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Cem Özdemir
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Frage von Julia S. •

Frage an Cem Özdemir von Julia S. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Guten Abend Herr Özdemir,

als Erstwählerin würde mich interessieren, was Sie gegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit unternehmen wollen?

Außerdem möchte ich Ihnen noch gerne eine Frage zu Stuttgart 21 stellen. Die Grünen haben sich in Stuttgart ganz entschieden gegen das Projekt gestellt - und auch Sie versprechen Stuttgart 21 als Abgeordneter in Berlin zu verhindern - bzw. alles zu tun um es in Berlin zu verhindern.
Wie genau gedenken Sie das zu tun? Wie würde Ihr Vorgehen in diesem Fall denn dann genau aussehen? Gibt es dann in Berlin eine Abstimmung, bei der die Stuttgarter Abgeordneten alleine darüber entscheiden dürfen? Wie kann ich mir Ihr Vorgehen vorstellen?

Viele Grüße

Julia Schneider

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Schneider,

das A und O eines guten Einstieg in das Erwerbslebens ist eine gute Ausbildung, denn Jugendliche ohne Berufsausbildung haben ein mehr als doppelt so hohes Arbeitslosigkeitsrisiko wie Jugendliche mit einer abgeschlossenen Ausbildung. Doch auch in diesem Jahr geht die Zahl der Ausbildungsverträge massiv zurück. Die Große Koalition hat vier Jahre geschlafen und es versäumt, das Ausbildungssystem konjunkturell unabhängiger zu gestalten. Über 300 000 Altbewerber warten weiterhin auf einen Ausbildungsplatz.

Wir Grüne sind der Meinung, dass wir endlich eine Reform brauchen, die das Berufsbildungssystem konjunkturunabhängig macht. Darum haben wir mit DualPlus ein Konzept vorgelegt, dass die bereits bestehenden überbetrieblichen Ausbildungsstätten weiter ausbaut. In Kooperation mit beruflichen Schulen und Betrieben werden so zusätzliche Ausbildungsplätze nach dem dualen Prinzip geschaffen, die voll qualifizieren und mit einer Kammerprüfung abschließen. Dabei möchte ich noch einmal betonen, dass es sich hier nicht um außerbetriebliche Ausbildungsorte handelt, sondern die Betriebe in die Ausbildung und deren Finanzierung weiterhin voll mit eingebunden sind.

Für schulmüde Jugendliche oder Schulabbrecher wollen wir verstärkt Produktionsschulen einrichten. Hier können Jugendliche ihren Schulabschluss nachholen und werden beim Übergang in die Berufsausbildung begleitet. Die bereits in einigen Bundesländern bestehenden Produktionsschulen zeigen, wie erfolgreich dieses Modell ist.

Was Stuttgart 21 angeht, so konnte der volkswirtschaftliche Nutzen des Projektes Stuttgart 21 bis heute nicht nachgewiesen werden. Es liegt keine Kosten-Nutzen- Berechnung vor, die den Einsatz der veranschlagten Bundesmittel rechtfertigt. Außerdem geht selbst die Bundesregierung bei Großbauprojekten von deutlichen Preissteigerungen aus. In einem Bericht heißt es dazu, dass insbesondere bei „sehr komplexen Bauvorhaben mit Gesamtkosten jenseits der 100 Mio. Euro“ Kostensteigerungen von bis zu 100% beobachtet werden. Im Bereich Eisenbahnbau bspw. wird darauf hingewiesen, dass gerade bei (Groß)Projekten mit speziellen Anforderungen (bspw. Tunnelbauwerke) mit großen Preissteigerungen von bis zu 60% auszugehen ist (Bundestags-Drucksache 16(8)4474). Das heißt, es wird im Ergebnis zu deutlich höheren Kosten und zu einer sinkenden Wirtschaftlichkeit des Projektes „Stuttgart 21“ kommen, da diese Kostensteigerungen in der von der Bundesregierung geschätzten Höhe nicht ausreichend berücksichtigt worden sind. Als der Bundestag über das Großprojekt abgestimmt hat, tat er das ohne Kenntnis einer aussagekräftigen Kostenschätzung. Der Finanzierungsvertrag für das Projekt „Stuttgart 21“ zwischen Bund, Land Baden-Württemberg und Deutscher Bahn wurde quasi nach dem Motto unterzeichnet: Koste es, was es wolle. Um das Projekt noch zu stoppen, müssen daher endlich die realen Zahlen auf den Tisch - und nicht irgendwelche Platzhalter, die mit der Realität von Großbauprojekten und damit verbundenen Kostensteigerungen nichts zu tun haben.

Mit genügend Rückenwind durch ein entsprechendes Wahlergebnis werden wir gleich nach der Bundestagswahl die Offenlegung der Zahlen verlangen. Wenn diese Kosten und Risiken öffentlich werden, wird es eine erneute Debatte geben, ob man sich angesichts der hohen Staatsverschuldung so unsinnige und teure Projekte leisten kann, ohne bei anderen, allerdings wesentlich wichtigeren und sinnvolleren Zukunftsinvestitionen - wie etwa im Bildungsbereich - extrem zu kürzen. Wenn neue, von der bisherigen Kostenrechnung nicht abgedeckte Risiken auftreten, dann kann das Projekt noch gekippt werden - das muss aber bis Ende 2009 geschehen. Deshalb spielt die Bundestagswahl auch für Stuttgart 21 bzw. die Beendigung dieses unsinnigen Projekts eine große Rolle. Im Falle meiner Wahl in den Bundestag werde ich mit der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen nach der Bundestagswahl ganz sicher einen entsprechenden Vorstoß machen!

Ich wünsche Ihnen für Ihre berufliche und private Zukunft alles Gute und verbleibe

mit besten Grüßen

Cem Özdemir

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