Bernd Rützel
Bernd Rützel
SPD
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Frage von Ernst V. •

Frage an Bernd Rützel von Ernst V.

Sehr geehrter Herr Rützel,

danke für Ihre schnelle Antwort.

Folgende Frage bleibt jedoch bestehen:
Kann die Bundesregierung weiter Gelder freigeben IWF, obwohl der Bundestagsbeschluß anderes impliziert, ist das rechtlich möglich?
Andere Fragen stellen sich nach Ihrer Antwort:
Woran machen Sie fest dass Deutschland „mehr wie jedes andere Land“ vom Euro profitiert? Meiner Meinung nach sieht das anders aus:
- die Einkommen der deutschen Bevölkerung haben sich seit Einführung des Euro nur in Österreich. Irland und Italien schlechter entwickelt als in Deutschland (UBS-Studie)
- das Nettovermögen der deutschen Haushalte ist das niedrigste der Euro-Staaten (EZB-Studie),
- das deutsche Wirtschaftswachstum 2000-2016 ist mit 1,2% unterdurchschnittlich (EU-Schnittt 1,3%) http://wko.at/statistik/eu/europa-wirtschaftswachstum.pdf
- der Rückgang der Exporte in die Länder der heutigen Eurozone beträgt mehr als 27% (Rückgang von 46,5% 1999 auf 36,4% 2015 an den Gesamtexporten) de.statista.com.

Dem gegenüber stehen eingegangene Risiken von immensem Ausmaß (310, lt. Schäuble 2013, bis 900 Milliarden., wallstreet-online.de 08.05.2012, inzwischen wohl erheblich höher)

Sie argumentieren weiter:
„Die Kosten eines Ausstiegs Griechenlands aus der Eurozone wären für die deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler immens hoch, die politischen Folgen für die gesamte EU nicht absehbar.“
Warum sollte der Austritt eines Netto-Empfängers mit 11 Millionen Einwohnern und geringer Wirtschaftskraft gravierender sein als der Austritt eines Netto-Zahlers mit 64 Millionen Einwohnern und der zweitgrößten Wirtschaftskraft in der EU?
Wenn dem so wäre ist das nicht die Folge der Rettungspolitik der Bundesregierung, die in großem Umfang Risiken die bei privaten Gläubigern, vor allem bei französischen Banken
mit ihren griechischen Töchtern (spiegel 26.06.2011) lagen, übernommen hat?
Vielen Dank.

Mit freundlichen Grüßen
Ernst Vogtmann

Bernd Rützel
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Vogtmann,

vielen Dank für Ihre erneute Nachfrage.

In meiner Überzeugung, dass Deutschland so stark vom EU-Binnenmarkt profitiert wie kaum ein anderes Land, werde ich von zahlreichen Studien bestätigt. Nach Berechnungen der Prognos AG im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung ließ das Zusammenwachsen Europas das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Deutschland zwischen 1992 und 2012 in jedem Jahr um durchschnittlich 37 Milliarden Euro steigen.

Das entspricht einem jährlichen Einkommensgewinn von 450 Euro pro Einwohner. Nur Dänemark (plus 500 Euro pro Kopf) hat in diesem Zeitrahmen höhere Zuwächse erzielt.

Die deutsche Exportwirtschaft ist auf den gemeinsamen europäischen Binnenmarkt angewiesen, da inzwischen fast jeder vierte Arbeitsplatz direkt oder indirekt vom Export abhängt. Wenn Sie darauf verweisen, dass die deutschen Ausfuhren in Länder außerhalb der Euro-Zone ebenfalls deutlich zunahmen, haben Sie Recht. Dies ist jedoch kein Argument gegen den beträchtlichen Euro-Stimulus. Von Großbritannien und Schweden abgesehen liegen fast alle EU-Staaten mit eigener Währung in Osteuropa. Und die Ausfuhren in Drittländer gingen in beträchtlichem Umfang in Boom-Staaten wie China und Indien.

Man kann also sagen: Dank des Euro hat es die deutsche Wirtschaft geschafft, den Handel mit etablierten Industriestaaten ähnlich rasant auszubauen wie mit den Schwellenländern. Das ist ein beträchtlicher Erfolg.

Ich denke allerdings nicht, dass es unserem gegenseitigen Verständnis dient, wenn wir einander möglichst viele Zahlen und Studien präsentieren. So berücksichtigt beispielsweise die von Ihnen zitierte EZB-Studie zum Netto-Haushaltsvermögen gar nicht alle Vermögensansprüche. Das gilt etwa für Ansprüche gegenüber der gesetzlichen Sozialversicherung, die in Deutschland einen hohen Stellenwert hat, oder auch die staatlich finanzierte Bildung an Schulen und Hochschulen.

In diesem Zusammenhang sorgt mich sehr viel mehr die ungleiche Verteilung von Vermögen in Deutschland als der Vergleich mit anderen Ländern Europas.

Kurz möchte ich noch zu den von Ihnen angesprochenen finanziellen Risiken durch die Kredite an Griechenland schreiben. Wenn Griechenland die Kredite bedienen kann, sind sie für Deutschland sogar ein gutes Geschäft: Vereinfacht formuliert leiht sich der deutsche Finanzminister an den Märkten Geld für zwei Prozent und reicht es für fünf Prozent weiter. Derzeit kann Deutschland sich sogar Geld für Minuszinsen leihen. Das bedeutet, dass wir noch Geld für geliehenes Geld bekommen.

Aus diesen und vielen anderen Gründen ist mir der Kampf gegen ein Auseinanderreißen der Euro-Zone weiterhin ein unvermindert hohes Anliegen. Der geordnete Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union, den ich sehr bedauere, hat damit erst einmal nichts zu tun.

Freundliche Grüße
Bernd Rützel

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