Frage an Florian Bernschneider von Benjamin C. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Bernschneider,
oben wurde gefragt: "Bitte beziffern Sie kurz die z.Zt. bestehenden Verbindlichkeiten Deutschlands bzw. der deutschen Steuerzahler gegenüber Institutionen und anderen Ländern inkl. Bürgschaften und ESM." Diese Frage wurde aber nicht beanwortet. Meine Frage ist: wieso?
Es gibt zu dem Thema wissenschaftliche Einschätzungen, etwa des vielzitierten Prof. Sinn, der die Höhe auf 750 Milliarden € schätzt. Ich habe mich intensiv mit der Thematik beschäftigt und gehe davon aus, dass diese Höhe, aufgrund der Target2 Salden, in einem Jahr bei 2 Billionen € liegen könnte. Damit wäre der Bankrott des deutschen Staates denkbar. Sind dem Parlament bzw. der Regierung die Haftungssummen bekannt? Meines Wissens gibt es zu den Risiken keine offzielle Untersuchungen.
Wußten Sie, dass das das Vermögen der Deutschen Bundesbank mittlerweile hauptsächlich aus Forderungen gegenüber anderer Zentralbanken besteht? Dies war vor der Krise nicht der Fall. Die Bundesbank hat für einen möglichen Ausfall der anderen Zentralbanken kein Risikomangement. Wie soll Deutschland die Forderungen gegenüber den anderen Staaten bzw. Zentralbanken einholen können? Finnland droht nun offen mit dem Euro-Austritt, weil die Kosten nicht mehr zu überblicken sind. Meine Bitte ist: beschäftigen Sie sich einmal mit den konkreten Zahlen und mit den Argumenten etwa Ihres Kollegen Hr. Schäfflers und denen von 200 Wirtschaftsprofessoren und denen in den Verfassungsklagen. Konkrete Fragen wären etwa: wie solvent sind die Zentralbanken der anderen Länder? Wie kann Deutschland gegenüber diesen Sicherheiten verlangen? Was würde ein massenhafte Insolvenz der Staaten und Zentralbanken bedeuten? Wenn diese ganzen Schuld-Beziehungen in einem ESM aufgelöst werden wird das für Unfrieden sorgen, solange dieser nicht demokratisch legitimiert ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Deutschen bereit sind solche gigantische Risiken zu tragen.
Mit freundlichen Grüßen
Benjamin Cordes
Sehr geehrter Herr Cordes,
die fehlende Antwort bei der Anfrage von Herrn Jürgens ist auch mir erst jetzt aufgefallen und ich bitte Sie, dies zu entschuldigen - offenbar hat mich die nicht ganz korrekte Nummerierung der Ausgangsfragen durcheinander gebracht.
Das Bundesministerium der Finanzen hat mir auf Anfrage mitgeteilt, dass die Summe der deutschen Gewährleistungen im Zusammenhang mit zugesagten Mitteln für EFSF Stand Juni 2012 95,3 Milliarden Euro beträgt. Hiervon sind 54,2 Milliarden Euro bereits ausbezahlt, 41,1 Milliarden stehen noch aus.
Sie sprechen außerdem die TARGET2-Salden der Bundesbank an. Ich bin dabei nicht Ihrer Auffassung, dass die TARGET2-Forderungen der Bundesbank mit Krediten gleichzusetzen und somit als eigenständiges Risiko zu behandeln sind. TARGET2 ist in erster Linie ein Verrechnungssystem, das zwar die Übertragung von Liquidität abbilden, aber eben nicht - wie dies bei der Kreditvergabe der Fall wäre - neue Liquidität schaffen kann.
Die TARGET2-Forderungen der Bundesbank sind in erster Linie durch das Erliegen des Interbankenmarktes im Zuge der Euro-Schuldenkrise entstanden. Aufgrund der stets positiven deutschen Leistungsbilanz haben deutsche Geschäftsbanken schon zuvor Liquidität über den Interbankenmarkt ins europäische Ausland exportiert - mit dem Unterschied, dass diese Transaktionen nicht in Zentralbankgeld abgewickelt wurden und somit im TARGET2-System nicht sichtbar wurden.
Auch während der aktuellen Krise fließt deutschen Geschäftsbanken weiterhin in nennenswertem Umfang - etwa durch Warenexporte - Liquidität zu, die sie aufgrund der Vertrauenskrise am Interbankenmarkt aber nun nicht mehr direkt an andere europäische Geschäftsbanken weitergeben. Stattdessen geben die Geschäftsbanken die erhaltenen Mittel in die sogenannte „Einlagefazilität“ bei der EZB. Die EZB stellt diese Liquidität dann wiederum anderen europäischen Zentralbanken zur Verfügung, die damit den Refinanzierungsbedarf ihrer nationalen Geschäftsbanken decken.
Der TARGET2-Saldo bildet also letztlich nur eine Verlagerung der Refinanzierungsform vom Interbankenbankenmarkt auf die Zentralbanken ab. Diese Art der Refinanzierung ist natürlich insoweit risikoträchtiger, als dass die nationalen Zentralbanken letztlich von den jeweiligen Nationalstaaten getragen werden, für die sich damit zusätzliche Risikopositionen ergeben. Letztlich ergibt sich das Risiko eines Totalausfalls der TARGET2-Forderungen aber nur bei einem vollständigen Zusammenbruch der Eurozone, den ich persönlich für äußerst unwahrscheinlich halte.
Der geordnete Ausstieg einzelner Staaten aus der Eurozone stellt dagegen ein sehr geringes Risiko für die TARGET2-Forderungen der Bundesbank dar, denn die Verbindlichkeiten einer nationalen Zentralbank bleiben natürlich auch bei einem Währungswechsel bestehen. Im Übrigen richten sich die Forderungen der Bundesbank gegen die EZB und nicht - wie Sie fälschlicherweise anführen - gegen die jeweiligen nationalen Zentralbanken. Somit würden selbst im Fall des ungeordneten Währungsaustritts eines Eurostaats dessen ausgefallene Verbindlichkeiten nach dem Einlagenschlüssel der EZB auf die verbleibenden nationalen Zentralbanken aufgeteilt.
Nicht richtig ist auch Ihre Behauptung, die Bundesbank hätte für diesen - ebenfalls sehr unwahrscheinlichen - Fall keine Risikovorsorge. Ein Blick in die Bilanz der Bundesbank zeigt, dass gerade unter dem Eindruck der aktuell schwierigen Lage die sogenannte „Rückstellung für allgemeine Wagnisse“ um 3,6 auf 7,7 Milliarden Euro und damit um über 85% aufgestockt wurde.
Sehr geehrter Herr Cordes, Sie können sich sicher sein, dass sich entgegen manchem öffentlichen Eindruck die überwiegende Mehrzahl der Abgeordneten im Bundestag intensiv mit den Instrumenten zur Überwindung der Eurokrise und deren Chancen und Risiken auseinandersetzt. Gerade wir Liberale haben uns dabei immer wieder dafür eingesetzt, dass es keine Leistung ohne Gegenleistung und unsere Solidarität nicht ohne Solidität in den Empfängerstaaten gibt. Ich hoffe, dass Sie diesen Umstand - bei aller sicherlich weiterhin bestehender Kritik - berücksichtigen können.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Florian Bernschneider