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Frage von Ulla S. •

Frage an Gabriele Zimmer von Ulla S. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrte Frau Zimmer.

Sie haben sich laut diesem Link für Hartz IV für Asylbewerber ausgesprochen:

http://www.ad-hoc-news.de/asylbewerber-erhalten-womoeglich-noch-in-diesem-jahr-hartz--/de/Politik/20151610

Wie soll das gehen? Sechs Monate keinen Zugang zum Arbeitsmarkt und dennoch mit Hartz IV Empfängern gleichgesetz die Berwerbung um Bewerbung schreiben müssen?

Ich habe in diesem Land gearbeitet und soll nun mit jemanden gleichgesetz werden, der noch nie hier Steuern bezahlte?

Befürchten Sie nicht, dass das Schule macht und dass dann immer mehr Asylbewerber kommen?

Mit freundlichen Grüßen

Ulla Schwarzer

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Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrte Frau Schwarzer,

Ihre Anfrage bezieht sich auf Passagen des Richtlinienvorschlags der EU-Kommission zur "Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten" (KOM(2008) 815 endgültig). Über diesen wird voraussichtlich am 27. April im "Ausschuss für Bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres" und am 6. Mai im Plenum des Europäischen Parlaments abgestimmt.

Es sind die folgenden beiden Passagen des Entwurfes, über die in den Medien berichtet wurde:

"Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass der Antragsteller [der Asylsuchende - G.Z.] spätestens sechs Monate nach der Stellung des Antrags auf internationalen Schutz Zugang zum Arbeitsmarkt erhält."

"Bei der Berechnung des Betrags der Asylbewerbern zu gewährenden Unterstützung stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass der Gesamtbetrag, auf den sich die Asylbewerbern im Rahmen der Aufnahme gewährten materiellen Leistungen belaufen, dem Betrag der Sozialhilfe entspricht, der eigenen Staatsangehörigen gewährt wird, die eine solche Unterstützung beantragt haben. Etwaige diesbezügliche Unterschiede sind zu begründen."

Zurzeit erhalten Asylsuchende in Deutschland Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Diese liegen 35 Prozent unter dem Niveau von Hartz 4 und werden überwiegend in Sachleistungen gewährt. Bei gleichzeitigem Arbeitsverbot bedeutet das ein Leben in Armut, Abhängigkeit und Angst vor Abschiebung. Dazu muss gesagt werden: Trotz einer verschärften internationalen Lage, mit vielen Kriegen, Naturkatastrophen und Hungersnöten, geht die Zahl der Asylbewerber und Flüchtlinge in Deutschland auf Grund der sehr restriktiven Asylpolitik immer weiter zurück!

Ich lehne die Argumentation, wie sie etwa von Herrn Schünemann von der CDU oder Manfred Weber von der CSU in dem von Ihnen genannten Artikel vertreten wird, grundsätzlich ab.
Ich vertrete den Standpunkt, dass alle in der EU - egal in welchem Mitgliedsstaat - lebenden Menschen über Existenz sichernde Löhne und Gehälter - oder wenn kein Arbeitseinkommen vorliegt - über Existenz sichernde soziale Mindestsicherungen verfügen müssen. Das gilt aus meiner Sicht für Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet und in Sicherungssysteme eingezahlt haben, das gilt aber auch zum Beispiel für Menschen, die noch nie in ihrem Leben in soziale Sicherungssysteme einzahlen konnten und/oder noch nie Steuern bezahlt haben, wie Menschen mit schweren Behinderungen oder Jugendliche ohne Arbeit und ohne eigenes Einkommen und Vermögen.

