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Bettina Hagedorn
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Frage von Reinhard B. •

Frage an Bettina Hagedorn von Reinhard B. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrte Frau Hagedorn,

mit grosser Sorge beobachten meine Familie und ich,die immer neuen Rettungspakete und die damit verbundene Haftungsausweitung und Risiken fuer die deutschen Steuerzahler und Sparer. Der Euro wurde seinerzeit aus politischen Gruenden mit vielen Geburtsfehlern geschaffen und Bedenken von namhaften Fachleuten zur Seit geschoben.
Diese eingebauten Bruchstellen zeigen sich nun und muessen teuer geflickt werden. Was wir in Deutschland meiner Ansicht nach brauchen ist eine offene ehrliche Diskussion, die auch Handlungsalternativen mit einbezieht. Wenn wir jetzt immer wieder hoeren unser Handeln ist alternativlos, dann ist das ein Armutszeugnis fuer die politischen Entscheidungen der Vergangenheit. Soweit haette es nie kommen duerfen!
Aus diesem Grunde begruesse ich auch die Initiative der Wirtschaftwissenschaftler unter Hern Sinn. Leider war von Ihrer Partei und von den anderen Oppositionsparteien wenig Konstruktives zu hoeren.
Tief besorgt bin ich auch ueber die zunehmende Erosion unser demokratischen Prinzipien. Abgeordnete muessen in kurzester Zeit ohne ausfuehrliche Debatte ueber einen Gesetzestext abstimmen, der noch viele Luecken aufweist. Darueber hinaus werden zur gleichen Zeit die zur Abstimmung stehenden Gesetze neu verhandelt. Opposition und Regierung sind sich weitesgehend einig. Man hat den Eindruck, der Buerger soll moeglichst schnell und ohne Debatte vor vollendete Tasachen gestellt werden. Das Bundesverfassungsgericht wird von Politikern und Witschaftswissenschaftlern bedraengt.
Dies sind alles Dinge, die zur grosser Sorge Anlass geben. Ich bin fuer ein neues Fundament, einem Neuanfang z. B. mit einer Kern-Eurozone und bin dafuer auch bereit, fuer ein paar Jahre meinen Guertel enger zu schnallen. Wir werden es so oder so muessen. Ich kann nur hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht letztendlich diesen Wahnsinn stoppt.

Bitte begruenden Sie mir Ihr Abstimmungsverhalten zur Griechenlandrettung und zum ESM.

MFG, R. Buchwald

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Buchwald,

vielen Dank für Ihre Frage zur aktuellen Finanzkrise in Europa. Zunächst möchte ich mich dafür entschuldigen, dass ich auf Ihre Frage vom 6. Juli erst heute antworte. Dafür gibt es einen sehr persönlichen Grund: Ich bin seit Jahren für meine Eltern vorsorgeberechtigt und mein Vater ist im Juni verstorben. Monatelang standen darum neben meiner Arbeit vor allem er und nach seinem Tod meine psychisch und gesundheitlich sehr beeinträchtigte Mutter im Zentrum meines Alltags - es gab natürlich auch viele Angelegenheiten, die ich deshalb für sie zu regeln hatte, weswegen sich diverse Briefe und Mails in meinen Büros unerledigt stapelten. Ab September kamen für mich als stellvertretende Sprecherin des SPD-Bundestagsfraktion im Haushaltsausschuss die wochenlangen Haushaltsberatungen und zusätzlich die regelmäßigen Beratungen zur Eurokrise, und ich habe es einfach nicht geschafft, alle liegen gebliebenen Vorgänge aufzuarbeiten. Dafür bitte ich um Verständnis.

Ich habe am 29. Juni 2012 dem ESM-Vertrag und dem Fiskalpakt im Bundestag zugestimmt und ebenso der "Nachbesserung" des Griechenland-II-Paketes am 30. November 2012, wenn auch zuletzt - wie den Medien zu entnehmen war - mit großen Bauchschmerzen innerhalb der gesamten SPD-Fraktion. Warum die "Bauchschmerzen"?

