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Karin Müller
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Frage von Birgit B. •

Frage an Karin Müller von Birgit B. bezüglich Raumordnung, Bau- und Wohnungswesen

Liebe Karin Müller!

Warum engagiert sich Ihre Partei nicht für die Bürgerinnen und Bürger in Hessen wenn es um die Straßenausbeiträge geht? Warum sollen Anwohner für öffentliche Straßen bezahlen, die von allen genutzt werden? Es kann nicht sein, dass es in Hessen davon abhängig ist wo man wohnt, um Straßenausbaubeiträge zu zahlen oder nicht. Ein Beispiel: Kassel hat die Beiträge abgeschafft, Vellmar in unmittelbarer Nachbarschaft, nicht!
Die Forderung nach Straßenausbaubeiträgen ist ungerecht und unsozial. 50% der von Anwohnern geleisteten Beiträge gehen für Verwaltungsvorgänge verloren!
Mittlerweile haben neun Bundesländer die Beiträge abgeschafft. Hessen nicht, unterstützt aber finanziell diese Bundesländer.
Bitte handeln Sie im Sinne der Hessinnen und Hessen in dem Sie sich für die Abschaffung der Strabs einsetzen.

Mit freundlichen Grüßen
B. B.
BI Straßenbeitragsfreies Vellmar

Portrait von Karin Müller
Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau B.,

