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Frage von Yves D. •

Frage an Harald Koch von Yves D. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Koch,

auf Youtube konnte ich mir heute folgendes Video über den ESM anschauen.

http://www.youtube.com/watch?v=U2-m3tfEbaY&feature=share

In diesem Video wird erklärt, welche Rechte und Pflichten sich der ESM selbst gibt. Zum Beispiel darf er selber Klage bei Gericht erheben er selbst ist aber immun. Genau wie alle Mitarbeiter des ESM! Die Räumlichkeiten dürfen nicht durchsucht werden, Beschlagnahmungen sind nicht erlaubt. Der ESM wird von einem Gouverneursrat geleitet, welcher nicht demokratisch legitimiert wird. Wie ist solch eine Einrichtung noch mit dem Grundgesetz vertretbar? Allein die Tatsache, dass der ESM nicht rückgängig zu machen ist, hat mit Demokratie nichts mehr zu tun. Selbst eine neue Regierung kann den ESM nicht mehr ablehnen. Das ganze kommt einen wie eine kriminelle Organisation vor. Der ESM kann innerhalb 7 Tage Geld abrufen, kann nicht verklagt werden, die Mitarbeiter sind immun und alle Unterlagen geheim. Wie soll dann jemand nachprüfen, was mit dem Geld passiert und ob es überhaupt benötigt wird? Vielleicht stecken es sich die Mitarbeiter selber in die Tasche. Wäre ja heute nichts neues mehr. Was sagen Sie dazu? Was werden Sie tun um den ESM aufzuhalten?

Mit freundlichen Grüßen
Yves Domagala

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Sehr geehrter Herr Domagala,

vielen Dank für Ihre Frage! Das Video stammt von der "Initiative Stoppt EU-Schuldenunion (ESM-Vertrag)", die uns im Bundestag wohlbekannt ist und schon öfter die Posteingänge mit Massenmails gleichen Inhalts zugeschüttet hat... Die darin getätigten Aussagen sind oft stark vereinfachend und mit Vorsicht zu genießen, streifen sie doch mehr als einmal Stammtischniveau. Dennoch werden auch wichtige Punkte angeschnitten, die die Bürgerinnen und Bürger, also auch Sie, völlig zu Recht bewegen!

Grundsätzliches: Im Falle der Rettungsmaßnahmen für Griechenland handelt es sich in erster Linie nicht nur um einen Akt der Solidarität, sondern um Politik im Interesse aller Staaten der Währungsunion einschließlich Deutschlands. Den Krisenstaaten nicht beizustehen, hätte eine Kette von Insolvenzen (Banken, Unternehmen, womöglich Staaten) bedeutet. Die Folge wäre eine noch tiefere Wirtschaftskrise in Europa gewesen. Portugal, Irland und Griechenland haben bisher Kredite und Bürgschaften erhalten und zahlen dafür auch Zinsen. Das Geld wurde nicht verschenkt, sondern unter harten Auflagen verliehen. Diese strikten Spardiktate lehne ich dabei ab. Sie bauen Demokratie und Sozialstaatlichkeit ab, weil zu allererst die unteren Schichten den Gürtel enger schnallen und daher unter Sozialabbau leiden müssen.
Die Verschlechterung des Haushaltslage liegt zumeist nicht an mangelndem Sparwillen, sondern an Steuerausfällen und dem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts infolge der rigiden Kürzungsprogramme. Dies hätte man voraussehen können und entsprechend früher zu angemessenen Reformen kommen können.
In einer Währungsunion gelten nun einmal besondere Gesetze: Der einheitlichen Währung hätte eine sehr viel stärkere politische Integration und vor allem eine makroökonomische Koordinierung folgen müssen. Schließlich verzichten die Staaten einer Währungsunion auf wichtige Steuerungsinstrumente, wie die Anpassung von Wechselkursen oder die Änderung von Leitzinsen. Ein Verzicht auf wirtschaftliche Koordinierung führt fast unweigerlich in einen ruinösen Standortwettbewerb, der nicht mehr durch Währungsabwertung gekontert werden kann, und zum Aufbau gefährlicher Ungleichgewichte. Der Staat, der seit Einführung der Währungsunion mit restriktiver Lohnpolitik extrem aus der Reihe getanzt ist, ist übrigens die Bundesrepublik. Die damit zusammenhängenden hohen Leistungsbilanzüberschüsse Deutschlands brechen das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz und sind im Grunde genommen illegal. Sie sind kein Zeichen nachhaltiger Wirtschaftspolitik, und die deutsche Wirtschaftspolitik ist deswegen auch kein Vorbild für Europa.