Ich bin seit nunmehr über zehn Jahren Mitglied im Haushaltsausschuss des Bundestages, der seit vier Jahren federführend für die Euro- und Finanzkrise zuständig ist. Als stellvertretende haushaltspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion sehe ich diese Themen - die EFSF, den ESM, den Fiskalpakt sowie die Debatten und Entscheidungen bei den zu bewilligenden Tranchen für Griechenland, Portugal und Irland - in Berlin u.a. als meine Schwerpunkt-Arbeitsgebiete an. Ich habe in unzähligen Sachverständigenanhörungen des Haushaltsausschusses in den letzten 4 Jahren viele namhafte Experten in intensiven Befragungen erlebt und dabei auch viele Male den Wirtschaftswissenschaftler Sinn "live" argumentieren gehört, der meist auf Einladung der FDP kam. Im Gegensatz zu Ihnen muss ich gestehen, dass er zu genau den Sachverständigen gehört, mit denen ich absolut gar nicht übereinstimme. Ich halte auch das Gerede von einer "Kerneuropa-Zone" für falsch und schädlich. In einem Punkt stimme ich Ihnen allerdings zu: bei der Euro-Einführung unter Helmut Kohl hat es ein paar "Geburtsfehler" gegeben, die ich ihm allerdings weder vorwerfe noch hilft es uns heute weiter, darüber zu lamentieren. Wahr ist auch Ihre Feststellung, dass es viele Gründe gibt, die zur Besorgnis Anlass geben. Denn weil ich mich auf offiziellen Delegationsreisen des Haushaltsausschusses nicht nur 2012 in Athen, Lissabon, Madrid und Brüssel im Gespräch mit Abgeordneten, Ministerien, Gewerkschaften, Sozialversicherungsträgern und Zentralbanken "schlau" gemacht habe, muss ich leider feststellen: Die bis jetzt in Abstimmung mit der Troika getroffenen Maßnahmen in Griechenland haben leider noch nicht zur Stabilisierung geführt. Die Rezession der griechischen Wirtschaft ist fatalerweise nicht gestoppt, die Arbeitslosigkeit steigt weiter, die Armut breitet sich aus. Der Schuldenberg wächst unaufhörlich.

Gleichzeitig ist von vielen anerkannt, dass Griechenland zwar die härtesten Maßnahmen beschlossen und bereits in Teilen umgesetzt hat, die je ein europäischer Staat ergriffen hat - dennoch gibt es für die Menschen in Griechenland kaum Licht am Ende des Tunnels. Als ich im Dezember 2010 in offizieller Mission in Athen war und im griechischen Parlament Herrn Strauss-Kahn lauschte, während er die Reform-Rezeptur der Troika vorstellte und schon die ersten Barrikaden brannten, da notierte ich in meinem offiziellen Bericht deutliche Zweifel, ob die Analysen und Reformmaßnahmen für Griechenland in dem beschlossenen Zeitraum überhaupt umsetzbar sein würden. Ich glaube nicht, dass es den Griechen an Reformbereitschaft fehlt, auch nicht an der Bereitschaft, "den Gürtel enger zu schnallen" oder am Willen, Mitglied der EU zu bleiben - aber Fakt ist, dass der Staatsapparat in Athen so verkrustet ist, dass Vetternwirtschaft und Korruption seit langer Zeit blühen, dass wenige Familien die Politikszene beherrschen und eine reiche Clique in Politik, Wirtschaft und Finanzwesen vorrangig das eigene Wohl sucht - dass es von vornherein naiv war zu glauben, dass Griechenland 2014 eigenständig an die Kreditmärkte zurückkehren könnte. Das aber war das erklärte Ziel der Troika aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und dem Internationalen Währungsfonds und die Zusage der Regierung Merkel an die deutsche Bevölkerung und genau mit dieser Aussage wurde der Öffentlichkeit von Anfang an "Sand in die Augen gestreut".