vielen Dank für Ihr Schreiben vom 14.11.2019. Gerne möchte ich Ihnen darlegen, warum die Fraktion von BÜNDNIS 90 / Die Grünen und CDU die Neuregelung der Erhebung von Straßenbeiträgen vom 7. Juni 2018 nach wie vor für erforderlich und in ihrer Ausgestaltung für sinnvoll hält.
Zunächst eine grundlegende Klarstellung: Jede staatliche Ebene hat dafür Sorge zu tragen, ihren Aufgaben nachzukommen und trägt dafür auch die Finanzverantwortung. Bezogen auf den Straßenbau: Der Bund muss sich um die Finanzierung der Bundesstraßen kümmern, das Land um die Finanzierung der Landesstraßen und die Kommunen um die Finanzierung der kommunalen Straßen. Jede staatliche Ebene muss für sich entscheiden, wie sie – im Rahmen der eben angesprochenen Finanz- und Aufgabenteilung – die von ihr zu erbringenden Leistungen finanziert.
Kommunale Straßen befinden sich im Besitz der Städte und Gemeinden. Diese müssen sich als Straßenbaulastträger um den Erhalt ihrer kommunalen Straßen kümmern. Dafür hat die hessische Landesregierung mit der letztjährigen Rechtsänderung den Handlungsspielraum für die Kommunen erweitert. Folgende Möglichkeiten stehen seither zur Verfügung:
1) Beibehaltung der jeweiligen Beitragssatzung, sofern eine solche vorliegt
Ergänzend zu den bisherigen Regelungen der einmaligen Beiträge beinhaltet das Maßnahmenpaket der Neuregelung verbesserte Möglichkeiten für Ratenzahlungen, womit die Belastung einer Einmalzahlung tragbar verteilt werden kann. Statt wie bisher Ratenzahlungen über maximal fünf Jahre ist diese nun über bis zu 20 Jahre bei deutlich niedrigeren Zinsen möglich.
2) Abschaffung der Straßenbeiträge
Die vollständige Abschaffung der Erhebung von Straßenbeiträgen, egal ob Einmalige oder Wiederkehrende. Dies führt zu einer Finanzierung des kommunalen Straßenbaus über die Anlieger mit allgemeinen Deckungsmitteln.
3) Wiederkehrende Beiträge
Beibehalten der Erhebung von Straßenbeiträgen in Form von wiederkehrenden Beiträgen oder die Umstellung vom vormals praktizierten System der einmaligen Beiträge auf wiederkehrende Beiträge. Den Städten und Gemeinden, die ab dem Jahr 2018 dieses System praktizieren, steht nach den Maßgaben des „Gesetzes zum pauschalen Ausgleich der Kosten bei der Einführung von wiederkehrenden Straßenbeiträgen“ und der Kostenausgleichsrichtlinie vom 30. Oktober 2018 ein finanzieller Ausgleich für die Aufwendungen zur Bildung der Abrechnungsgebiete zu. Das Maßnahmenpaket zur Neuregelung sieht eine finanzielle Unterstützung der Kommunen vor, indem sich das Land an den Kosten des erhöhten Verwaltungsaufwandes mit einem Kostenausgleich von 20.000 Euro pro Abrechnungsgebiet beteiligt. Auch die Voraussetzungen für die Einführung von wiederkehrenden Straßenbeiträgen wurden vereinfacht.
4) Absenkung des Kostenanteils der Grundeigentümer
Nach der Rechtsänderung im vorigen Jahr sind die Städte und Gemeinden Hessens nicht verpflichtet, sich kategorisch entweder für die bisherige Anliegerfinanzierung (einmalige oder wiederkehrende Beiträge) oder für die Finanzierung über die Allgemeinheit mit allgemeinen Deckungsmitteln (etwa über die Grundsteuer) zu entscheiden. Die Kommunen haben nunmehr auch das Recht, diese Finanzierungsformen auszutarieren. Die Höchstsätze für die Beitragsbemessung in § 11 Abs. 4 KAG (75 % für Anliegerverkehr, 50 % für innerörtlichen Durchgangsverkehr, 25 % für überörtlichen Durchgangsverkehr) können reduziert werden und damit der Anteil der Anlieger auf ein vor Ort für angemessen gehaltenes Niveau gesetzt werden. Damit wird gleichzeitig vermieden, die Kosten vollständig der Allgemeinheit aufzubürden.
Dass mittlerweile eine Vielzahl an hessischen Kommunen die Freiheit genutzt hat, ihre Straßen durch individuelle Maßnahmen zu finanzieren, zeigt eine Auflistung der Kommunalaufsichtsbehörden, die zum 1. Juli 2019 folgende Sachlage zusammengetragen haben:
Zu 2) In 101 (von insgesamt 423) Städten und Gemeinden werden keine Straßenbeiträge (mehr) erhoben. Seit der Rechtsänderung 2018 haben 69 Kommunen die Straßenbeiträge abgeschafft, wobei in 11 Städten und Gemeinden zuvor wiederkehrende Beiträge erhoben worden sind.
Zu 3) In insgesamt 42 Kommunen werden wiederkehrende Beiträge erhoben. Seit März 2018 haben 11 Kommunen vom vorher praktizierten System der einmaligen auf wiederkehrende Beiträge umgestellt.
Zu 4) Diese innovative Regelung besteht derzeit in Haiger, Kronberg und Neuhof (Landkreis Fulda). Taunusstein beabsichtigt zukünftig die Grundeigentümer nur noch zu 30 % bei reinen Anliegerstraßen, 20 % bei Straßen mit innerörtlichen Durchgangsverkehr und 10 % bei Straßen mit überörtlichen Durchgangsverkehr an den Kosten zu beteiligen.
Es sollte nun also deutlich geworden sein, dass im Sinne der kommunalen Selbstverwaltung und des erweiterten kommunalen Gestaltungsspielraumes durch die Neuregelung der Erhebung von Straßenbeiträgen eine Bandbreite an Optionen für die hessischen Kommunen zur Verfügung steht. Damit ergibt sich für die hessische Landesregierung kein Erfordernis die Straßenbeiträge gänzlich abzuschaffen. Eine individuelle Abschaffung durch die Kommunen ist bereits ermöglicht worden, jedoch sicherlich mit der Konsequenz, dass allgemeine Deckungsmittel für den kommunalen Straßenbau herangezogen werden müssen. Wie allerdings auch unter 4) dargestellt, ist bei einer befürchteten Mehrbelastung für die Allgemeinheit ein Austarieren der Finanzierungsformen möglich. Jede Stadt oder Gemeinde hat die Freiheit eine individuell passende Regelung umzusetzen.
Es bleibt festzuhalten: Eigentum verpflichtet. Die hessischen Städte und Gemeinden sind im Besitz ihrer kommunalen Straßen und müssen deshalb in ihrer Funktion als Straßenbaulastträger für die Kosten der Sanierung Sorge tragen. Wie sie dies tun liegt im durch das Gesetz zur Neuregelung der Erhebung von Straßenbeiträgen geschaffenen Handlungsspielraum, den bislang viele Kommunen genutzt haben.

Mit freundlichen Grüßen
Karin Müller