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Alexander Ulrich
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Frage von Volker U. •

Frage an Alexander Ulrich von Volker U. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Sehr geehrter Herr Abgeordneter,

Der "Rheinpfalz am Sonntag" vom 6.1.2013 konnte ich entnehmen, daß nach Aussagen des DGB-Landesvorsitzenden Dietmar Muscheid, sich RLP als "Land der Minijobs" entwickelt. So ist insbesondere auch in Ihrem Wahlkreis die Region Kusel überproportional davon betroffen. Worin sehen Sie die Ursachen für diese drastische Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse und welche Abhilfemaßnahmen schlagen Sie vor? Vielen Dank für Ihre Antwort.

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BSW

Sehr geehrter Herr Ultes,

vielen Dank für Ihre Anfrage, die ich folgendermaßen beantworten möchte:
Fast jeder vierte Vollzeitbeschäftigte in Rheinland-Pfalz verdient brutto nur wenig mehr als 1.800 Euro. Bundesweit muss mehr als jeder Fünfte für weniger als 10,36 Euro pro Stunde arbeiten. Die Zahl der Beschäftigten in diesem sogenannten Niedriglohnbereich wächst. Und entgegen anderslautenden Äußerungen sind es mittlerweile auch gut ausgebildete Fachkräfte, die mit jämmerlichen Löhnen abgespeist werden. Rheinland-Pfalz steht bei all diesen Problemen überdies besonders schlecht da: Bundesweit arbeiten knapp 21 Prozent der Beschäftigten für Niedriglöhne, in Rheinland-Pfalz sind es mehr als 23 Prozent. Dabei gibt es starke regionale Unterschiede: In Ludwigshafen müssen 14 Prozent mit Niedriglöhnen für volle Arbeit auskommen, in der West-Pfalz sind es fast 37 Prozent, darunter der Landkreis Kusel. Das hat nicht nur Folgen für die Menschen selber und würgt nicht nur die Binnenkonjunktur ab – es bedeutet auch, dass Millionen Menschen einem Alter in Armut entgegen sehen. Schon die Rente erst ab 67 war ein reines Rentenkürzungsprogramm – schließlich arbeiten schon jetzt nur die allerwenigsten Beschäftigten bis zum 65. Lebensjahr.
Und die darüber hinaus geplante Absenkung des Rentenniveaus auf 43 Prozent des letzten Nettoeinkommens führt geradewegs in die Altersarmut: Millionen Menschen werden, trotz jahrzehntelanger Einzahlung von Rentenbeiträgen, am Ende ohne Leistungen aus der Grundsicherung – also ohne Sozialhilfe - nicht auskommen. Dies ist genauso wenig akzeptabel wie die jahrzehntelange Ausbeutung dieser Menschen während ihres Arbeitslebens. Deswegen müssen sogenannte atypische Beschäftigungsverhältnisse, die in den letzten Jahren immer typischer geworden sind, begrenzt und wie die Leiharbeit perspektivisch abgeschafft werden. Fast 400.000 Menschen arbeiten schon jetzt in Minijobs. Immer seltener sind solche Jobs der Übergang in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Stattdessen werden reguläre Arbeitsverhältnisse in Mini- und Midijobs umgewandelt. Diese legalisierte Ausbeutung muss schnellstmöglich beendet werden. Und ohne einen gesetzlichen, flächendeckenden Mindestlohn, wird es definitiv nicht gehen: Sogar die Bundesregierung hat auf eine Anfrage meiner Fraktion eingestanden, dass Löhne von weniger als 10 Euro pro Stunde in die Altersbedürftigkeit führen.
Wir haben durchgerechnete Vorschläge gemacht, die eine solidarische, gesetzliche Rentenversicherung für alle langfristig finanzierbar machen. Dazu gehört neben dem Mindestlohn von mindestens 10 Euro die Versicherungspflicht für alle und der Abschied von dem seit Jahren andauernden Wettlauf um immer geringere Rentenbeiträge: Wer jetzt die Rentenbeitragssätze senkt, nimmt sehenden Auges künftige Rentenkürzungen in Kauf. Das ist aber schon deshalb auch ökonomischer Unsinn, weil Armutsrenten aus Steuermitteln aufgestockt werden müssen. Mit Niedrigrenten wird der gleiche unmenschliche und ökonomisch unsinnige Weg beschritten, der bei den Niedriglöhnen schon in die Sackgasse geführt hat. Das wollen wir, gemeinsam mit den Gewerkschaften, den Sozialverbänden und Betroffenenorganisationen verhindern. Millionen Menschen müssen trotz Vollzeitarbeit staatliche Zuschüsse in Anspruch nehmen, weil ihr Lohn nicht das Existenzminimum absichert. Das ist neben der willkürlichen Festlegung der Hartz-IV-Leistungen ein weiterer Skandal. Deswegen kann es in der jetzigen Debatte nur darum gehen, diese Leistungen anzuheben und gleichzeitig den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn einzuführen. Nach einem aktuellen Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) hat die Arbeitslosigkeit in Europa einen neuen Höchststand erreicht. Zurzeit sind in Europa schon mehr als 45 Millionen Menschen ohne Arbeit. Der Ausblick in die Zukunft ist nach wie vor düster.
Angesichts dieses traurigen Sachverhalts muss nach einem Bericht der Weltarbeitsorganisation (ILO) die Schaffung von Arbeit oberste Priorität der Wirtschaftspolitik sein. Der alarmierende europäische Trend gilt natürlich auch für Deutschland und Österreich, die aufgrund der verfälschenden Wirkung der amtlichen Statistiken im Vergleich mit dem übrigen Europa nur scheinbar besser dastehen. Tatsächlich ist gerade hier die dauerhafte Vernichtung unbefristeter sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze besonders eklatant. Wir brauchen deshalb auch eine aktive Arbeitsmarktpolitik und Arbeitsförderungsmaßnahmen, die diesen Namen verdienen.
Während das internationale Finanzkapital Volkswirtschaften und ganz Europa erpresst, sollen sich die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler nicht mit dem einzigen wirkungsvollen Mittel – der politisch begründeten Arbeitsniederlegung, dem politischen Generalstreik – wehren dürfen. Während die Beschäftigten und Rentner die Krise bezahlen sollen, soll ihren Interessenorganisationen nicht erlaubt sein, zur politisch begründeten Arbeitsniederlegung aufzurufen. Die ungleiche Machtverteilung zwischen Banken, Versicherungen und Großinvestoren auf der einen und den Menschen auf der anderen Seite führt dazu, dass die Diebe im Nadelstreifen weiter gegen die Interessen der großen Mehrheit der Europäerinnen und Europäer und auch der Menschen in Deutschland agieren können. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis die Arbeitgeber das Streikrecht zur Durchsetzung von Lohnforderungen akzeptiert haben. Wir müssen dafür kämpfen, dass das Streikrecht nun zu einem allgemeinpolitischen Instrument ausgebaut wird und damit – neben parlamentarischen Wahlen und Volksabstimmungen – ein weiterer wichtiger Schritt zu mehr Demokratie und Bürgerbeteiligung gegangen wird.

Alexander Ulrich, MdB DIE LINKE

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