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Angelica Schwall-Düren
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Frage von Mario P. •

Frage an Angelica Schwall-Düren von Mario P. bezüglich Recht

Sehr geehrte Frau Dr. Schwall-Düren,
sie haben in der Abstimmung am 09.11.2007 für die Novellierung des TKG´s und die Änderung der StPO gestimmt.
In meiner Anfrage anfang dieses Jahres hatten sie zugesichert Zitat "...dass die SPD-Fraktion den Entwurf kritisch auf dessen Auswirkungen auf die grundgesetzlich verankerten Bürgerrechte prüfen wird."
Ihre Fraktionkollegin Frau Zypries und auch andere Befürworter der Novelle wurden nicht müde zu betonen, daß nur bei schweren Straftaten und dann mit richterlicher Erlaubnis ein Zugriff auf die Verbindsdaten gewährt wird. Dies wurde auf der Sitzung auch noch einmal betont.

Daher bitte ich um Stellungnahme zu folgenden Fragen:
1. Es wird immer nur vom § 100a StPO gesprochen. Wie ist § 100g StPO zu verstehen? Dies sind also auch schwere Straftaten und nicht wie im Gesetz geschrieben "erhebliche"?
Beispiel: § 100g StPO (1).2 spricht von einem Täter der "eine Straftat mittels Telekommunikation begangen hat", also z.B. StGB § 185 Beleidigung.
2. Nach TKG § 113b Abs.2 u. 3 soll Zugang zu diesen Verkehrsdaten
"2. zur Abwehr von erheblichen Gefahren für die öffent- liche Sicherheit oder
3. zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Verfas- sungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, des Bundesnachrichtendienstes und des Militärischen Abschirmdienstes"
gewährt werden. Diese staatlichen Organe benötigen ebenfalls einen richterlichen Beschluß?
3. Sind sie auch der Meinung, wie Herr Kauder, das Kritiker dieses Gesetzes "zündeln"?

Mit freundlichen Grüßen
Mario Peschke

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Peschke,

vielen Dank für Ihre E-Mail vom 12. November 2007, die ich über www.abgeordnetenwatch.de erhalten habe. Ich habe Ihnen zum Thema Überwachung der Telekommunikation bereits mit Datum vom 17. Januar 2007 geantwortet. Gerne lege ich Ihnen meine Haltung zur Novelle des Rechts zur Überwachung der Telekommunikation erneut dar.

Die am Freitag, 9. November 2007, beschlossene Reform hat die Eingrenzung der Telekommunikationsüberwachung zum Ziel. Auf der Grundlage einer rechtswissenschaftlichen Untersuchung des Max-Planck-Instituts sowie einer Studie der Universität Bielefeld hatte das Bundesjustizministerium in der vergangenen Legislaturperiode einen Entwurf vorbereitet. Dieser konnte aufgrund der vorzeitigen Auflösung des Bundestages im Herbst 2005 zunächst nicht weiterverfolgt werden. Wir, die SPD-Bundestagsfraktion als die Bundesministerin der Justiz, Brigitte Zypries, haben den Gesetzentwurf seit Anfang des Jahres kritisch geprüft. Eine Mehrheit der Koalition hat das Gesetz schließlich für notwendig und verhältnismäßig angesehen und beschlossen.

Bei der Vorratsdatenspeicherung geht es im Kern um die künftige Pflicht der Telekommunikationsunternehmen, Daten zu speichern. Es geht dagegen nicht um die Zulässigkeit des Zugriffs auf konkrete gespeicherte Daten – das ist eine mit dem Strafprozessrecht zu beantwortende Frage. Die bislang zu Rechnungszwecken gespeicherten Daten dürfen übrigens schon jetzt nach §§ 100g 100h StPO mit richterlichem Beschluss zur Strafverfolgung erfragt werden. Die künftig zu speichernden Daten sind im wesentlichen die Verkehrsdaten, die von den Unternehmen schon heute üblicherweise zu Abrechnungszwecken gespeichert werden, also genutzte Rufnummern und Kennungen, Uhrzeit und Datum der Verbindungen sowie – bei der Nutzung von Mobilfunkgeräten – die Standorte bei Beginn der Mobilfunkverbindung. Die EU-Richtlinie soll entsprechend den Vorgaben des Deutschen Bundestages nur mit der Mindestspeicherungsfrist von sechs Monaten umgesetzt werden. Dies ist ein vom Bundestag wirksam unterstützter Verhandlungserfolg der Regierung auf EU-Ebene, wo ursprünglich an längere Fristen gedacht worden war.