Im Gegensatz zu Herrn Schünemann und Herrn Weber halte ich Hartz 4 weder für jemanden, "der jahrzehntelang Steuern und Sozialabgaben bezahlt hat", noch für Asylbewerber akzeptabel. Erst recht nicht Sachleistungen, die noch 35 % unter dem Niveau von Hartz 4 liegen!
Ich entnehme Ihrem Brief, dass Sie selbst Hartz 4 beziehen. Sie werden Ihre eigene Meinung zu Hartz 4 haben. Aus meiner Sicht sichern die viel zu niedrigen Hartz 4-Regelsätze keineswegs das ab, was für ein Leben ohne soziale Ausgrenzung notwendig ist. Sie führen zu einer Umverteilung von unten nach oben. Menschen werden überwacht, ob sie z.B. in einer "eheähnlichen Gemeinschaft" leben, um ihnen dann den ohnehin viel zu niedrigen Regelsatz zu kürzen. So wird Druck ausgeübt, jede Form von Arbeit anzunehmen. Qualifikationen und Berufserfahrungen werden entwertet. Insbesondere die Regelsätze für Kinder und Jugendliche, die nicht an die reale Preisentwicklung gebunden sind, reichen vorne und hinten nicht aus.

Das passiert wohlgemerkt alles in einer Zeit, in der Banken und Großunternehmen mit unvorstellbaren Summen auf Kosten von Steuerzahlern vor dem Zusammenbruch gerettet werden. Besonders pikant wird dieser Sachverhalt, wenn man die Tatsache berücksichtigt, dass seit dem 1. Januar 2009 in Deutschland die sogenannte Abgeltungssteuer gilt. Auf Zinsen und Dividenden sind danach einheitlich 25 Prozent zu zahlen. Damit entfällt für diejenigen, die vom Vermögen leben, die Steuerprogression. Das richtige Prinzip, dass mit dem Einkommen der Steuersatz steigt, wird für Kapitalerträge abgeschafft!
Dieses Beispiel zeigt: Es geht um die Frage, was und wen die herrschende Politik in Deutschland finanziell unterstützen will - und wen nicht!

Auf der anderen Seite machen die Politiker - um die unhaltbaren Zustände, in die der Sozialabbau geführt hat, zu verschleiern - Stimmung gegen Asyl suchende Menschen, die aus Gründen wie Krieg, Folter, Verfolgung oder Todesdrohung aus ihren Heimatländern fliehen. Niemand verlässt freiwillig und ohne Not für immer seine Heimat und begibt sich auf die oft lebensgefährliche Reise nach Europa. Wenn diese Menschen in Mitgliedstaaten der EU um Asyl bitten, muss ihnen eine armutssichere Grundsicherung und der Zugang zum Arbeitsmarkt offen stehen. Jeder Mensch hat unabhängig vom Pass das Recht auf ein würdiges und selbstbestimmtes Leben.
Wenn sich das Europaparlament dafür aussprechen sollte, dass Asylbewerber nach 6 Monaten Zugang zu den im jeweiligen Mitgliedstaat geltenden Sozialhilfeleistungen erhalten sollen, legitimiert es damit längst nicht Hartz 4. In einem anderen Bericht des Europaparlaments vom Herbst vergangenen Jahres, der konkrete Zielstellungen im Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung in der EU einfordert, wird klar gesagt, dass es um armutsfeste soziale Mindeststandards für jeden und jede gehen muß.
Das ist für mich aber nicht Hartz 4!

Sehr geehrte Frau Schwarzer, die EU und ihre Mitgliedstaaten stehen meiner Meinung nach in der Verantwortung, die verheerenden Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise und einer jahrelangen Politik, die sich immer nur wieder an den Interessen globalen Konkurrenzkampfes orientierte, nicht auf den Ärmsten in der Gesellschaft abzuwälzen. Wenn dabei die soziale Lage von Asylbewerbern etwas verbessert wird, ist das ein erster Schritt, den wir unterstützen sollten. Auch wenn wir wissen, dass es bis zu einer wirklich sozialen Europäischen Union noch ein weiter Weg ist.

Mit freundlichen Grüßen,

Gabi Zimmer