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Hans-Peter Uhl
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Frage von Martin H. •

Frage an Hans-Peter Uhl von Martin H. bezüglich Innere Sicherheit

Sehr geehrter Herr Dr. Uhl,

Sie werden zitiert mit den Worten: "Wir müssten unsere Verfassung auf die Wirklichkeit asymmetrischer Bedrohungen hin umschreiben... Solange wir dies nicht ändern, kann die Bundeswehr nicht der Bündnispartner in der Nato sein, der benötigt wird." ( http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,667807,00.html )

Das verstehe ich nicht. Das Grundgesetz erlaubt den Einsatz der Streitkräfte zur Verteidigung, und die NATO ist ein Verteidigungsbündnis. Wo liegt das Problem?

Sicher ist es so, dass einige NATO-Partner (wie etwa die USA, Großbritannien und Polen) in letzter Zeit auch Angriffskriege geführt haben (wie etwa im Irak), die von der UNO-Charta verboten sind und nach den Nürnberger Prinzipien als zu ahndende Verbrechen eingestuft werden. Auch der Angriff auf Afghanistan im Herbst 2001 war ja in den Augen vieler Beobachter ein solcher Angriffskrieg (niemand hat je behauptet, dass die damalige afghanische Regierung an den Terroranschlägen vom 11.9.2001 beteiligt war), und wie Sie wissen, hat die "Operation Enduring Freedom" hat nicht so sehr das Völkerrecht, als die militärische Macht der intervenierenden Staaten hinter sich.

Streben Sie nun an, dass das Grundgesetz an die Praxis in den USA und Großbritannien angepasst wird, wo es keine nationalen rechtlichen Hindernisse für Angriffskriege gibt, und allein die internationale Justiz zu fürchten ist? Wäre das nicht ein Rückschritt in die Zeit vor 1945? Darf ein demokratischer (und dazu noch christlicher) Politiker in Deutschland so etwas fordern, selbst wenn es (momentan) noch keine Mehrheit für einen solchen Vorschlag gibt?

Mit freundlichen Grüßen,
Ihr
Prof. Dr. Martin Haspelmath

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Antwort von
CSU

Sehr geehrter Herr Professor Haspelmath,

wenn Sie sich über den aktuellen Stand informieren wollen, wie die friedensethische Herausforderung aus christlich-theologischer Sicht reflektiert wird, empfehle ich Ihnen folgendes Lehrbuch: Josef Römelt, Christliche Ethik in moderner Gesellschaft, Teilband 2: Lebensbereiche, Freiburg i.B. 2009 (Kapitel 5: Gerechter Friede).

Ich erlaube mir, eine Passage daraus zu zitierten: „Es gibt eine Pflicht, dem Unschuldigen zu helfen. So erscheint es zu einfach, die Anliegen der Theorie vom gerechten Krieg durch eine bloße universale Idee der Sozialtherapie der Völker zum Frieden zu ersetzen. Aber auch die Anliegen des Pazifismus können nicht durch den zynischen Realismus der politischen Zwänge zur Gewaltanwendung lächerlich gemacht werden. Ehrliche Friedensarbeit muss sich in den Widersprüchen vielmehr nüchtern und realistisch und zugleich hoffnungsvoll und idealistisch bewegen. Ja, der Einsatz für den Frieden kennt beide Seiten des Verhaltens.
Vorsichtig sucht sie die UNO-Charta in ihren Kapiteln 6 (peace-keeping) und 7 (peace-making) zu beschreiben: die Anstrengung zur friedlichen, gewaltlosen Konfliktbeilegung zwischen Staaten, aber auch die Maßnahmen zur Wiederherstellung des Friedens, im Falle kriegerischer Auseinandersetzung durch Zwang.“ (Seite 381)

Ein in diesem Sinn zu legitimierendes Peace-Enforcement kann unter Umständen die Option des gezielten Militärschlags („Angriff“) - nicht zu verwechseln mit einem sog. ‚Präventivschlag’ - einschließen, um so der bereits eingeleiteten Gewalt des Aggressors und mithin der Eskalation der Gewalt wirksam entgegen zu treten. Es ist diffamierend und sachlich vollkommen verfehlt, dies in einen Topf zu werfen mit den von Ihnen genannten Angriffskriegen á la „vor 1945“.

