Union und SPD schweigen zur Teilnahme von Interessenvertretern an internen Sitzungen

Nicht einmal Fraktionssitzungen sind für Lobbyisten grundsätzlich tabu: Gegenüber abgeordnetenwatch.de haben die GroKo-Fraktionen jetzt direkt bzw. indirekt bestätigt, dass Interessenvertreter auch an internen Treffen teilnehmen können. Ob und wem sie in der Vergangenheit Zugang gewährt haben, dazu schweigen Union und SPD bislang.  

von Martin Reyher, 19.05.2015

Vor einiger Zeit fragte abgeordnetenwatch.de die Fraktionsgeschäftsführerin der SPD, warum sie Lobbyisten einen Hausausweis für den Deutschen Bundestag bewilligt. Christine Lambrechts Antwort war erstaunlich:

"Entscheidendes Kriterium [für die Ausstellung eines Hausausweises] ist für uns die Häufigkeit, mit der Verbandsvertreterinnen/-vertreter an SPD-Sitzungen, Besprechungen und Veranstaltungen teilnehmen. Danach entscheiden wir, ob ein Hausausweis notwendig ist oder nicht."

Dass Interessenvertreter überhaupt an internen Sitzungen von Fraktionen teilnehmen, dürfte selbst für die meisten politikinteressierten Menschen eine neue Erkenntnis sein. In diesem Zusammenhang drängt sich eine Frage geradezu auf: Wer genau sind die Verbandsvertreter, von denen die SPD-Fraktionsgeschäftsführerin spricht?

Deren Identität ist offenbar ein Geheimnis - bei der SPD genauso wie bei der Union. Auf abgeordnetenwatch.de-Anfrage vom 8. Mai wollten sich bislang weder SPD-Fraktionsgeschäftsführerin Lambrecht noch ihr Unions-Kollege Michael Grosse-Brömer zur Teilnahme von Interessenvertretern an internen Treffen äußern.

Die "regelmäßige" Teilnahme von Lobbyisten ist nicht möglich, die unregelmäßige offenbar doch

Grosse-Brömer hatte zuvor über eine Sprecherin mitteilen lassen, dass es eine "regelmäßige" Teilnahme von Interessenvertretern an Gremiensitzungen der CDU/CSU-Fraktion nicht gebe, was im Umkehrschluss allerdings bedeutet, dass deren unregelmäßige Teilnahme sehr wohl möglich ist. Auch zu diesem Punkt äußerte sich Grosse-Brömer seit Anfang Mai nicht.

SPD-Fraktionsgeschäftsführerin Lambrecht wollte bislang lediglich bestätigen, dass an internen Sitzungen der Fraktionsgremien "Interessenvertreterinnen und Interessenvertreter auf Einladung der jeweiligen Vorsitzenden bzw. Sprecherinnen und Sprecher teilnehmen" könnten. Zu der Frage, ob dies in der laufenden Legislaturperiode bereits vorgekommen sei und von welchen Verbänden die Gäste kamen: kein Kommentar.

Inzwischen hat das Berliner Verwaltungsgericht entschieden, dass die Namen von Lobbyisten, die im Bundestag ein und aus gehen, öffentlich gemacht werden müssen. In ihrem Urteil vom 18. Juni 2015 gaben die Richter der Klage von abgeordnetenwatch.de gegen die Bundestagsverwaltung in allen Punkten Recht. Ob die Parlamentsverwaltung den Richterspruch jedoch akzeptiert oder in Berufung geht, entscheidet sich spätestens am 9. Oktober 2015: Bis dahin muss sie dem Oberverwaltungsgericht ihre Entscheidung mitgeteilt haben.

Video: Bundestag schützt Lobbyisten - warum wir dagegen klagen (1:50 Min.)

Ihre Lobbykontakte wollten Union und SPD uns u.a. aus vermeintlichen Datenschutzgründen nicht mitteilen. Dass dieses Argument nur vorgeschoben ist, beweisen Linke und Grüne, die ihre Kontakte zu Interessenvertretern offenlegen. Bereits im Juni 2014 nannten die Grünen auf abgeordnetenwatch.de-Anfrage insgesamt 18 Organisationen bzw. Unternehmen, denen sie eine Zugangsberechtigung zum Bundestag bewilligt haben (darunter der Bundesverband Solarwirtschaft, der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen und die Metro AG). Bei der Linksfraktion waren es nach eigenen Angaben und zum damaligen Zeitpunkt vier Organisationen (Forschungsforum "Öffentliche Sicherheit", IG  Bau-Agrar-Umwelt, Aktionsbündnis gegen AIDS, Interessenverband Unterhalt und Familienrecht).

Auch mit ihren Gästen bei Fraktionssitzungen halten die Oppositionsfraktionen nicht hinter dem Berg. Linken-Fraktionsgeschäftsführerin Petra Sitte nannte gegenüber abgeordnetenwatch.de die Namen externer Gäste bei insgesamt zwölf Fraktionssitzungen in dieser Legislaturperiode, darunter der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann (zum Thema DGB-Bundeskongress), ein Vertreter der Organisation Medico International (zur Lage im Nordirak) und die Geschäftsführerin einer Initiative unbestechlicher Ärztinnen und Ärzte (zum Thema Sterbehilfe). Über einen Mitarbeiter ließ Sitte mitteilen, dass "InteressenvertreterInnen nicht an Fraktionssitzungen teilnehmen können", worunter die Linksfraktion offenbar Wirtschafts-, nicht aber Gewerkschaftsvertreter versteht. Letztere würden - siehe DGB-Chef Hoffmann - gelegentlich als Diskussionspartner eingeladen, genau wie "NGOs oder internationale Partner etwa von Syriza."

Die Fraktionsgeschäftsführerin der Grünen, Britta Haßelmann, erklärte gegenüber abgeordnetenwatch.de, dass die Fraktionsversammlung "grundsätzlich nicht öffentlich" tage. "Sie kann beschließen, Sachverständige und sonstige Gäste zu ihren Beratungen hinzuziehen und Rederecht erteilen. Das gilt auch für Gremien der Fraktion." Auf die Frage nach der Teilnahme von Interessenvertretern an Fraktionssitzungen erklärte Haßelmann: "In dieser Legislaturperiode zählten Bundestagspräsident Prof.Dr.Lammert, Innenminister de Maizière, Staatssekretär der Finanzen Kampeter und der Ebola-Beauftragte der Bundesregierung Lindner zu unseren Gästen in der Fraktion. Darüber hinaus hatten z.B. Praktikantinnen und Praktikanten und Gäste des Bundestages, wie etwa in der letzten Sitzungswoche eine Vertretung der Wirtschaftsjunioren die Möglichkeit, an einer Fraktionssitzung teilzunehmen."

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text wurde am 6. Oktober 2015 aktualisiert. Hinzugefügt wurde u.a. ein Absatz zum Gerichtsurteil

Lizenz: Der Text auf dieser Seite steht unter der Creative Commons Lizenz BY-NC-SA 4.0.