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Claudia Roth
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Frage von Susanne S. •

Frage an Claudia Roth von Susanne S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Roth (oder liebes "Büro-Team", wer auch immer das sein mag) vor einiger Zeit stieß ich hier auf folgende Frage:

"Frage zum Thema Integration 17.09.2009 von:

Sehr geehrte Frau Roth,

auf der Internetseite www.vielfalt-als-chance.de herausgegeben von der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, ist zu lesen:

"Menschen mit Zuwanderungshintergrund sind eine wichtige Zielgruppe: Allein die 2,5 Millionen in Deutschland lebenden Türken haben eine Kaufkraft von 17 Milliarden Euro. Das entspricht dem Niveau des Saarlands"

Dies entspricht lediglich einer Kaufkraft 6800,00 € pro Kopf, der Durchschnitt liegt bei ca. 18.000 €.

Dazu hätte ich einige Fragen:

1. Ist Ihnen bekannt warum die Kaufkraft derart gering ist?
2. Wie viel dieser Kaufkraft besteht aus Transferleistungen des Staates?
3. Wie viel dieser Kaufkraft ist selbst erwirtschaftet worden?

Von mir bekannten Zöllnern wird berichtet, dass es an der Tagesordnung ist, dass größere Barbeträge von türkischen Mitbürgern in die Türkei transferiert werden. Diese "Kaufkraft" verbleibt also nicht in Deutschland. Die Fragen hierzu;

4. Wie hoch sind die angemeldeten ausgeführten Beträge?
5. Wie hoch ist die geschätzte Dunkelziffer von diesen ausgeführten Beträgen?

Wie hoch ist der wirtschaftliche Gewinn für Deutschland durch diese Migrantengruppe, wenn die Kosten für Gesundheit (inkl. die in der Türkei mitversicherten Personen), Integration und Strafverfolgung abgezogen werden?

MFG"

Unter dieser Frage stand folgendes:

"Bisher ist noch keine Antwort eingetroffen. Um eine Nachricht zu erhalten, sobald eine Antwort eintrifft, tragen Sie sich bitte über die untenstehende Benachrichtigen-Funktion ein.

Auf diese Antwort warten bisher 220 Interessierte"

Nun hatte ich mich mit 219(!) anderen als interessiert an einer Antwort angemeldet, aber es kam nichts. Habe ich etwas verpasst, oder ist keine Antwort auch eine Antwort?

MfG

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Steiner,

diese Fragen hätten Sie sinnvollerweise an die weiterhin amtierende Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Staatsministerin Frau Dr. Prof. Böhmer richten sollen. Sie ist Mitglied des Deutschen Bundestages und kann somit als Abgeordnete Fragen in diesem Forum beantworten. Denn Informationen zur Methodik und zu angewandten Untersuchungskriterien, die für die Beantwortung Ihrer Fragen entscheidend gewesen wären, können nur von ihr als Auftraggeberin gegeben werden.

Das Spiel mit den Zahlen 6.800 und 18.000 Euro kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der statistisch ermittelte Durchschnitt von 18.000 Euro Kaufkraft pro Kopf in der Bundesrepublik mit der realen Kaufkraft von Menschen oder Familien mit unterdurchschnittlichen und niedrigen Einkommen nicht ohne weiteres in eine derartige Relation gestellt werden kann. Der statistische Mittelwert für die über 80 Millionen Bundesbürger sagt nichts aus über den statistischen Mittelwert bei niedrigen und armen Einkommensgruppen. Denn zu dieser Einkommensgruppe gehören überdurchschnittlich Menschen und Familien mit Migrationshintergrund. Das hängt bei diesen Menschen unter anderem mit ihrem niedrigen Bildungsniveau zusammen. Diese Menschen wurden seinerzeit als billige und angelernte Arbeitskräfte eingesetzt, aber infolge des Strukturwandels in der Industriegesellschaft nicht entsprechend weitergebildet und mitgenommen.
Aus den genannten Gründen gibt es statistisch mehr Arbeitslose oder Hilfeempfänger mit Migrationshintergrund. Diese überdurchschnittliche Armut ist aber kein Grund, unsere Gesellschaft mit Kategorien wie „Wir“ und „Die“ oder „Deutsche“ und „Türken“ zu spalten. Diese Menschen sind längst Teil unserer Gesellschaft und jeder Versuch, soziale Probleme zu ethnisieren, will sicherlich keine Probleme lösen, sondern mit der Schaffung von Sündenböcken davon ablenken.

Was Ihre bekannten Zöllner erzählen, erinnert stark an typisches Stammtischgerede, mit Behauptungen und nach Bauchgefühl. Es gibt gesetzlich geregelte Obergrenzen für die Mitnahme von Bargeld ins Ausland. Liegt der Betrag unter dieser Obergrenze, geht es die Zollbeamten nichts an, wer wohin das Geld mitnimmt. Das gilt bei allen Menschen, die ausreisen. Die ethnische Herkunft der Reisenden spielt auch hier keine Rolle. Ihre Fragen bezüglich der „ausgeführten Beträge“ und „der geschätzten Dunkelziffer“ können nur vom Bundeszollamt und nicht von Abgeordneten beantwortet werden. Die Hauptsorge von Zollbeamten gilt aber einem anderen Problem, das viel gravierender ist, nämlich das Problem mit Steuerhinterziehungen und großen Geldbeträgen, die illegal in die Steueroasen oder einige europäische Länder gebracht werden.

Die Frage nach dem wirtschaftlichen Gewinn „durch diese Migrantengruppe“ kann nicht mit Zahlen beantwortet werden, weil es „diese Migrantengruppe“ als homogen isolierte und von der Gesellschaft losgelöste Gruppe nicht gibt. Diese Menschen sind angesichts ihrer Lebensrealitäten, der hier geltenden Rechtsnormen und der erworbenen Rechte zum unzertrennlichen Teil dieses Landes geworden. Die Aufgabe von Politik ist es hier Konzepte zu entwickeln, um zum einen diesen Menschen eine echte Chance auf umfassende gesellschaftliche Teilhabe und auf Wohlstand zu ermöglichen. Und zum anderen ihre spezifischen Stärken und Potentiale zu fördern, damit die Gesellschaft als Ganze davon profitiert.

Mit freundlichen Grüßen

Das Bundestagsteam von Claudia Roth MdB

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