Berlin / Hamburg, 15. Juli 2025 - Mindestens 670 Interessenvertreter:innen haben vormals im Bundestag, der Bundesregierung bzw. der Bundesverwaltung gearbeitet – oder tun es immer noch. Das ergibt eine Auswertung von abgeordnetenwatch.de zu einer neuen Pflichtangabe im Lobbyregister. Mehrere Interessenvertreter:innen verfügen über einen direkten Zugang zu den Spitzen der Regierungskoalition. Seit 2024 müssen Interessenvertreter:innen im Lobbyregister offenlegen, wenn sie in den vergangenen fünf Jahren im Bundestag, der Bundesregierung oder der Bundesverwaltung gearbeitet haben. Doch die Netzwerke dahinter bleiben unsichtbar.
Nach Recherchen von abgeordnetenwatch.de sind mehrere ehemalige Mitarbeiter:innen des heutigen Unionsfraktionschefs Jens Spahn (CDU) als Lobbyist:innen für internationale Pharmakonzerne registriert, darunter der Impfstoffhersteller Biontech.
Ein ehemaliger Büroleiter von Friedrich Merz in der CDU-Parteizentrale ist mittlerweile Direktor der PR- und Lobbyagentur 365 Sherpas. Diese bot Kunden im letzten Bundestagswahlkampf Unterstützung bei der Platzierung ihrer Anliegen unter der Überschrift “Welchen Satz möchten Sie im Koalitionsvertrag 2025–2029 lesen?” an. Als Ansprecher führte die Agentur Merz’ ehemaligen Büroleiter auf. Auf Anfrage wollte sich dieser nicht konkret äußern.
Als Lobbyist für den Drohnenhersteller Stark Defence (SKD SE) ist seit Juni der frühere SPD-Verteidigungspolitiker Johannes Arlt im Register eingetragen. Arlt saß bis März für die SPD im Bundestag, verlor aber sein Direktmandat. Im Wahlkampf hatte er persönliche Unterstützung von Verteidigungsminister Boris Pistorius erhalten, mit dem er nach eigenen Angaben “sehr, sehr eng” zusammenarbeite.
Ein ehemaliger Verteidigungsreferent des heutigen Außenministers Johann Wadephul (CDU) arbeitet seit Mai 2025 als Lobbyist für den Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI). Hinter dem Verband, der nach eigenen Angaben bei “politischen Institutionen und ausländischen Vertretungen in Deutschland” lobbyiert, stehen unter anderem die Rüstungskonzerne Rheinmetall, Hensoldt und Airbus Defence.
Ein ehemaliger Abteilungsleiter aus dem Wirtschaftsministerium ist CEO eines großen eFuels-Herstellers. Als Ministeriumsmitarbeiter hatte er zuvor einen Förderungsbescheid für ein Projekt seines späteren Arbeitgebers unterzeichnet.
Sarah Schönewolf, Sprecherin von abgeordnetenwatch, de kommentiert: „Wenn zahlreiche Ex-Abgeordnete und ihre Vertrauten direkt in Lobbyjobs wechseln, ist das kein Einzelfall, sondern ein systemisches Problem. Der Übergang von politischer Macht in wirtschaftliche Interessenvertretung ist völlig unzureichend geregelt. Wer eben noch im Parlament saß, bringt nicht nur Wissen, sondern vor allem Zugang, Einfluss und Vertrauen mit – ein ideales Einfallstor für wirtschaftliche Interessen. Ohne gesetzliche Schranken, Abkühlphasen und Kontrolle wird das zur Gefahr für die Demokratie.“
Die Recherchen von abgeordnetenwatch.de zeigen außerdem, dass Lobbyist:innen ihre vorherige politische Tätigkeit im Lobbyregister verschweigen und damit gegen das Lobbyregistergesetz verstoßen. Ein ehemaliger Mitarbeiter der früheren FDP-Bundestags- und heutigen Europaabgeordneten Agnes-Marie Strack-Zimmermann arbeitet inzwischen als Head of Business Development & Government Relations des Drohnenherstellers Quantum. Im Lobbyregistereintrag fehlt ein Hinweis auf die frühere Tätigkeit im Bundestagsbüro.