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Frage von Thomas D. •

Frage an Axel Berg von Thomas D. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Herr Dr. Berg,
anknüpfend an Ihre Antwort an Herrn Ott möchte ich eine weitere Frage stellen. Sie schreiben "Der kommerziellen Verbreitung über das Internet darf nicht tatenlos zugesehen werden". Warum passiert aber genau das?
Alvar Freude vom AK Zensur hat heute innerhalb von 12 Stunden 60 kinderpornographische Seiten löschen (nicht: verstecken) lassen.
Siehe http://ak-zensur.de/2009/05/loeschen-funktioniert.html

Wieso wird dies nicht von den LKAs oder dem BKA durchgeführt?

mit freundlichen Grüßen
Thomas Demmer

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Sehr geehrter Herr Demmer,

vielen Dank für Ihr Schreiben vom 27. Mai zum Gesetz zur Bekämpfung der Kinderpornographie in Kommunikationsnetzen, das am 18. Juni 2009 vom Bundestag beschlossen wurde (Drucksache 16/12850). Gerne beziehe ich hierzu Stellung.

Da ich auf abgeordnetenwatch.de drei Anfragen zu der Thematik erhalten habe, erlaube ich mir mit dem gleichen Schreiben zu antworten, das entsprechend der jeweiligen Anfrage ggf. um spezielle Aspekte ergänzt wird.

Der Kampf gegen Kinderpornographie insgesamt beinhaltet eine weites Spektrum von Maßnahmen, das von einer effektiven Strafverfolgung bis hin zu einer Förderung von Hilfs- und Beratungsangeboten reicht. Das verabschiedete Gesetz adressiert einen Teilaspekt des Problems, nämlich die zunehmende Verbreitung von kinderpornographischem Inhalten im Internet. Dort können rechtswidrige Inhalte schnell verbreitet und anonym sowie ohne soziale Kontrolle konsumiert werden. Die Bekämpfung der Verbreitung von Kinderpornographie im Internet ist deshalb ein wichtiges Thema. Das dürfte weitgehend unbestritten sein.

Bereits nach heutiger Rechtslage werden Kinderpornographie-Seiten, die sich auf deutschen Servern befinden, von den Internetprovidern heruntergenommen. Ein solcher direkter Zugriff ist im Ausland nicht möglich. Nur deshalb stellte sich überhaupt die Frage nach Zugangssperren. Es geht hierbei aber nicht um eine Internetzensur - es geht um die Bekämpfung krimineller Handlungen in einem ganz speziellen Fall.

Mit dem Gesetz wird das Ziel verfolgt, den Zugang zu kinderpornographischen Inhalten zu erschweren. Es ist richtig, dass versierte Nutzer die Sperre technisch umgehen können. Es ist aber auch anzunehmen, dass sich ein Teil der Konsumenten davon abschrecken lassen wird. Es können vermutlich besonders diejenigen erreicht werden, die den Einstieg in den Konsum kinderpornographischer Inhalte suchen. Gerade sie sollen über die Umleitung auf die Stoppmeldung deutlich signalisiert bekommen, dass die Gesellschaft ein solches Verhalten nicht toleriert. Zumindest bei einem Teil der Betroffenen kann dies nach Einschätzung von Experten Wirkung zeigen. Dazu dient auch der Hinweis auf die Strafbarkeit des Verhaltens. Es kommt also darauf an, die Hemmschwelle, die an dieser Stelle in den letzten Jahren deutlich gesunken ist, wieder signifikant zu erhöhen.

In meinem Schreiben auf abgeordnetenwatch.de zum Thema Netzsperren vom 10. Mai hatte ich dargelegt, dass der Gesetzesentwurf zum damaligen Zeitpunkt offene Fragen ließ. Durch die von der SPD durchgesetzte Sachverständigenanhörung erhoffte ich mir eine Klärung dieser Fragen, um eine abschließende Erklärung treffen zu können. Ausschlaggebend war für mich insbesondere, dass das Gesetz rechtsstaatlichen Grundsätzen genüge und keinen unverhältnismäßigen Eingriffe in die Freiheitsrechte darstelle.

