Jutta Berlinghof
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Gerhard S. •

Frage an Jutta Berlinghof von Gerhard S. bezüglich Bildung und Erziehung

Sehr geehrte Frau Berlinghof,

das Thema Bildung gewinnt seit vielen Jahren immer mehr an Bedeutung. PISA Studien belegen, dass es in Deutschland mit der Schulbildung unserer Kinder nicht zum Besten steht.
Mir drängt sich da zwangsläufig der Verglich zum „PISA-Musterland“ Finnland auf. Insgesamt sieben Jahre habe ich dort verbracht. Mein Sohn musste nach dem Umzug nach Bayern in der 4.KlasseIn den "Schrecken" des bayerischen Schulsystems hautnah miterleben. Es gab und gibt nach wie vor keinen vernünftigen Förderunterricht. Dutzende Schulstunden sind jedes Jahr ausgefallen.

All dies gibt es in Finnland nicht. Dort fällt keine Schulstunde aus - das ist sogar gesetzlich verboten! Wenn ein Lehrer ausfällt, dann ist natürlich eine Ersatzkraft noch am selben Tag einsatzbereit. Die Integration von Migrantenkindern ist beispielhaft.

In den siebziger Jahren gab es in Finnland eine umfassende Schulreform. Das unmenschliche Selektieren der Schüler im Grundschulalter wurde abgeschafft.
Jetzt besuchen alle Schüler bis zur 9. Klasse die Grund- und Hauptschule. Individuelles fördern und fordern dominieren den Unterricht. Danach geht´s entweder aufs Gymnasium oder in die Berufsfachschulen.
Ergebnis: Ca. 75% aller Finnen haben einen akademischen Abschluss. Das Bildungsniveau ist hervorragend, fast jede(r) Finne(in) spricht mindestens zwei Fremdsprachen.

Warum ist das in Bayern nicht möglich?
Warum trauen sich unsere Volksvertreter nicht etwas erfolgreiches zu kopieren?
Warum handeln die Volksvertreter gegen den Willen der Wähler?
Die Mehrheit der bayerischen Wähler halten nichts mehr vom aktuellen Schulsystem.
Es fehlt der Mut zu Veränderungen. Ihre Partei hat nach meinem Verständnis keine klare Aussage zu diesem Thema.
Ich persönlich interpretiere das so: „Es muaß was g´schehn, aber es derf nix passiern...“
Was kann ich als Wähler von Ihnen zu diesem Thema erwarten?

Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Schmidt

Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Schmidt,

erst einmal möchte ich um ihr Verständnis bitten, dass ich Ihnen erst jetzt antworte. Nachdem wir Grünen keine Wahlkampfmillionen zur Verfügung haben, antwortet nicht mein bezahlter Pressesprecher, sondern ich selbst und so will mein Wahlkampf neben einer Vollzeiterwerbsstätigkeit bewältigt werden. Ich bin selbst Mutter und habe in den letzten 13 Jahren versucht meinen Sohn vor den Persönlichkeitsbeschädigungen durch den permanenten Auslesedruck im Bayerischen Schulsystem zu bewahren. Nun hat er - trotz dieses Bayerischen Schulsystems - sein Abitur gemacht und einen Studienplatz für Physik erhalten. Ich kann daher ihr Unbehagen, dass Sie mir als Vater geschildert haben sehr gut nachempfinden. Besonders schwer muss es sein, wenn Sie bereits ein anderes, ein innovatives, eben das finnische Schulsystem kennengelernt haben und wissen: Es ginge auch alles anders! Als Grüne Politikerin, als Erziehungswissenschaftlerin und als Mitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft werde ich mich für eine grundlegende Schulreform in Bayern einsetzen. Wir müssen weg von der Dreigliedrigkeit des Schulsytems und hin zu einer Schule für alle. Wir müssen vorallem weg von einer Schule, die ein Gesellschaftssystem der Auslese und des Konkurrenzkampfes wieder spiegelt und wir müssen hin zu einer Schule mit der wir gemeinsam in diesem Land Zukunft bewegen. Wir müssen die vorhandenen Talente und Begabungen unserer Kinder umfassend fördern.

Wie schaffen wir das ?

