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Andrea Rugbarth
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Frage von Maren F. •

Frage an Andrea Rugbarth von Maren F. bezüglich Bildung und Erziehung

Hallo Frau Rugbarth,

ich bin verwundert über ihre Meinung zu den Produktionsschulen. In der Debatte haben Sie sogar gesagt, Sie seien enttäuscht über die Einrichtung weiterer Produktionsschulen. Der Sohn meiner Freundin hat vor 3 Jahren die Produktionsschule in Altona besucht und dadurch endlich eine Lehrstelle gefunden. Was soll an den Produktionsschulen verkehrt sein? Finden Sie es nicht in Ordnung, dass unsere Kinder Hilfe erhalten?

Mit Gruß
Maren Friedner

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Antwort von
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Sehr geehrte Frau Friedner,

herzlichen Dank für Ihre Anfrage, die mir die Gelegenheit gibt, Ihnen meine Kritik an den Plänen des Senates zu erläutern. Und: Entschuldigung für mein Versehen, dass ich die Beantwortung zwar zeitnah vornahm – aber diese nicht an abgeordnetenwatch weitergegeben habe.

In der Debatte zu den Produktionsschulen habe ich darauf hingewiesen, dass mit der Gründung weiterer Produktionsschulen verkehrte Prioritäten gesetzt werden. Mit den Produktionsschulen wird eine – von vielen weiteren - Maßnahmen ergriffen, um Jugendlichen ohne Schulabschluss eine Möglichkeit der Ausbildungsvorbereitung zu bieten. Jede Maßnahme ist natürlich besser als gar keine, völlig klar. Aber völlig klar muss auch sein, dass es eigentlich gar nicht soweit kommen darf, dass Schulen ihre Schüler ohne Abschluss entlassen. Das ist meine Hauptkritik. Und in der Debatte habe ich zum Ausdruck gebracht, dass ich als einen ersten Schritt vom Senat erwartet hätte, dass er Gegenmaßnahmen ergreift, um eben diese hohe Quote der Schulabgänger ohne Abschluss zu senken, also präventiv arbeitet, statt in einem ersten Schritt sozusagen Nachsorge zu betreiben..

Im Schuljahr 2008/09 haben 1.213 SchülerInnen, im Jahr davor 1.349 SchülerInnen in Hamburg die Schule ohne einen Hauptschulabschluss verlassen, 2007 waren es sogar 1.684 Schülerinnen und Schüler. Soweit muss es aber nicht kommen.
Ich möchte Ihnen nur zwei herausragende Beispiele für einen präventiven Ansatz, so wie ich ihn befürworte, nennen.
2006 wurde ein Schulversuch „KooBi“ (Kooperierendes Bildungsangebot) gestartet, in dem lernschwache Schüler ab der 9.Klasse in kleinen Lerngruppen an drei Tagen in der Schule lernen und an zwei Tagen ein Betriebspraktikum absolvieren. Für zwei Jahre werden die Schüler von einem Lehrer, einem Berufsschullehrer und einem Sozialpädagogen unterstützt, die ihnen individualisierten Unterricht – und das zum Teil abgestimmt auf die jeweiligen betrieblichen Erfordernisse – anbieten. Während dieser Zeit lernen die Jugendlichen vier verschiedene Betriebe kennen. Auch für die Betriebe hat dieser kombinierte Unterricht Vorteile. Diese können in aller Ruhe die Gelegenheit nutzen, um die Schüler während der Praxistage kennen zu lernen und sich für einen Lehrling entscheiden. Die Erfolge können sich sehen lassen. 70 bis 95 Prozent dieser Schüler haben im ersten Durchgang einen Hauptschulabschluss erreicht und über 60 Prozent konnten in die duale Berufsausbildung vermittelt werden.
Ganz ähnlich arbeitet ein weiteres Projekt „anSchub“. Auch in diesem Pilotprojekt haben die SchülerInnen für zwei Tage in der Woche ein Praktikum in einem Betrieb ihrer Wahl. Die Schüler in diesem Projekt werden sogar schon ab der 8.Klasse gefördert – ebenfalls für zwei Jahre – so dass sie ihren Hauptschulabschluss ganz normal in der 9.Klasse absolvieren können. Auf Nachfrage konnte ich erfahren, dass nahezu 100 Prozent dieser Schüler den Hauptschulabschluss erreichen und ebenfalls über 60 Prozent eine Lehrstelle über die Praktikumsbetriebe gefunden haben.

Bei dem vom Senat vorgestellten Modell der Produktionsschulen in privater Trägerschaft ist obligatorisch leider kein Hauptschulabschluss vorgesehen. Freilich besteht die Möglichkeit, diesen extern abzulegen – aber es ist nicht das vorrangige Ziel dieses Projekts. Das ist meiner Meinung nach falsch, denn ohne einen Hauptschulabschluss findet man so gut wie keinen Ausbildungsplatz in der dualen Berufsausbildung. Dazu kommt, dass man mit den neuen Produktionsschulen ein Parallelsystem zu dem bisherigen System der Berufsschulen aufbaut. Ich sehe darin keinen Sinn.
Ein weiterer Kritikpunkt ist die finanzielle Ausstattung der zukünftigen Produktionsschulen.
Während die von Ihnen erwähnte Produktionsschule Altona als Pilotprojekt über eine gute finanzielle Ausstattung verfügt (ca. 15.000 € je Schüler und Schuljahr), sollen die zukünftigen Produktionsschulen nur mit einem Budget von 7.800 € auskommen. Auch wenn man uns im Schulausschuss zugesichert hat, dass es sich hier um etablierte Träger handelt, die bereits über die entsprechende Ausstattung verfügen würden – also keine investiven Mittel benötigen – so fragt man sich doch ganz automatisch, wie soll das denn gehen? Gleiche Leistungen für die Hälfte Geld? Da drängt sich einem schon die Frage auf, ob die Mitarbeiter der privaten Träger auch entsprechend nach Tarif bezahlt werden. Aber auch diese Frage konnte im Ausschuss nicht geklärt werden.

Bei meiner Kritik geht es also nicht darum, den Jugendlichen keine Chancen für eine Förderung zu geben – sondern ganz im Gegenteil, ich wünsche mir, dass die Jugendlichen früher gefördert werden. Und für die Jugendlichen, die trotz Förderung die Schule ohne Abschluss verlassen, wünsche ich mir, dass auch nachgelagerte Maßnahmen in staatlicher Verantwortung verbleiben und obligatorisch einen Schulabschluss beinhalten.

Mit freundlichen Grüßen
Andrea Rugbarth