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Claudia Roth
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Frage von Axel M. •

Frage an Claudia Roth von Axel M. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen

Hallo Frau Roth,

in der Web-Site der Tagesschau habe ich folgende Aussage von Ihnen gelesen:
"Ein sofortiges Ende des Einsatzes wäre "unverantwortlich" und berge die Gefahr, dass die Situation in Afghanistan bis hin zu einem Bürgerkrieg eskaliere."
Ich nehme das zum Anlaß, mir von Ihnen unsere Beteiligung am "Schutz" von Afghanistan erklären zu lassen.
Ich verstehe nicht, was deutsche Soldaten in Afghanistan zu suchen haben. Warum müssen deutsch junge Männer dort ihr Leben riskieren und lassen?
Diese Frage kann keiner beantworten. Ich frage im Kollegenkreis, ich durchforste die Medien. Es heißt immer: "Das muß sein", "Dazu gibt es keine Alternative", "Ein Beenden ist unverantwortlich", "Ich weiß auch nicht", "Die bösen Terroristen kommen doch von da" usw.
Argumente höre ich keine.
Aber warum sind wir in Afghanistan?
In anderen Ländern der Welt drohen ebenfalls Bürgerkriege, dort sind wir nicht. In Afrika ist Ausnahmezustand. Da sind wir auch nicht.
Warum also Afghanistan? Um die sinistren Taliban zu fangen? Das hat jetzt über Jahre nicht geklappt. Ich schätze die Situation ohne unser Eingreifen als schlimmer ein als vorher.
Ich bin ein durchaus treuer Grünen-Wähler und schätze Sie sehr als Politikerin.
Wer auch immer von Ihrem Stab diese Mails bearbeitet, vielleicht kann irgend jemand mir mir den Grund zu nennen, warum wir da mitmachen. Am besten in wenigen klaren Worten. Ohne das Ganze politisch so korrekt aufzublähen, daß ich es dann nicht mehr verstehe.

Vielen Dank im Voraus
Axel Mayer

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Mayer,

wie Sie vielleicht wissen, ist Deutschland Mitglied der Vereinten Nationen (UN). Es hat sich zum geltenden Völkerecht und den sich daraus ableitenden Vereinbarungen verpflichtet. Wir Grüne sind für eine aktive Rolle Deutschlands in der UN und für eine Stärkung der UN bei der Bewältigung von internationalen und globalen Problemen. Nur mit aktiver und umfassender Beteiligung an UN-Entscheidungen ist es möglich, glaubwürdig zu bleiben. Dazu gehören auch Un-mandatierte UN-Einsätze. Die Bundeswehr ist nicht nur in Afghanistan, sondern unter anderem im Rahmen der UNMIS-Friedensmission im Sudan, an der Küste des Libanon (UNIFIL) oder im Kosovo (KFOR).

In Afghanistan ist die Bundeswehr um, basierend auf einem Mandat der Vereinten Nationen, die afghanische Regierung beim Aufbau des Landes und der Gewährleistung von Sicherheit zu unterstützen. Sie soll mit den afghanischen Partnern dazu beitragen, ein sicheres Umfeld für zivile HelferInnen zu schaffen und den Schutz der Bevölkerung zu gewährleisten. Wir GRÜNE kritisieren schon seit langem die Bundesregierung für ihre halbherzige und beschönigende Afghanistanpolitik - für das langjährige Versagen beim Polizeiaufbau, für das unzureichende zivile Engagement und die mangelhafte Koordinierung dieser Arbeit sowie für eine desaströse Informationspolitik.

Deshalb wollen wir, dass 2010 ein ziviler Aufbau- und militärischer Abzugsplan mit realistischen und verbindlichen Aufbauzielen für Afghanistan entwickelt wird, der die Übergabe der Verantwortung an die Afghanen und Afghaninnen verantwortlich gestaltet. Um diese Übergabe- und Abzugsperspektive zu erreichen, müssen wir jetzt die Weichen zügig stellen.

Einen Sofortabzug halten wir für falsch. Ein verantwortlicher Abzug braucht Zeit und eine gründliche Vorbereitung. Das geht nicht in wenigen Monaten. Ein Sofortabzug würde die noch schwache afghanische Zivilgesellschaft einem Bürgerkrieg zwischen Taliban und Warlords überlassen. Er hätte eine Eskalation von Gewalt und Krieg zur Folge und würde viele Früchte des jahrelangen Aufbaus zunichte machen. Wie zu Zeiten des afghanischen Bürgerkrieges müsste die Masse der Helfer abziehen und Hunderttausende von Rückkehrern nach Afghanistan würden wieder ins Exil in die Nachbarstaaten getrieben. Er wäre ein Brandbeschleuniger sondergleichen - und zudem ein Destabilisierungsprogramm für die instabile Atommacht Pakistan.

Statt kontraproduktiver Militäraktionen fordern wir „Zivil vor Militär“ mit einer massiven Unterstützung beim zivilen und entwicklungspolitisch orientierten Aufbau, insbesondere in den Bereichen Justiz, Bildung, Infrastruktur und Landwirtschaft. Zusätzlich brauchen wir eine massive Verstärkung der Ausbildung von Polizei und Armee, damit die afghanische Polizei und die afghanische Armee mittelfristig in der Lage sind, die Sicherheit der afghanischen Bevölkerung zu garantieren.

Mit freundlichen Grüßen

Das Büro-Team von Claudia Roth

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