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Frage von Dr. Andreas van A. •

Frage an Franz-Josef Jung von Dr. Andreas van A. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Dr. Jung,

im Namen der "allgemeinen" Wehrpflicht leisten mehr junge Männer Zivil- als Wehrdienst und die weitaus größte Gruppe muss überhaupt keinen Dienst leisten. Obwohl die Bundesregierung verpflichtet ist, den jungen Männern ihre grundgesetzlich garantierten Rechte nach Gleichbehandlung zu gewähren, kann von einer Wehr- und Dienstgerechtigkeit, falls überhaupt, nur im formaljuristischen Sinne die Rede sein.

Wie können Sie also vom Einzelnen erwarten, dass dieser gegenüber der Gesellschaft seine Pflicht erfüllt, wenn die Regierung auf der anderen Seite selber nicht bereit ist, ihren Teil der Vereinbarung zu erfüllen? Tricksereien wie völlig unrealistische Ausmusterungszahlen überzeugen vielleicht Richter, nicht aber die Gesellschaft und schon gar nicht die Betroffenen. Wir haben doch heute schon die Situation, dass die Nichtgedienten, als die Cleveren und Glücklichen, die Zivis als die Guten und die Wehrpflichtigen als der dumme Rest angesehen werden. Totalverteidiger werden gar immer mehr zu Märtyrern gemacht. Sollte die Wehrpflicht nicht mal zum Zusammenhalt der Gesellschaft beitragen und diese nicht, wie derzeit, spalten?

Mit freundlichen Grüßen

A. van Almsick

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Dr. van Almsick,

für Ihre E-Mail vom 8. Mai 2008 zum Thema Wehrpflicht danke ich Ihnen. Herr Bundesminister Dr. Jung hat mich gebeten, Ihnen zu antworten.

Nach den Vorgaben des Grundgesetzes haben grundsätzlich alle männlichen Staatsbürger einen Beitrag zur Sicherheit und Verteidigung unseres Landes zu leisten. Die Erfüllung der Wehrpflicht ist eine staatsbürgerliche Pflicht und bedeutet einen Einschnitt in die persönliche Lebensplanung junger Männer.

Die Bundesregierung bekennt sich im Koalitionsvertrag vom 11. November 2005 zur allgemeinen Wehrpflicht und zum Zivildienst als Ersatzdienst für den Wehrdienst. Für die Bundeswehr kommt es darauf an, den Wehrdienst sinnvoll auszugestalten und die damit verbundenen Belastungen so gering wie möglich zu halten. Die Bundesregierung hat darüber hinaus die Aufgabe, zu gewährleisten, dass Grundwehrdienst Leistende (GWDL) und freiwilligen zusätzlichen Wehrdienst Leistende (FWDL) die ihnen zukommende gesellschaftliche Würdigung erfahren. Auch das Engagement der jungen Männer, die im Zivildienst, im Zivil- und Katastrophenschutz und in anderen Ersatzdiensten ihre Wehrpflicht erfüllen, erfährt in der Gesellschaft hohe Aner­kennung

Mit der Einführung der Wehrpflicht vor über fünf Jahrzehnten hat sich eine Verteidigungs- und Streitkräftestruktur entwickelt, die mit einer intelligenten Kombination aus Berufs- und Zeitsoldatinnen/-soldaten, GWDL und FWDL sowie den Reservistinnen und Reservisten hohe Professionalität und gleichzeitig gesellschaftliche Integration garantiert. GWDL und FWDL bringen breite Kenntnisse und Fähigkeiten in die Streitkräfte ein. Durch sie bleibt die Bundeswehr in stetem Austausch mit der Gesellschaft, insbesondere jedoch mit der jungen Generation.

Mit der von der Bundesrepublik Deutschland getroffenen politischen Entscheidung für eine Wehrpflichtarmee müssen die damit im Zusammenhang stehenden verfassungsrechtlichen Anforderungen erfüllt werden. Dabei kommt der Frage nach der Wehrgerechtigkeit eine zentrale Bedeutung zu. Auch bei einem geringer werdenden Bedarf der Streitkräfte an Wehrpflichtigen muss die allgemeine Wehrpflicht mit dem Grundsatz der Wehrgerechtigkeit, die sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG ableitet, vereinbar bleiben.

In der öffentlichen Diskussion wird immer wieder behauptet, dass bei weitem nicht alle jungen Männer zum Grundwehrdienst oder einem auf diesen anrechenbaren sonstigen Dienst herangezogen würden und deshalb keine Wehrgerechtigkeit mehr gewährleistet sei.

Bei diesen Diskussionen wird regelmäßig unterstellt, dass ein bestimmter - hoher - Prozentsatz junger Männer aus jedem Geburtsjahrgang einberufen werden müsse, um Wehrgerechtigkeit sicher zu stellen. Dies trifft jedoch nicht zu. Wehrgerechtigkeit orientiert sich gerade nicht an der Stärke eines Geburtsjahrgangs, sondern ausschließlich an der Zahl der tatsächlich für den Wehrdienst verfügbaren Wehrpflichtigen. Dies hat das Bundes­verwaltungsgericht (BVerwG) mit seinem Urteil vom 19. Januar 2005 bestätigt.

