Portrait von Franz-Josef Jung
Franz-Josef Jung
CDU
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Franz-Josef Jung zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Christian Z. •

Frage an Franz-Josef Jung von Christian Z.

Guten Tag Herr Jung,

wie Gedennken Sie morgen im Bundestag abzustimmen?

Wieviel Geld soll Ihrer Meinung nach noch vernichtet werden? Welchen Interessen wird damit gedient? Es kann nicht sein das wir eine absolut marode Infrastrucktur in Deutschland haben, Kindergartenplätze verrotten, Schwimmbäder werden geschlossen etc.

Ich bin 35 Jahre, war keinen Tag arbeitslos, wofür gehe ich arbeiten?

MfG
Christian Zimmermann

Portrait von Franz-Josef Jung
Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Zimmermann,

ich beziehe mich auf Ihre Frage bei "abgeordnetenwatch", wie ich am heutigen Freitag im Bundestag abstimmen werde. Ich werde einer Aufnahme neuer Verhandlungen zustimmen und damit das Brüsseler Verhandlungsergebnis vom Montag unterstützen. Die Gründe hierfür erläutere ich gerne.
Lassen Sie mich Ihnen zunächst versichern, dass ich Ihre Bedenken bezüglich bisher erfolgter und möglicher weiterer Kredite sehr gut nachvollziehen kann. Es ist überaus frustrierend, dass in den letzten fünf Jahren unzählige Verhandlungen mit Griechenland, verbunden mit Gipfeltreffen der Euro-Finanzminister und der beteiligten Staatschefs, nur zu sehr geringen Fortschritten geführt haben. Allerdings muss man festhalten, dass sich die griechische Wirtschaft bis Anfang 2015 wieder ansatzweise erholt hatte und die entsprechenden Indikatoren nach oben gewiesen haben. Seit dem Amtsantritt der linken, Syriza-geführten Regierung aber, die die Fortsetzung der gemeinsam mit der EU beschlossenen Reformmaßnahmen torpediert hat, ging es mit der griechischen Wirtschaft wieder bergab, was zu der Ihnen bekannten Zuspitzung in den letzten Wochen geführt hat.
Ich bin, ehrlich gesagt, sehr froh, dass es am letzten Wochenende gelungen ist, einen Kompromiss zu erreichen, der es dem Land ermöglicht, den Euro zu behalten und einen "Grexit" zu vermeiden. Ein Ausscheiden eines Landes aus der Eurozone ist in den europäischen Verträgen nicht vorgesehen und könnte den europäischen Zusammenhalt ernsthaft beschädigen. Dies beziehe ich weniger auf mögliche wirtschaftliche Folgen, die nach Ansicht führender Ökonomen auch dank des funktionierenden europäischen ESM-Rettungsschirms begrenzt sind, als auf psychologische Prozesse. Wenn ein Land aus dem Euro und vielleicht irgendwann sogar aus der EU ausscheidet, könnte dies die Vision eines einigen Europas langfristig gefährden. Dies widerspräche der gesamten Entwicklung der letzten Jahrzehnte, die von großen europäischen Staatsmännern wie Helmut Kohl in die Wege geleitet und stabilisiert worden ist. Die Vorteile eines geeinten Europa liegen auf der Hand: Verständnis der europäischen Völker untereinander statt kleinlicher Konflikte, Freizügigkeit zwischen mittlerweile 28 Ländern, Sicherung des Friedens durch wirtschaftliche Verflechtung, Erhöhung der Wirtschaftskraft durch uneingeschränkten Handel und Stärkung der internationalen Rolle Europas im globalen Weltgeschehen.
