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Beate Müller-Gemmeke
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Karl G. •

Frage an Beate Müller-Gemmeke von Karl G. bezüglich Recht

Sehr geehrte Frau Beate Müller-Gemmeke,

Sie haben für das Verbot organisierter Sterbehilfe gestimmt, obwohl rechtliche Bedenken bestehen (Strafrechtsprofessoren, wissenschaftl. Dienst des Bundestags, Bundesjustitzministerium).
Welche Argumente haben Sie veranlasst, diese Bedenken zu übergehen?

Mit freundlichen Grüssen

Karl Grass

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Grass,

ich danke Ihnen für die Anfrage und möchte sie gerne beantworten.

Je vielschichtiger ein Gesetz ist, desto strittiger sind auch die Diskussionen darüber. Bei dem Gesetz zur Sterbehilfe ging es um juristische Fragen, aber ganz zentral auch um persönliche Haltungen. Wir haben als Fraktion Bündnis 90/Die Grünen lange und immer wieder über einen langen Zeitraum die unterschiedlichen Gesetzesentwürfe diskutiert. Ich selbst habe mich intensiv mit den jeweiligen Argumenten auseinander gesetzt und die Vor- und Nachteile abgewogen.

Ich stimme Ihnen insofern zu, dass es zu allen vier Gesetzesentwürfen rechtliche Bedenken von Expert*innen gibt. Gleichzeitig gibt es aber auch zu denselben Entwürfen Befürworter*innen. Jedes vom Bundestag verabschiedete Gesetz wird rechtlich ausgelegt und diese rechtliche Auslegung ist oftmals umstritten. Deshalb liegt es in der Verantwortung jedes und jeder Abgeordneten, einen umfassenden Einblick in die Argumente zu gewinnen, und am Ende müssen wir entscheiden.

Ich habe mich für den Gesetzesentwurf der Abgeordnete Michael Brand (CDU), Kerstin Griese (SPD), Kathrin Vogler (Die Linke) und Dr. Harald Terpe (Bündnis 90/Die Grünen) entschieden, weil mich dieser am Ende meines Abwägungsprozesses am meisten überzeugt hat. Er stellt die geschäftsmäßige Suizidhilfe unter Strafe, lässt der behandelnden Ärzteschaft aber gleichzeitig den nötigen Freiraum für ethisch begründete Gewissensentscheidungen.

In erster Linie richten sich die rechtlichen Bedenken gegen die Bestimmtheit des Begriffs „geschäftsmäßig“. Nach dem Entwurf Brand/Griese wird die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung bestraft. Geschäftsmäßig handelt, wer mit Gewinnerzielungsabsicht wiederholt die Selbsttötung fördert. Ich halte diese Definition für ausreichend. Sie macht klar, wer gemeint ist und schützt die behandelnden Ärzte ausreichend. So sehen das beispielsweise auch die Bundesärztekammer und Palliativmediziner.

Darüber hinaus hat die Bundestagsdebatte deutlich gemacht, um was es den Befürworter*innen von Brand/Griese geht, nämlich die organisierte Sterbehilfe zu verbieten und dem Geschäft mit dem Tod wirksam entgegen zu treten. Ich möchte, dass Menschen selbstbestimmt sterben können. Das ist für mich selbstverständlich, und deshalb bleibt die Sterbehilfe auch grundsätzlich straffrei. Ich bin aber davon überzeugt, dass neben dem Argument der Selbstbestimmung auch andere Gründe ausschlaggebend sind für den Wunsch nach Sterbehilfe.
Viele Menschen haben Angst davor, nicht mehr selbstbestimmt leben zu können, abhängig zu sein von anderen Menschen, unter Schmerzen zu leiden, ein aus ihrer Sicht würdeloses Leben zu führen. Und häufig geht es auch gar nicht um die Schwerstkranken und Sterbenden, wenn es um die Sterbehilfe geht. Erschreckend häufig sind es Menschen mit psychischen Erkrankungen, vielfach solche mit Depressionen, die aus dem Leben scheiden wollen, und diese Gruppe wächst. Unsere Gesellschaft darf aber nicht so schwach sein, dass sie alten, kranken oder behinderten Menschen am Ende des Lebens nicht gerecht werden kann. Deshalb wäre für mich die organisierte Sterbehilfe eine politisch zutiefst deprimierende Antwort auf die berechtigten Sorgen und Ängste der Menschen. Denn bei diesem Thema geht es um die Würde des Menschen.

Als Staat können wir niemals alle Facetten des Sterbens regeln. Doch wir können als Gesetzgeber klar machen, dass wir den assistierten Suizid als frei verfügbares Dienstleistungsangebot nicht wollen. Das macht der verabschiedete Brandt/Griese-Entwurf deutlich, und deswegen habe ich mich für ihn entschieden. Politik und Gesellschaft müssen in der Lage sein, menschenwürdige Pflege, Schmerzbehandlung, Unterstützung und Betreuung bis zum Lebensende zu garantieren. Das ist aus meiner Sicht die Aufgabe der Politik.

Mit freundlichen Grüßen,

Beate Müller-Gemmeke

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