Die Zahl der für den Wehrdienst verfügbaren Wehrpflichtigen ist jedoch erheblich geringer als die jeweilige Jahrgangsstärke. Für die Ableistung des Grundwehrdienstes stehen neben den nicht wehrdienstfähigen Wehrpflichtigen auch diejenigen nicht zur Verfügung, denen eine gesetzliche Wehrdienstausnahme zur Seite steht. Anerkannte Kriegsdienstverweigerer leisten statt des Wehrdienstes Zivildienst; verschiedene andere Dienste - insbesondere bei der Polizei und beim Katastrophenschutz - ersetzen den Wehrdienst gleichwertig.

Objektiv ist Wehrgerechtigkeit somit ausschließlich an dem Anteil der Wehrpflichtigen zu bemessen, der - trotz entsprechender Verfügbarkeit - keinen Wehrdienst geleistet hat. Diesbezüglich ist festzustellen, dass heute wie auch künftig der weitaus überwiegende Teil aller verfügbaren jungen Männer zum Wehrdienst herangezogen wird.

Es kann daher nicht von einer Spaltung der Gesellschaft, von "Tricksereien" oder auch dem "dummen Rest" der Wehrpflichtigen gesprochen werden, denn die allgemeine Wehrpflicht hat sich für Deutschland auch unter wechselnden sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen uneingeschränkt bewährt.

Wie Sie zu Recht ausführen, ist der Anteil der "Nicht Wehrdienstfähigen" sehr hoch. Wesentliche Ursache für den deutlichen Anstieg der als "nicht wehrdienstfähig" gemusterten Wehrpflichtigen ist der Wegfall des früheren Verwendungsgrades "T3" zum 1. Oktober 2004. Die seinerzeit als T 3 eingestuften Wehrpflichtigen waren "wehrdienstfähig mit Ein­schränkungen in der Grundausbildung und für bestimmte Tätigkeiten" und standen für den Grundwehrdienst lediglich mit Einschränkungen zur Verfügung. Auslöser für den Wegfall des Verwendungsgrades "T3" war die in den Verteidigungspolitischen Richtlinien dargestellte Einsatzorientierung der Bundeswehr. Die hieraus resultierenden gestiegenen Anforderungen vor allem im gesundheitlichen Bereich machten eine fähigkeitsorientierte Neuausrichtung des Ausbildungssystems erforderlich, das aus personellen, organisatorischen, infrastrukturellen und haushalterischen Gründen nicht teilbar ist. Für eine Einberufung kommen deshalb ausschließlich T1- und T2-gemusterte Wehrpflichtige in Betracht. Die zuvor T3-gemusterten Wehrpflichtigen werden deshalb seit dem 1. Oktober 2004 als "nicht wehrdienstfähig" eingestuft und stehen für einen Dienst aufgrund der Wehrpflicht nicht mehr zur Verfügung.

Ein weiterer Grund für den Anstieg der aus gesundheitlichen Gründen für den Wehrdienst nicht geeigneten Wehrpflichtigen liegt sicherlich auch an den in der Gesellschaft inzwischen allgemein diskutierten Ursachen wie z.B. falscher Ernährung oder zu wenig sportlicher Betätigung junger Menschen.

Von den rund 391.700 (100 %) jungen Männern, die im Schnitt aus den Geburtsjahrgängen 1990 bis 1997 in die Wehrpflicht hineinwachsen, werden deshalb voraussichtlich lediglich rund 195.800 (50 %) für einen Dienst aufgrund der Wehrpflicht tatsächlich zur Verfügung stehen. Hiervon wird der ganz überwiegende Teil auch tatsächlich einen Dienst in Form des Wehrdienstes bzw. des Zivildienstes leisten. Hinzu kommen die Dienste bei Polizei oder anerkannten Trägern des Katastrophenschutzes (z.B. THW, DRK). Bezogen auf die Anzahl aller für einen der genannten Dienste verfügbaren jungen Männer werden voraussichtlich 92 % von ihnen einen Dienst leisten.

Ihre Aussage, dass mehr junge Männer Zivil- als Wehrdienst leisten, trifft lediglich für die Geburtsjahrgänge 1983 und 1984 zu. Bei den Geburtsjahrgängen 1982 und jünger überwog durchweg der Wehrdienst, wobei in diese Betrachtungen neben den GWDL auch die FWDL und der Regenerationsbedarf an männlichen Zeitsoldaten (SaZ) einzubeziehen sind.

Im Übrigen kann jeder junge Mann gem. Art 12 a Abs. 2 GG Zivildienst leisten, wenn er sich aus Gewissensgründen der Beteiligung an jeder Waffenanwendung zwischen den Staaten widersetzt und den Kriegsdienst mit der Waffe unter Berufung auf Art 4 Abs. 3 Satz 1 GG verweigert.

Ihre Bewertung, sog. Totalverweigerer würden immer mehr zu "Märtyrern" gemacht, teile ich nicht. Zunächst muss darauf hingewiesen werden, dass es den "Totalverweigerer" rechtlich überhaupt nicht gibt. Nach dem Grundgesetz und dem Kriegsdienstverweigerungsgesetz steht es jedem Wehrpflichtigen frei, einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer zu stellen, wenn er die Ableistung des Grundwehrdienstes nicht mit seinem Gewissen vereinbaren kann. Wird er anerkannt, hat er grundsätzlich Zivildienst zu leisten. Verweigert er beide Dienste, muss er mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen. Vor diesem Hintergrund bilden sog. Totalverweigerer die absolute Ausnahme.

Ich hoffe, dass ich Ihnen mit meinen Ausführungen behilflich sein konnte.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Franz Josef Jung