Der aktuelle Bericht der Troika listet detailliert auf, welche der im Februar 2012 auf europäischer Ebene für Griechenland vereinbarten Maßnahmen verwirklicht wurden - und bescheinigt Griechenland die Umsetzung ALLER 72 Punkte. Darunter sind massive soziale Eingriffe, etwa die Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre ab 2013 (in Deutschland ab 2029!), die Entlassung von Angestellten der öffentlichen Verwaltung und deutliche Einschnitte beim Kündigungsschutz - um nur drei Maßnahmen zu nennen. Fakt ist: Die Finanzhilfe für Griechenland in dieser Situation im Parlament abzulehnen hätte bedeutet, dass Europa jede Glaubwürdigkeit verloren hätte. Es geht eben nicht, Griechenland erst Auflagen zu machen und dann, wenn diese Auflagen unter größten Anstrengungen und Entbehrungen erbracht werden, die zugesagte Unterstützung zu versagen. Das wäre unverantwortlich und das Ende der europäischen Integration.

Aber klar ist: Die Maßnahmen reichen für eine langfristige Konsolidierung nicht aus. Es reicht NICHT, im Sozial-, Renten- und Gesundheitsbereich einschneidende Maßnahmen durchzuführen, wenn die europäischen Finanzminister nicht gleichzeitig energisch dafür sorgen, eine wirksame Kapitalflucht aus Griechenland zu verhindern, das aus dem Land geschaffte Vermögen einzufrieren und die Vermögenden in größerem Umfang an den Konsolidierungsmaßnahmen in Griechenland zu beteiligen. Anders als CDU/CSU und FDP halten wir Sozialdemokraten eine solche Beteiligung der Oberschicht wie auch der Banken an den finanziellen Folgen der Krise sowohl gegenüber der griechischen wie auch der deutschen Bevölkerung für unerlässlich und erwarten eine derartige Initiative von der Bundesregierung - bislang leider vergeblich!

Ebenso ist es eine zentrale Frage von Gerechtigkeit, dass die EU-Politik den Finanzsektor als Krisenverursacher konsequenter an den Konsolidierungsmaßnahmen beteiligt, anstatt alles beim europäischen Steuerzahler "abzuladen" - ein wichtiger Unterschied zwischen unserer Position und der der Regierung. Zentrale Beispiele für die Finanzierung der Krisenkosten, an denen die Banken in hohem Maße mitverantwortlich sind, sind die Einführung der Finanztransaktionssteuer und eine konsequente Bankenabgabe.

Bei der Bankenabgabe hat Schwarz-Gelb eher einen "Rettungsschirm" für systemrelevante Banken aufgespannt, als sie an der erforderlichen milliardenschweren Vorsorge beim Bankenfond heranzuziehen: Die nationale Bankenabgabe von Schwarz-Gelb hat z.B. 2011 anstelle von - laut regierungseigenen Prognosen - 1,3 Mrd. Euro trotz Rekordgewinnen der Banken weniger als die Hälfte eingebracht. Viel zu wenig, um die Risiken eines Zusammenbruchs großer, systemrelevanter Banken abdecken zu können! Darum fordert die SPD mit Peer Steinbrück einen europäischen Bankenfonds, der über ausreichend Mittel für die Rekapitalisierung, Restrukturierung und geordnete Abwicklung von systemrelevanten Banken verfügen muss. Dieser Bankenfonds muss nicht von den Staaten bzw. Steuerzahlern, sondern eben von den Banken mit einer Bankenabgabe finanziert werden, deren Höhe sich nach der Systemrelevanz und dem Risikoprofil der Banken richtet und nicht nur nach der Bilanzsumme wie bisher. Durch diese "Besteuerung" der Systemrelevanz würde auch das "Erpressungspotenzial" der Banken auf die Politik wirksam verringert.