Um den Unterschied verständlich zu machen, möchte ich kursorisch auf die traditionelle Unterscheidung hinweisen zwischen ius ad bellum (Kriterien für den Beginn militärischer Auseinandersetzung) und ius in bello (Kriterien für das Handeln im Krieg). Lediglich auf letzteren Aspekt habe ich mich bezogen. Demnach will ich nicht, dass die Entscheidung für einen Auslandseinsatz der Bundeswehr künftig an geringere rechtliche (und ethische) Bedingungen geknüpft wird. Stattdessen meine ich, dass die Bundeswehr - wenn sie schon z.B. in Afghanistan eingesetzt ist - ‚Rules of Engagement’ und entsprechende Rechtssicherheit braucht, die den gewaltsamen Gegebenheiten vor Ort angemessen und somit realistisch und zweckmäßig sind.

Unser Grundgesetz lässt - so hat das BVerfG im Zusammenhang mit Art. 24 Abs. 2 GG wiederholt festgestellt - humanitäre Interventionen zur Durchsetzung von Grund- und Menschenrechten in den entsprechenden Staaten durch deutsche Hoheitsträger wie die Bundeswehr zu. Unübersichtlicher wird die Rechtslage in Bezug auf die Einsatzbefugnisse (vgl. ius in bello) der Bundeswehr im Ausland. Diese bestimmen sich grundsätzlich KUMULATIV nach:
- den völkerrechtlichen Grundlagen des jeweiligen Einsatzes (beispielsweise VN-Mandat),
- den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes,
- den konkreten Vorgaben des Einsatzbeschlusses der Bundesregierung, dem der Deutsche Bundestag zugestimmt hat,
- dem Operationsplan des jeweiligen Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit, in dessen Rahmen der Einsatz geschieht, sowie
- den international vereinbarten Rules of Engagement (RoE).

Hier beginnen die offenen Rechtsfragen und die Juristen nehmen jeweils mit beachtlicher Begründung sehr unterschiedliche Standpunkte ein. Ich sehe jedenfalls ein mögliches Problem darin, dass das GG nach Art. 87a nur den Verteidigungsfall nach der ‚klassischen’ Bedrohungslage kennt. Denn da eine Analogie zum Verteidigungsfall problematisch erscheint, wenn es darum geht, praxisnahe Erfordernisse des Peace-Enforcements zu begründen, wird nicht ganz klar, inwiefern und mit welchen (Straf-) Rechtsfolgen die Bundeswehr über polizeiliche Kompetenzen hinaus tätig werden kann.

Dies wiederum halte ich angesichts ‚kriegsähnlicher Zustände’ - so die neue Diktion - für unbefriedigend, da ein „lagegerechter“ Einsatz der Bundeswehr unter so unsicheren Bedingungen wie in Afghanistan nicht an denselben Maßstäben zu messen ist wie eine Polizeihandlung in einer Fußgängerzone in Deutschland. Ich habe mir ferner erlaubt, auf diesen Mangel aufmerksam zu machen, weil ich nicht zu der Sorte von Parlamentariern gehören will, die Soldaten zwar mit hehren Begründungen in den Einsatz schickt, sich um deren Handlungsbedingungen in der Praxis jedoch nicht schert. Der Deutsche Bundestag hat den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan beschlossen - im Wortlaut: „einschließlich der Anwendung militärischer Gewalt“. Deshalb wäre es wichtig, die Soldaten (mit dem notwendigen Rüstzeug) sowie entsprechend sicheren Rechtsgrundlagen auszustatten. Das schulden wir den entsandten Frauen und Männern. Wenn die Juristen in der warmen Amtsstube schon nicht genau sagen können, inwiefern die Soldaten zu militärischen Handeln befugt sind, belastet die damit verbundene Rechtsunsicherheit die Soldaten vor Ort - in gefährlicher Begegnung mit Taliban - ganz besonders.

Jedenfalls verbitte ich mir dringend jedwede Suggestion, dass ich „Angriffskriege“ unseligen Angedenkens rechtfertigen, verklären oder wünschen würde. Insbesondere Sie als Sprachwissenschaftler möchte ich diesbezüglich um etwas mehr Sensibilität, Sorgfalt und sachlichen Ernst bitten.

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Hans-Peter Uhl