Mit den Euro-Rettungsprogrammen wurden gleichzeitig Rettungsschirme für die Finanzbranche aufgespannt. Gleichzeitig sprudeln bei etlichen Banken und anderen Finanzinstituten wieder die Gewinne. Das ist in der Tat nicht akzeptabel!
Um den Privatsektor (und gerade nicht die Masse der Steuerzahler) an den Rettungsmaßnahmen zu beteiligen, schlagen wir deswegen unter anderem vor:
Eine Finanztransaktionssteuer – eine Spekulantensteuer auf den Handel mit Finanzprodukten – würde nicht nur Spekulation eindämmen, sondern auch allein in Deutschland jährliche Einnahmen im zweistelligen Milliardenbereich bringen. Zusätzlich sollen die öffentlichen Haushalte durch eine Bankenabgabe entlastet werden. Für Deutschland wären 10 Milliarden Euro jährliche Einnahmen angemessen. Auch hohe Vermögen sind heranzuziehen: In den letzten 13 Jahren hat sich das Geldvermögen der europäischen Millionäre und Multimillionäre auf knapp 10 Billionen Dollar verdoppelt. Eine europaweite einmalige Vermögensabgabe für Millionäre und Multimillionäre ist nicht nur angesichts leerer Kassen nötig, sondern sie ist auch gerecht.

Einen umfassenden Forderungskatalog zur Lösung der Eurokrise finden Sie hier: http://www.linksfraktion.de/positionspapiere/wege-krise-forderungskatalog/

Damit sie mich nicht falsch verstehen: Berichte über Steuerhinterziehungen, Korruption und andere Formen der Misswirtschaft ärgern mich ebenso wie die ständige Übernahme von Risiken und Verlusten (auch durch die SteuerzahlerInnen) seit Ausbruch der Finanzkrise. Skandalberichte über Griechenland und die Kosten der Bankenrettung reichen jedoch zur Erklärung der Krise nicht aus! Bei der Einführung der Währungsunion wurden große Versäumnisse gemacht, die dringend nachgeholt werden müssen. Die Politik der Bundesregierung ist dabei ausdrücklich abzulehnen, da sie die Krise mit ökonomischen Voodoo-Rezepten zu lösen versucht und zugleich die soziale Spaltung Europas vorantreibt.

Speziell zum ESM lässt sich sagen, dass der ESM der größte Rettungsschirm ist, der jemals von Regierungen über ein "Casino" aufgespannt wurde. Die Spekulanten erhalten 500 Milliarden Euro von den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern Europas. Die Regeln dieses Casinos werden nicht geändert. D.h., die Finanzmärkte werden nicht entwaffnet! Nicht einmal auf eine Finanztransaktionsteuer konnten sich die Finanzminister der Euro-Länder einigen. Darauf haben die Lobbyisten der Finanzindustrie großen Wert gelegt. Spekulanten können weiter ungestört ihre Spielchen gegen ganze Volkswirtschaften führen und Millionen Menschen ins Unglück stürzen.
Die Bundesregierung hat den zaghaften Kampf gegen die Finanzindustrie aufgegeben. Jetzt kämpft sie um so hartnäckiger gegen die Europäerinnen und Europäer, die die Finanzkrise nicht verursacht haben. Der Fiskalpakt ist ein Pakt gegen die Bürgerinnen und Bürger. Ihnen soll das Geld aus der Tasche gezogen werden, damit der Spielbetrieb in den Casinos ungestört weiter gehen kann.

DIE LINKE lehnt den ESM und den Fiskalpakt ab! (Wenn auch aus teilweise anderen Gründen als im von Ihnen geschickten Video-Link aufgeführt...) Beide Instrumente werden Europa nicht aus der Krise führen. Im Gegenteil, sie werden dazu führen, dass die Mehrheit der Menschen weniger in den Taschen hat und eine Minderheit sich weiter bereichern kann. Das hat nichts mehr mit sozialer Marktwirtschaft zu tun, das ist nackter Kapitalismus. Die Bundesregierung muss sofort den Kampf gegen die Finanzmafia aufnehmen oder abtreten.
Lesen Sie bitte dazu auch meine Erklärung im Bundestag zu dem letzten Griechenland-Rettungspaket mit dem Titel "Kein Kaputtsparen – Demokratie und Sozialstaat verteidigen": http://www.linksfraktion.de/reden/kein-kaputtsparen-demokratie-sozialstaat-verteidigen/

Freundliche Grüße nach Eisleben
Harald Koch, MdB