Besonders bitter: Bereits seit Jahren fordert die SPD die Einführung der Finanztransaktionssteuer - also eine Umsatzbesteuerung von Finanzgeschäften, die einerseits Spekulanten zur Steuer heranzieht und gleichzeitig öffentliche Einnahmen erbringt, mit denen Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit und zur Ankurbelung von wichtigen Investitionen finanziert werden können. Und genau dieses - nämlich die Einführung der Finanztransaktionssteuer im Euroraum ebenso wie die Verabschiedung von Wachstumsprogrammen und Maßnahmen für Jugendarbeitslosigkeit in Europa - hat der Bundestag auf Initiative von SPD und Grünen im Juni 2012 beschlossen, als die Regierung eine Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag für den Fiskalpakt brauchte ... nur: In Brüssel Initiative ergriffen hat Frau Merkel seitdem leider trotzdem nicht.

Ausführlich dargestellt sind beide Instrumente zur Sicherstellung einer gerechten Neuverteilung der Lasten in der Finanz- und Wirtschaftskrise in Europa von Peer Steinbrück in seinem aktuellen Konzept "Vertrauen zurückgewinnen: Ein neuer Anlauf zur Bändigung der Finanzmärkte". Es enthält eine Reihe detaillierter und richtungsweisender Vorschläge zur Regulierung des Finanzsektors, ohne die eine nachhaltige Lösung der Krise nicht möglich sein wird. Aber auch bei diesem Thema: schwarz-gelbe Tatenlosigkeit!

Unsere Vorschläge zur Bankenabgabe und Finanztransaktionssteuer machen klar: Die SPD schlägt als Gegenfinanzierung für die erkennbaren Lasten KEINE Einschnitte in unserem nationalen Haushalt vor - was angesichts der notwendigen zusätzlichen Investitionen für Bildung, für eine aktive Arbeitsmarktpolitik angesichts des wachsenden Fachkräftemangels, für Vorsorge für den demografischen Wandel bei Pflege und Gesundheit und für die Herausforderungen der Energiewende bei gleichzeitiger Einhaltung der Schuldenbremse auch schlicht unmöglich sein wird. Nein, diese Belastungen aus der Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise in Europa müssen durch Mehreinnahmen aus der Finanztransaktionssteuer oder aus verursachergerechten Abgaben wie der europäischen Bankenabgabe kommen. Indem die schwarz-gelbe Bundesregierung gemeinsam mit anderen neo-liberalen Regierungen in Europa diese Finanzierungspotenziale missachtet, betreibt sie eine Klientelpolitik zugunsten der Krisenverursacher und zulasten der Steuer- und Beitragszahler in Deutschland wie in Europa insgesamt. Allein die verschleppte Einführung der Finanztransaktionssteuer schlägt im Bundeshaushalt und im Finanzplan - gemäß den eigenen Zahlen der Regierung - mit minus 2 Mrd. Euro pro Jahr zu Buche. Diese Geld fehlt uns bereits seit 2011 jedes Jahr im Haushalt.

Kanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble ergreifen also keine der erforderlichen Maßnahmen zur sozialen Balance in Europa bei der Refinanzierung der Kosten der Eurokrise - aber darf man deshalb als deutsche Opposition "Nein" zur Unterstützung der Griechen sagen? Das gilt umso mehr, als die Lösung der Probleme in Europa ganz vorrangig auch im ureigensten Interesse Deutschlands sind - uns kann es als Exportnation nur gut gehen, wenn es auch unseren europäischen Nachbarn gut geht! Und deshalb habe ich auch am 30. November - trotz aller "Bauchschmerzen" - mit JA gestimmt.

