nicht überprüft werden. Was ist das eigentlich für ein Rechtssystem, dass eine Steuerbehörde etwas annimmt, nicht überprüft, ob es überhaupt der Richtigkeit entspricht oder gar irgendwie wirklichkeitsnah ist, und daraufhin etwas ausgibt, das wir schon beinahe Steuerbescheid nennen würden, also sozusagen einen Steuerbescheid im Voraus? Das ist eine völlig absurde Welt.

Mit diesen Aspekten wollte ich andeuten, dass unsere eigentliche Aufgabe darin besteht in Europa faire Bedingungen zu verhandeln. Unser konkretes Ziel dabei ist die Vereinheitlichung der Bemessungsgrundlage kombiniert mit Mindeststeuersätzen. Damit entsteht ein transparentes System mit einem fairen Wettbewerb.

Auf den jüngst entdeckten Skandal mit den Cum-ex Geschäften gehe ich hier nicht ein, er hat aber für Ihre Fragestellung – solange diese Geschäfte möglich waren – auch eine große Bedeutung. (Doppelte Erstattung von einmal bezahlter Steuer…).

Ein langer Weg, aber wir haben uns aufgemacht…

Mit freundlichen Grüßen,

Ihr Lothar Binding