Im Bayerischen Landtag werde ich mich dafür einsetzen, dass sich bayerische Bildungspolitik zukünftig an akutellen erziehungswissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert statt antiquierte Gesellschaftsmodelle zu reproduzieren. Daher beginnen wir mit einer umfassenden Intelligenz- und Begabungsförderung unserer Kinder bereits vor der Schule! Wir brauchen eine qualifizierte Betreuung und Förderung aller Kinder von Anfang an! Dazu werden wir Krippen und Kindergärten räumlich, personell und finanziell entsprechend ausstatten. Das Sparmodell des erst vor Kurzem in Kraft getretenen BayKiBiG verhindert geradezu die notwendige Konzeptionsentwicklung für die unter drei-jährigen Kinder und stellt durch sein Finanzierungssystem die qualifizierte Förderung von Kindern mit Behinderung und Migrationshintergrund in Frage, indem es die Träger zu Teilzeitanstellungen und Befristungen bei der Beschäftigung von ErzieherInnen zwingt. Es macht die Anstellung von weiterem qualifiziertem Personal nahezu unmöglich.

Sind unsere Kinder in der Schule, dann werde ich mich für eine grüne Schul- und Bildungspolitik der Förderung statt Auslese stark machen. Dazu brauchen wir kleinere Klassen und zusätzliches sozial- und heilpädagogisches sowie schulpsychologisches Personal für die Förderung aller Kinder, unahängig von ihrer sozialen Herkunft. Wir brauchen eine Schule, die für das Lernen der Kinder sorgt und die endlich die Eltern aus ihrer Funktion als Nachhilfelehrer der Nation entlässt. Wir müssen die Sprachprobleme, mit denen viele - und das sind nicht nur Kinder mit Migrationshintergrund - in die Schule kommen, beherzt und durch intensive Arbeit mit den Kindern und ihren Familien angehen. An einer Schule, die sich so intensiv um den Erfolg der Kinder bemüht, dass uns Keines verloren geht, werden wir das Sitzenbleiben abschaffen. Dies nützt meist nicht viel, ist teuer ist für den Steuerzahler und beschädigt das Selbstwertgefühl unserer Kinder. Diese Form der organisierten Verantwortungslosigkeit werden wir abschaffen.

Strukturell streben wir Grünen eine gemeinsame Schulorgansiationsform für alle bis mindestens zur neunten Klasse an. Die Abhängigkeit des Bildungserfolgs vom sozialen Hintergrund ist vor allem eine Folge des frühen Sortierens der Kinder in Deutschland. Ganz besonders liegt es mir am Herzen, dass wir uns von der völlig überkommenen Vorstellung verabschieden es gäbe homogene Lerngruppen in Gymnasium, Realschule und Hauptschule. Fakt ist: Jedes Kind ist anders und benötigt eine Methodik, die sich an seinen entwicklungspsychologischen Erfordernissen orientiert und nicht umgekehrt. Die CSU dagegen hält eisern am gegliederten Schulwesen fest und verteidigt damit veraltete Standesprivilegien mit dem Argument, sonst käme nur noch Mittelmäßigkeit zustande. Richtig hingegen ist ihre Leitfrage: Warum sollte bei uns nicht funktionieren, was in den skandinavischen Ländern zu Spitzenleistungen führt?

Gerade im ländlichen Bereich brauchen wir ein flächendeckendes Angebot von rhythmisierten Ganztagesschulen. Eine Schule, die dem heutigen Bildungsauftrag gerecht werden will, muss mehr als nur Unterricht sein! Eine Schule, die heute unsere Kinder auf die Herausforderungen der Zukunft bestens vorbereiten will, muss mehr denn je Bildungs- und Erziehungsaufgaben wahrnehmen. Insbesondere stehen wir auch als Gesellschaft in der Verantwortung für Kinder aus sogenannten bildungsfernen Schichten und Kindern mit Migrationshintergrund. Wir können es uns nicht mehr leisten, Bildungspotentiale ungenutzt zu lassen. Schule muss als Lern- und Lebensraum entwickelt werden durch Rhythmisierung von Konzentration und Entspannung, Abwechselung von kognitiven, körperlichen, sozialen und künstlerischen Aktivitäten. Dazu brauchen wir neben Lehrkräften auch SozialpädagogInnen, FörderlehrerInnen, PsychologInnen und vorallem auch handwerklich-künstlerische Fachkräfte. Die CSU dagegen betreibt mit der Genehmigung von einzelnen Ganztagsklassen an Hauptschulen in sozialen Brennpunkten nur Flickschusterei.