Nach der Sachverständigenanhörung gelang es der SPD-Fraktion in den Verhandlungen mit der Unionsfraktion durchzusetzen, dass der aus dem Wirtschaftministerium stammende extrem verbesserungswürdige Gesetzesentwurf wesentlich modifiziert und deutlich verbessert wurde. Mit diesen Änderungen wurde wesentlichen Forderungen des Bundesrates, der Sachverständigenanhörung und der Netz-Community Rechnung getragen. Dass es gelang, so viele Verbesserungen einzubringen, ist nicht zuletzt auch der überaus großen öffentlichen Kritik zu verdanken.

Der endgültige Beschluss hat insbesondere folgende Änderungen gebracht:

1. Verankerung des Subsidiaritätsprinzips: „Löschen vor Sperren“:
Die Regelung kodifiziert das Prinzip „Löschen vor Sperren“. Danach erfolgt die Aufnahme in die Sperrliste des BKA nur, so weit zulässige Maßnahmen, die auf eine Löschung der Internet-Seiten mit kinderpornographischen Inhalten abzielen, in angemessener Zeit keinen Erfolg haben. Ohne Zweifel ist Löschen deutlich wirkungsvoller als Sperren, da die Inhalte tatsächlich entfernt werden. Daher ist es sinnvoll und notwendig, dass das BKA zunächst alle zulässigen Maßnahmen zur Löschung kinderpornographischer Seiten ergreift. Sie verweisen in Ihrem Schreiben auf ein Experiment des AK Zensur bei dem ein Nutzer im Mai 2009 insgesamt 348 Provider anschrieb, deren Angebote auf den bekanntgewordenen europäischen Sperrlisten standen, und die Provider per E-Mail über die bei ihnen festgestellte Kinderpornographie informierte. Innerhalb der ersten zwölf Stunden nach dem Versand der Mail löschten zehn Provider freiwillig 60 Webauftritte. Als hoheitliche Behörde kann das BKA Provider im Ausland nicht direkt um die Löschung von einschlägigen Seiten ersuchen, sondern muss den Weg über die ausländischen Behörden gehen. Mit dem Verankern des Grundsatzes „Löschen vor Sperren“ trägt man aber dem Umstand Rechnung, dass Löschen die wirkungsvollere Maßnahme ist und wirkt Bedenken entgegen, dass die Verfolgung eines Sperransatzes die Bemühungen um eine Löschung der kinderpornographischen Angebote schwächen kann.

2. Kontrolle der BKA-Liste:
Die Neuregelung nimmt den Wunsch nach mehr Transparenz auf und etabliert ein unabhängiges Expertengremium beim Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit. Hiermit wird ein Anliegen der E-Petition aufgegriffen, da ein zentraler Kritikpunkt fehlende Kontrolle und Transparenz der BKA-Liste ist. Mit Blick auf die vornehmlich juristischen Aufgaben, nämlich zu bewerten, ob Inhalte die Voraussetzungen des § 184 b StGB erfüllen, muss die Mehrheit der Mitglieder des fünfköpfigen Gremiums die Befähigung zum Richteramt haben. Die Mitglieder sind berechtigt, die Sperrliste jederzeit einzusehen und zu überprüfen. Mindestens einmal im Quartal erfolgt zudem zusätzlich auf der Basis einer relevanten Anzahl von Stichproben eine Prüfung, ob die Einträge auf der Sperrliste den Voraussetzungen des § 1 Satz 1 StGB erfüllen. Sollte die Mehrheit des Gremiums zu der Auffassung kommen, dies sei nicht der Fall, hat das BKA den Eintrag bei der nächsten Aktualisierung von der Liste zu streichen.

3. Datenschutz:
Das Gesetz dient ausschließlich der Prävention. Verkehrs- und Nutzungsdaten, die aufgrund der Zugangserschwerung bei der Umleitung auf die Stopp-Meldung anfallen, dürfen nicht für Zwecke der Strafverfolgung verwendet werden. Damit wird auch ausgeschlossen, dass sich durch Spam-Mails fehlgeleitete NutzerInnen einem Ermittlungsverfahren ausgesetzt sehen könnten. Zudem ist keine Speicherung personenbezogener Daten bei den Internetprovidern mehr vorgesehen.

4. Spezialgesetzliche Regelung mit Befristung
Zur eindeutigen Klarstellung, dass nur eine Sperrung von Internet-Seiten mit Kinderpornographie ermöglicht wird, jedoch nicht von anderen Inhalten, werden die wesentlichen Änderungen in einem neuen speziellen Zugangserschwerungsgesetz anstatt im Telemediengesetz verankert. Zudem tritt das Gesetz automatisch zum 31. Dezember 2012 außer Kraft, so dass in jedem Falle die vorgesehene Evaluation auszuwerten ist, auf deren Basis endgültig entschieden werden kann.