Sie haben recht, dass dem Bundestag oft nicht ausreichend Zeit für eine angemessene Debatte bleibt. Schwarz-Gelb hat bei der jüngsten Abstimmung über die Griechenland-Hilfe am 30. November 2012 einen völlig unangemessenen Zeitdruck entwickelt, der eine umfassende, sorgfältige Debatte unmöglich gemacht hat - und unmöglich machen sollte, denn Ziel der Kanzlerin war, ihre "Krönungsmesse" auf dem CDU-Parteitag nicht durch strittige, unpopuläre Diskussionen zum Griechenlandprogramm zu gefährden. Der Bundestag hätte sich MEHR Zeit nehmen können, denn erst zum 10. Dezember wurde eindeutig erkennbar, dass das Schuldenrückkaufprogramm der Griechen am Finanzmarkt erfolgreich ist - dieses war allerdings die Vorbedingung des Internationalen Währungsfonds dafür, ob sich dieser in der zugesagten Höhe überhaupt an der Aufstockung des Griechenland-II-Paketes beteiligt. Insofern wäre es vernünftig gewesen, die Tendenz dieses zentralen "Programmbausteines" und damit die wichtige Frage, ob der IWF "im Boot bleibt", abzuwarten. Zwar hat Schwarz-Gelb die Abstimmung im Bundestag immerhin auf Druck der SPD vom 29. auf den 30. November verschoben. Das war aber - wenn man ehrlich ist - objektiv nicht ausreichend.

Zur Erinnerung: am 19.11. führte der Haushaltsausschuss eine mehrstündige Expertenanhörung zum komplexen Thema "Umsetzung des Fiskalpaketes" durch - einen Tag später wurde das schwergewichtige Thema schon abschließend im Bundestag abgestimmt. Bereits einen Tag darauf beschäftigten sich die Fraktionen in Berlin in Sondersitzungen mit der "Griechenlandhilfe" - aber genaue Informationen gab es nicht wegen der Hängepartie auf EU-Ebene, für die auch Finanzminister Schäuble verantwortlich war. Parallel debattierte der Bundestag den Bundeshaushalt 2013, der NULL Vorsorge für das kommende Jahr für diese Griechenlandhilfe vorsah, obwohl es längst "die Spatzen von den Dächern pfiffen", dass (nicht nur) die Griechenlandhilfe 2013 den Bundeshalt milliardenschwer belasten würde. Ein Haushalt der Wahrheit und Klarheit?

Erfolglos forderte die SPD damals, die Schlussabstimmung über den Bundeshaushalt am 23. November deswegen um maximal eine Woche zu vertagen - Peer Steinbrück wörtlich am 21.11. im Bundestag: "Alles kostet Geld. Alles betrifft diesen Bundeshaushalt. Deshalb wäre es angemessen, dass Sie bei diesen Unwägbarkeiten die Verabschiedung dieses Haushaltsentwurfes so lange verschieben, bis in Europa Klarheit ist." Aber Pustekuchen!

Am 23. November abends - wenige Stunden nach der Schlussabstimmung über den Bundeshaushalt 2013 - nahm ich eineinhalb Stunden an einer Telefonschaltkonferenz des Finanzministeriums wegen der Griechenlandhilfen teil. Schon da war klar: Die Abstimmungen in Brüssel und die Übermittlung der Unterlagen in deutscher Sprache an den Haushaltsausschuss würden vermutlich eine Sondersitzung des Haushaltsausschusses zu diesem Thema am 29.11. notwendig machen. Es kam wie gedacht: Die Beschlüsse der Euro-Gruppe standen erst in der Nacht auf den 27. November fest - die mehrere Zentimeter dicken Unterlagen dazu "trudelten" im Laufe des 28.11. ein. Der Haushaltsausschuss tagte zu dem Thema ab 14 Uhr, der Troika-Bericht erreichte die Abgeordneten in deutscher Sprache um 12.42 Uhr, das neu gefasste Memorandum of Unterstanding erreicht die Haushälter als Tischvorlage (!) während der Sitzung - wohlgemerkt: eine extrem umfangreiche Vorlage. Nach dem Zeitplan von Schwarz-Gelb sollte der Bundestag dennoch am 29.11. abstimmen - ein Hohn nicht nur angesichts der jüngsten Verfassungsgerichtsurteile! Der eine Tag Aufschub, den die SPD erreichen konnte, war hilfreich - mehr nicht!