Daher haben wir Grüne und mit uns viele betroffene Eltern die Nase voll von dieser chaotischen und selbstgefälligen Schulpolitik der CSU: Alle zwei Jahre eine neues "Reförmchen" zur Rettung der Hautpschule*,* die nicht zu retten ist, weil sie bildungspolitisch zur Restschule gemacht wurde für alle, die es nicht gleich auf die Realschule oder das Gymnasium geschafft haben. In den Realschulen fehlen die LehrerInnen und das in Bayern handstreichartig eingeführte achtjährige Gymnasium droht zur Paukanstalt zu verkommen, weil man es nicht fertig bringt, die Lehrpläne auf das wirklich Wichtige und Wesentliche zu konzentrieren. Vermittelt werden müßte den AbsolventInnen nicht nur Fach- und Faktenwissen, sondern vorallem sogenannte Schlüsselqualifikationen. Im Wesentlichen hat man aber lediglich die Lehrplaninhalte und -stunden von 9 auf 8 Jahre verteilt. Die Folge sind vielfach Schultage von 8 bis 9 Unterrichtsstunden hintereinander und Mittagsimbiss vom Kiosk nebenan! Weil man mit Mitteln geizt, um die Gymnasien zu pädagogisch wertvollen Ganztagsschulen auszubauen, versucht man den Schaden jetzt wieder durch einzelne Stundenkürzungen zu beheben. Das Kultusministerium weiß nicht mehr, was es will! Ausbaden müssen dies unsere Kinder und hier kann ich verantwortungsbewußte Eltern nur noch zum Wiederstand aufrufen und sagen: Stärkt bei der Landtagswahl Euren Kindern der Rücken und wählt diesen Murks ab!

Was Deutschland jetzt braucht ist mehr Geld für nachhaltige Bildungskonzepte sowie eine grundlegende und umfassende Schulreform!** Deutschland möchte Spitze sein, gibt aber für die Bildung weniger aus als der OECD-Durchschnitt. Der Anteil der bayerischen Bildungsausgaben am Sozialprodukt ist der geringste von allen Bundesländern!!! Alle Neuerungen der letzten Jahre wollte das Kultusministerium zum Nulltarif! Die bayerische Staatsregierung begreift den Schülerrückgang primär als Sparpotential etwa für unsinnige Technologieprojekte wie den Transrapid! Hauptschulen wurden und werden gerade auf dem Land geschlossen. Klassen sind größer statt kleiner geworden. Weithin herrscht Lehrermangel und Stundenausfall. Die versprochene Einstellung von 1000 neuen LehrerInnen bedeutet allenfalls Ersatz für Pensionierungen und anderweitige Personalausfälle. Das Absenken der Klassenfrequenz auf maximal 30 bzw. 25 Kinder in den Grundschulen soll frühestens 2013 Wirklichkeit werden und nur dann, wenn die SchülerInnenzahlen weiter sinken. Kurzum die Mangelverwaltung soll fortgesetzt werden.
Diese Fakten lassen nur eine Schlussfolgerung zu: Von der CSU ist kein Bildungsaufbruch für unser Land und unsere Kinder zu erwarten. Wir Grünen hingegen begreifen den demographischen Wandel als Chance in immer weniger Kinder, immer mehr zu investieren, damit wir auch wieder mehr Kinder in unserem Land willkommen heißen können. Wir fördern die familienfreundliche Schule, die es Müttern und Vätern partnerschaftlich und gleichberechtigt ermöglicht Kind(er) und Berufstätigkeit gut und gesichtert verbinden zu können.

Mein Sohn ist nun dank eines akademischen und unterstützenden Elternhauses erfogreich an der Universität immatrikuliert und wird ab dem Wintersemster Physik studieren. Aber was ist mit allen jungen Menschen in diesem Land deren Elternhäuser von Studiengebühren an bayerischen Hochschulen abgeschreckt werden oder sich diese schlichtweg nicht leisten können?

Hochschulpolitisch setzen wir Grünen uns ein für eine Abschaffung der Studiengebühren und für einen finanzinvestiven Ausbau der Universitäten und für den Zugang zu Wissenschaft, Forschung und Lehre für alle ein!

Wir Grünen fördern und fordern als Bildungspartei eine durchgängig gute und ganzheitliche Erziehung und Bildung für jede kindliche Persönlichkeit von Anfang an!

Ich hoffe ihre Anfrage soweit im Groben beantwortet zu haben und stehe für eine weitere Diskussion gerne zur Verfügung.

Mit grünen Grüßen

Jutta Berlinghof