Zur ersten der von Ihnen angesprochenen und im Gesetz enthaltenen Hürden der zukünftigen Überwachung der Telekommunikation, dem § 100a Absätze 1 und 2 Strafprozessordnung (StPO):

Bestimmte Tatsachen müssen wie bisher den Verdacht einer schweren Straftat begründen. Neu ist, dass Straftaten, die im Höchstmaß mit weniger als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind, aus dem Straftatenkatalog gestrichen sind. Die Tat muss – das ist ebenfalls neu – auch im konkreten Einzelfall schwer wiegen. Geprüft und bejaht werden muss zudem, dass die Sachverhaltserforschung oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos wäre.

Doch selbst, wenn diese strengen Voraussetzungen erfüllt sein sollten, darf eine Telekommunikationsüberwachung noch nicht angeordnet werden, denn es gibt eine weitere Hürde, den § 100a Abs. 4 StPO:

Eine Telekommunikationsüberwachung ist unzulässig und hat zu unterbleiben, wenn tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass durch die Überwachung allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung erlangt würden. Die Anordnung einer Überwachung bedarf also zusätzlich immer der Prognose, dass nicht allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich zu erwarten sind.

Soll ein unschuldiger Berufsgeheimnisträger wegen des Ermittlungsverfahrens gegen einen Dritten überwacht werden, müssten zudem erst weitere Hürden überwunden werden, der § 160a Abs. 1 und 2 StPO:

Das Vertrauensverhältnis zu Seelsorgern, Strafverteidigern und Abgeordneten wird künftig absolut geschützt. Sie sind aufgrund ihrer besonderen verfassungsrechtlichen Stellung von allen strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen ausgenommen, die sich auf die Informationen beziehen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Berufsgeheimnisträger anvertraut wurden.

Bei Ärzten, Rechtsanwälten, Journalisten und allen anderen zeugnisverweigerungsberechtigten Berufsgeheimnisträgern ist ausdrücklich klargestellt, dass sie in Ermittlungsmaßnahmen künftig nur nach einer sehr sorgfältigen Verhältnismäßigkeitsabwägung im Einzelfall in Ermittlungsmaßnahmen einbezogen werden dürfen. Für die Abwägung wird es zudem einen ausdrücklichen Maßstab im Gesetz geben: betrifft das Verfahren keine Straftat von erheblicher Bedeutung, ist in der Regel nicht vom Überwiegen des Strafverfolgungsinteresses auszugehen. Eine Straftat ist nur dann von erheblicher Bedeutung, wenn sie

- mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zugerechnet werden kann,
- den Rechtsfrieden empfindlich stört und
- dazu geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen.

Ergibt die Prüfung also, dass es bei der Ermittlung nicht um eine erhebliche Straftat geht, ist eine Überwachung regelmäßig unzulässig, weil unverhältnismäßig.

Sogar für den Fall, dass ein Berufsgeheimnisträger im Verdacht steht, an der Straftat beteiligt zu sein und er dann nicht mehr Zeuge mit einem Zeugnisverweigerungsrecht wäre, ist eine weitere Hürde vorgesehen, der § 160a Abs. 4 StPO:

Besteht gegen den Berufsgeheimnisträger, etwa einen Journalisten, selbst ein Beteiligungs- oder Begünstigungsverdacht, muss sich die Annahme des Verstrickungsverdacht auf bestimmte Tatsachen gründen, so dass eine sorgfältige, sich auf Tatsachen stützende Prüfung erforderlich werden wird.