Zusätzlich haben wir eine Bestimmung aufgenommen, die ausschließt, dass die neu geschaffene Infrastruktur zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche genutzt werden kann. Mit dieser Klarstellung wird der Befürchtung begegnet, dass Gerichte zukünftig aufgrund der durch das Sperrlistenverfahren nach diesem Gesetz vorhandenen technischen Infrastrukturen zu der Schlussfolgerung gelangen könnten, Zugangsvermittler seien auch im Hinblick auf andere Rechtsverletzungen (z.B. des geistigen Eigentums) zivilrechtlich zur Sperrung heranzuziehen.

Der zentrale Vorwurf gegen das Gesetz lautet, dass eine Infrastruktur geschaffen werde, die später auch zur Sperrung anderer, beliebiger Inhalte genutzt werden kann. Die Befürchtung ist angesichts einiger Äußerungen der letzten Wochen grundsätzlich nachvollziehbar. So waren Forderungen aus der Unionsfraktion bekannt geworden, die Sperren u.U. auch für Computerspiele, Glücksspiele, extremistische Inhalte oder gar Urheberrechtsverletzungen anzuwenden. Hinweise darauf finden sich nicht zuletzt prominent im Regierungsprogramm der Union.

Wie gerade beschrieben, wird durch die Formulierung als Spezialgesetz aber eindeutig klargestellt und geregelt, dass es sich ausschließlich um die Sperrung kinderpornographischer Seiten handelt und eine Ausweitung auf andere Inhalte und Ansprüche ausgeschlossen ist.

Ein zukünftiger Gesetzgeber wäre zwar in der Lage, die Sperren auf andere Bereiche auszuweiten, dies gilt jedoch auch unabhängig von diesem konkreten Gesetz. Die Reversibilität von Gesetzen durch den jeweils regierenden Souverän ist ein wesentlicher Bestandteil von Demokratie. Jeder neue Gesetzgeber kann also alle bestehenden Gesetze kippen. Sollte ein zukünftiger Gesetzgeber eine Ausweitung wollen, müsste ein Gesetzgebungsverfahren angestrengt werden. Dieser Prozess wird durch das vorliegende Gesetz nicht vereinfacht.

Unabhängig vom vorliegenden Gesetz war bzw. ist die technische Infrastruktur zur Sperrung von Internetseiten bereits im Aufbau. Verträge zwischen BKA und den größten Internet-Service-Providern in Deutschland verpflichten Letztere bereits, eine entsprechende Infrastruktur bereitzustellen und entsprechende Sperrungen in nächster Zeit vorzunehmen. Das heißt, dass gegenwärtig Mechanismen zur Sperrung etabliert werden, jedoch ohne dass diese Verträge einen hinreichenden Grundrechtsschutz und verfahrensrechtliche Sicherungen - wie etwa die Kontrolle der BKA-Liste durch ein unabhängiges Gremium - garantieren und deshalb höchst problematisch sind. Ich teile die Zweifel an der Rechtmäßigkeit solcher Verträge, da sie keinen hinreichenden Grundrechtsschutz gewährleisten. Bis es aber zu einer möglichen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in dieser Sache käme, wäre die Infrastruktur bereits in Betrieb, ohne dass es gleichzeitig hinreichende Schutzbestimmungen für die Internetnutzer gibt, die wir nun gesetzlich regeln.

Da mir Ihre grundsätzlichen Bedenken gegenüber diesem Gesetzes einleuchten, habe ich mich der persönlichen Erklärung gemäß § 31 GO-BT meiner Kollegin Monika Griefhahn angeschlossen, in der ich klarstelle, dass eine Ausweitung der Sperrinfrastruktur für andere Zwecke für mich grundsätzlich ausgeschlossen ist. Zudem weise ich dort auch auf die sich bereits im Aufbau befindliche Infrastruktur hin und die Notwendigkeit, derartige Verträge durch eine gesetzliche Grundlage abzuschwächen (die Erklärung finden Sie unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/16/16227.pdf (Anlage 15, S. 25327)).

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Axel Berg MdB