Vielleicht hat die Europäische Union einen Fehler gemacht, als sie Griechenland trotz zweifelhafter wirtschaftlicher Eckdaten - die sich im Nachhinein als teilweise gefälscht erwiesen - in die Eurozone aufgenommen hat. Die Hauptverantwortung für die Entwicklung tragen aber die griechischen Regierungen, die es über lange Zeit nicht vermocht haben, die gesellschaftliche und politische Entwicklung des Landes zu einem modernen Staatswesen in EU-konformer Weise zu gestalten. Vielen von uns ist erst in den letzten Jahren bewusst geworden, dass der Reformbedarf Griechenlands mit dem Reformbedarf anderer EU-Länder nicht zu vergleichen ist. Es geht natürlich nicht an, dass Steuern nicht korrekt abgeführt werden und sich reiche Griechen arm rechnen und ihr Vermögen problemlos ins Ausland transferieren. Ebenso kann es nicht sein, dass ein aufgeblähter Beamtenapparat nicht zuletzt der Versorgung treuer Wähler dient, dass Bildungs- und Gesundheitsleistungen vorwiegend im Wege von Schmiergeldzahlungen erbracht werden, dass es kein funktionierendes Katasterwesen zur Sicherung des Immobilienmarktes gibt und viele Berufsgruppen durch intransparente Regelungen vom normalen Arbeitsmarkt abgeschottet sind, so dass der Zugang zu lukrativen Tätigkeiten teuer erkauft werden muss. Auch ist es eine nur als sonderbar zu bezeichnende soziale Situation, dass viele Familien von teils überdimensionierten Renten leben, da diese als Ersatz für eine nicht existierende Sozialhilfe herhalten müssen, woraus sich auch der lang anhaltende Widerstand gegen deren Kürzung erklären lässt. Überdies haben sich in einem fast feudal zu nennenden System über Jahrzehnte einige wenige Familien, die an der Spitze der führenden Parteien PASOK und Nea Demokratia standen, in der Regierung abgewechselt und ein System der Vetternwirtschaft etabliert, welches in Europa seinesgleichen sucht. Im Übrigen sind dies alles keine grundsätzlich neuen Phänomene. Griechenland hat sich im Verlauf seiner Geschichte schon mehrfach finanziell übernommen und war vom Wohlwollen seiner Gläubiger abhängig.
Dessen ungeachtet war und bleibt es der feste Wille der Bundesregierung, unser EU-Partnerland nicht einfach fallen zu lassen und seinem Schicksal zu überlassen - zumal viele Menschen in Griechenland unter der derzeitigen Situation sehr leiden, da es ihnen am Nötigsten fehlt und sie für sich keine Perspektive in ihrer Heimat mehr erkennen.
Die erratische Handlungsweise der Tsipras-Regierung, verbunden mit Beschimpfungen der Verhandlungspartner und Häme gegenüber deutschen Politikern, hat uns sehr irritiert und verärgert. Trotzdem hat die Bundesregierung gemeinsam mit den anderen Euro-Partnern den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen. Das am Montag dieser Woche erzielte Ergebnis - das übrigens in weiten Teilen dem Ergebnis des Referendums vom 5. Juli widerspricht - ist nach meiner Ansicht eine annehmbare Basis für weitere Verhandlungen mit einer Regierung, die unser Vertrauen bis dahin so gut wie verloren hatte. Es ist anzuerkennen, dass Ministerpräsident Tsipras, dessen persönlichen Überzeugungen das Verhandlungsergebnis mit Sicherheit vollkommen widerspricht, die mit den Euro-Ländern erzielte Vereinbarung in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag im Parlament durchgesetzt hat, trotz heftigen Widerstandes aus den eigenen Reihen. Eine Umstrukturierung der Regierung oder gar ihr frühes Ende, verbunden mit Neuwahlen, könnten durchaus die Folge dieser Entscheidung sein.
Die Situation stellt sich derzeit wie folgt dar: Es soll ein auf drei Jahre angelegtes Hilfsprogramm mit einem Volumen bis zu maximal 86 Milliarden Euro geben. Die Auflagen sind eindeutig: es gibt klare Vereinbarungen zu Strukturreformen etwa bei Renten- und Steuerpolitik sowie zu Privatisierungen, die das Athener Parlament nunmehr im Eilverfahren umgesetzt hat. Der IWF wird - anders als ursprünglich von Griechenland gewollt - weiterhin Partner bei der Kreditvergabe sein; auch wird es einen Treuhandfonds in Höhe von 50 Milliarden Euro geben, an den griechisches Staatsvermögen übertragen und verkauft wird. 12,5 Milliarden Euro aus diesem Erlös sollen in Investitionen fließen; weitere 12,5 Milliarden Euro werden für die Tilgung von Schulden verwendet, 25 Milliarden Euro für die Stützung griechischer Banken.