Angesichts dieser (überprüfbaren!) Tatsachen ist es vielleicht nachvollziehbar, dass der Unmut innerhalb der SPD-Fraktion - und auch bei mir ganz persönlich - bei der Abstimmung im Bundestag enorm war. Aber sollten wir den Griechen wider besseren Wissens die Solidarität verweigern, nur weil Schwarz-Gelb erneut die solide und gewissenhafte parlamentarische Beratung ad absurdum geführt hatte? Klar ist: Kein Land in Europa würde absehbar unter einem Scheitern Griechenlands oder anderer europäischer Nachbarn so leiden wie die Exportnation Deutschland, die immer noch den größten Teil ihrer Exporte innerhalb Europas vertreibt. Davon hängen ganze Branchen und Betriebe ab - mit zahllosen Arbeitsplätzen.

Bestürzend klar ist: Nur eine Woche, nachdem Schwarz-Gelb trotz aller Bedenken im Eiltempo den Haushalt 2013 wider besseres Wissen mit NULL Belastung angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise beschlossen hat, müssen (absehbar!) durch Zinssenkungen und Laufzeitverlängerungen für Darlehen auf europäischer Ebene nachträglich außerplanmäßige Ausgaben in Höhe von 600 Mio. Euro 2013 und Verpflichtungen für 2014 in Höhe von 530 Mio. Euro in den Haushalt einkalkuliert werden - aber im Bundeshaushalt steht nicht ein einziger Cent von diesen knapp 1,2 Mrd. Euro! Von 2013 bis 2020 werden sich diese Belastungen vorhersehbar auf mindestens 2,74 Mrd. Euro auftürmen.

Auch heute sind die Krisen in Griechenland, Spanien und Portugal noch längst nicht ausgestanden, die "Ansteckungsgefahr" auf weitere Länder bleibt latent und es ist schwer abzuschätzen, ob oder wann wieder Handlungsbedarf in den Ländern besteht. Im Haushaltsausschuss werden wir eine erneute Überprüfung der griechischen Reformpolitik durch die Troika ab Ende des 1. Quartals 2013 diskutieren. Dann wird wieder evaluiert, wie erfolgreich die griechische Regierung auf ihrem Weg zu soliden Staatsfinanzen war. Aber bis dahin steht zu befürchten, dass wir uns mit der Situation in Zypern und Spanien werden beschäftigen müssen - und nach dem Rücktritt der Regierung Monti und der beabsichtigten Rückkehr des kriminellen Populisten Berlusconi an die Macht in Italien, der sich durch einen europafeindlichen, nationalistischen Kurs zu profilieren sucht, sind auch für Italien zunehmende Probleme zu befürchten.

Bitter ist, dass wir im Bundestag in den vergangenen Jahren immer wieder die Erfahrung machen mussten, dass diese Bundesregierung wichtige europäische Entscheidungen nach dem Terminkalender von Wahlen trifft - beim ersten Hilfspaket für Griechenland hieß es im Bundestag 2010 von Schwarz-Gelb noch kurz vor der NRW-Wahl: "Kein weiterer Cent für Griechenland"! Diese Botschaft war schon wenige Tage später - NACH der NRW-Wahl - Makulatur. Diese "Salamitaktik" war schon damals ebenso falsch wie es auch heute populistisch ist, einen weiteren Schuldenschnitt für Griechenland (den der International Währungsfonds als wichtiges Troika-Mitglied und Finanzier fordert) brüsk abzulehnen - reine Verzögerungstaktik der Bundesregierung angesichts der nahenden Wahlen in Niedersachsen, Bayern und für den Bundestag. Jeder weiß: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ein Schuldenschnitt für Griechenland unausweichlich sein wird - die Regierung hofft auf "den Tag der Wahrheit" NACH der Bundestagswahl.

Ich hoffe, Ihnen mit dieser ausführlichen Antwort gedient zu haben. Mit den besten Wünschen für eine frohe Weihnachtszeit und einen guten "Rutsch" ins neue Jahr verbleibe ich mit freundlichen Grüßen

Bettina Hagedorn

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