Für verdeckte Ermittlungsmaßnahmen gilt darüber hinaus eine Reihe Verfahrensregelungen, die den Schutz der Grundrechte gewährleisten. Dazu zählt etwa
- die nachträgliche Benachrichtigung der von verdeckten Ermittlungsmaßnahmen betroffenen Personen;
- die Möglichkeit eines nachträglichen – auch nach Erledigung der Maßnahme eingreifenden – gerichtlichen Rechtsschutzes;
- die Pflicht zur Löschung der aus verdeckten Ermittlungsmaßnahmen erlangten Erkenntnisse, sobald diese für Zwecke der Strafverfolgung sowie für einen etwaigen gerichtlichen Rechtschutz nicht mehr erforderlich sind.

Die Regelungen des Regierungsentwurfs sollen zum 1. Januar 2008 in Kraft treten und müssen das auch, da die Vorschriften der §§ 100g und h StPO zum Jahresende auslaufen. Eines der Ergebnisse der Beratungen war allerdings, dass die technischen Umstellungen für die Speicherverpflichtung im Internetbereich nicht, wie im Entwurf vorgesehen, bis zum 1. Januar 2008 realisierbar sind. Unter Ausnutzen einer Ausnahmemöglichkeit in der Richtlinie wird daher für die Anbieter von Internetzugangs-, E-Mail- und Internettelefoniediensten eine Übergangsregelung geschaffen, die eine Speicherpflicht erst ab 1. Januar 2009 vorsieht.

Schließlich wird für eine angemessene Entschädigung der Telekommunikationsunternehmen gesorgt werden. Nach den geltenden Vorschriften des Justizvergütungs- und entschädigungsgesetz (JVEG) wird zwar eine Entschädigung Dritter in Strafverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren – hierzu gehören auch die Telekommunikationsunternehmen gewährt; die Höhe der Entschädigung ist im Wesentlichen in § 23 JVEG geregelt. Die hiernach zu zahlenden Entschädigungen werden von den Telekommunikationsunternehmen jedoch als nicht angemessen kritisiert. Ferner fordern sie eine Pauschalierung, um das Abrechnungsverfahren zu vereinfachen. Daher soll mit einem Entwurf der Koalitionsfraktionen die derzeitige Regelung in § 23 JVEG, soweit sie sich auf die Heranziehung von Telekommunikationsunternehmen bezieht, durch eine besondere Anlage zum JVEG ersetzt werden. Sie trägt den Besonderheiten Rechnung, die zu einem großen Teil für die Inanspruchnahme von Telekommunikationsunternehmen gelten. Um die Regelung praktikabel zu gestalten, sieht der Entwurf ein Pauschalentschädigungssystem vor, das auf dem für die einzelnen Maßnahmen üblicherweise erforderlichen Zeitaufwand aufbaut.

Weiter Informationen zum Gesetz finden Sie sowohl auf der Webseite des Bundesministeriums der Justiz (www.bmj.bund.de) als auch auf meiner Webseite (www.schwall-dueren.de) unter „Aktuelle Politik – Innen- und Rechtspolitik“.

Ich habe die Kritik an dem Gesetz für zulässig und notwendig gehalten. Ich selber und viele Kolleginnen und Kollegen standen dem Vorhaben kritisch gegenüber. Die jetzige Regelung ist aber ein guter Kompromiss zwischen dem Datenschutz und der Notwendigkeit, Anschlägen auf die Sicherheit der Menschen in Deutschland vorzubeugen. Die Abgeordneten des Bundestages werden die Einhaltung der Grundrechte und insbesondere des Datenschutzes ebenso einfordern wie die Bürgerinnen und Bürger und die Gerichte.

Ich hoffe, Sie haben Verständnis dafür und erkennen, dass die Regelungen vor dem Hintergrund der Terroranschläge in Madrid und London und den versuchten Anschlägen in Deutschland geeignet, erforderlich und angemessen sind.

Mit freundlichen Grüßen
Angelica Schwall-Düren