Die Umsetzung der Vereinbarungen wird von den internationalen Organisationen laufend überwacht. Wenn sich die griechische Regierung den Absprachen entsprechend verhält, kommt mittelfristig ein Investitionsprogramm zur Stärkung der Wirtschaft in Frage; bereits vor dem Referendum hatte EU-Kommissionspräsident Juncker nicht zuletzt auf dem Hintergrund der dramatischen humanitären Situation ein Programm in Höhe von 35 Milliarden für dringend erforderliche Investitionen in Aussicht gestellt.
Während längere Laufzeiten und mögliche niedrigere Zinsen für laufende Kredite im Gespräch sind, steht eines endgültig fest: einen Schuldenschnitt, durch den eine Rückzahlung eines großen Teils der aktuellen Kredite sofort ausfiele, wird es nicht geben. Auf diese Weise besteht zumindest die Chance, über einen längeren Zeitraum die Kreditsummen wieder zurückzuerhalten.
In den nächsten Tagen wird nunmehr über eine Brückenfinanzierung angesichts der klammen Situation der griechischen Banken beraten; danach kann es neue formelle Verhandlungen über Hilfen seitens der europäischen Rettungsfonds geben.
Dem müssen mehrere Länderparlamente in der Eurozone zustimmen, darunter der Deutsche Bundestag am morgigen Freitag. Ich möchte deutlich machen, dass es sich dabei noch NICHT um eine Zustimmung zu konkreten Hilfszahlungen handelt. Vielmehr geht es darum, der Bundesregierung ein Mandat für weitere Gespräche zu erteilen. Ich bin der Ansicht, dass weitere Verhandlungen unterstützt werden sollten, und werde mich für die Erteilung dieses Mandats aussprechen. Die Vorteile einer Zustimmung zu der vorliegenden Einigung überwiegen die Nachteile - damit Europa als starke wirtschaftliche und politische Einheit weiterhin besteht und Griechenland die Chance bekommt, langfristig einen Ausweg aus seiner unhaltbaren Situation zu finden.
Dabei bin ich der festen Überzeugung, dass es gerade die Christdemokraten gewesen sind, deren umsichtiges Vorgehen zu diesem Ergebnis geführt hat. Dass sich Europa nicht hat auseinanderdividieren lassen, dass nun ein Programm mit ernsthaften Reformen und zielgerichteter Verhandlungsführung möglich ist, ist ganz wesentlich ein Verdienst der deutschen Seite. Ich beglückwünsche Bundeskanzlerin Merkel zu diesem Erfolg. Sie ist der griechischen Seite in den Verhandlungen sehr weit entgegengekommen und hat durch ihre Entschlossenheit ebenso wie durch ihre wiederholten Konsultationen mit Frankreichs Präsident Hollande und Griechenlands Ministerpräsident Tsipras maßgeblich dazu beigetragen, dass Griechenland in wesentlichen Punkten nachgegeben und den notwendigen Reformbedarf anerkannt hat.
Ein besonderes Lob verdient auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Seine Vorschläge beispielsweise zum Treuhandfonds wurden von den Euro-Finanzministern aufgegriffen und sind Teil des Verhandlungsergebnisses. Minister Schäuble hat in den Verhandlungen stets konsequent die Linie vertreten, dass im Sinne der europäischen Solidarität zwar Hilfe geleistet werden muss, auf der anderen Seite jedoch der Aufbau eines funktionierenden Staatswesens in Griechenland unerlässlich ist.
Ich hoffe, dass ich Ihnen mit diesen Ausführungen deutlich machen konnte, warum ich der Fortführung der Gespräche mit Griechenland zustimmen werde, und verbleibe
mit freundlichen Grüßen

Dr. Franz Josef Jung MdB